Agil und Projekt: Ein Widerspruch?

Jede Orga­ni­sa­ti­on hat ihr Tages­ge­schäft. Die einen ver­kau­fen online Waren, die ande­ren bau­en Autos und die nächs­ten ver­mit­teln Pri­vat­woh­nun­gen als Hotel­zim­mer. Dafür haben die­se Orga­ni­sa­tio­nen ihre jewei­li­gen Pro­zes­se, Rol­len und jede ihre IT und ins­be­son­de­re ihre Soft­ware, die immer wich­ti­ger wird. So weit, so gene­risch. Die viel span­nen­de­re Fra­ge ist, wie Orga­ni­sa­tio­nen den Sta­tus quo ihres Tages­ge­schäfts, ihre Pro­zes­se und ihre Soft­ware wei­ter­ent­wi­ckeln. Und noch span­nen­der ist, wie schnell ihnen das gelingt und wie anpas­sungs­fä­hig sie das macht.

In den meis­ten Orga­ni­sa­tio­nen fin­det die­se Wei­ter­ent­wick­lung im Rah­men von Pro­jek­ten statt. Nicht weil das die am bes­ten geeig­ne­te Metho­de ist, son­dern weil es die ein­zi­ge bekann­te und akzep­tier­te ist und weil wer als Werk­zeug nur einen Ham­mer hat in jedem Pro­blem einen Nagel sieht (Paul Watz­la­wick). Das dau­ert dann natür­lich gera­de in hier­ar­chi­schen Orga­ni­sa­tio­nen immer ein biss­chen bis man sich zu einem Pro­jekt ent­schlos­sen hat. Schließ­lich muss man ja genau wis­sen, was es kos­tet und was es bringt, einen Busi­ness-Case eben mit Return-on-Invest und so. Wie soll man denn sonst ent­schei­den? Und weil das immer ein biss­chen dau­ert, macht man Pro­jek­te lie­ber grö­ßer und am bes­ten gleich zu Pro­gram­men. Dann lohnt sich der gan­ze büro­kra­ti­sche Auf­wand wenigs­tens und man hat ein paar Jah­re Ruhe.

Die Erfolgs­wahr­schein­lich­keit sol­cher Groß­pro­jek­te ist im IT-Bereich eher über­schau­bar, wie zum Bei­spiel die Stu­die der Uni­ver­si­tät Oxford und des Bera­tungs­hau­ses McK­in­sey mit etwa 1500 Pro­jek­ten mit einem durch­schnitt­li­chen Volu­men von 170 Mil­lio­nen US-Dol­lar zeig­te: „Jedes sechs­te Pro­jekt spreng­te das vor­ge­ge­be­ne Bud­get um durch­schnitt­lich 200 Pro­zent – und zwar infla­ti­ons­be­rei­nigt. Der geplan­te Zeit­rah­men wur­de in die­sen Fäl­len im Mit­tel um 70 Pro­zent über­schrit­ten.“ (Quel­le: CIO 11.10.2011 aus einer Stu­die von Oxford und McK­in­sey). Ent­spre­chend deut­lich das ernüch­tern­de Fazit:

IT-Pro­jek­te sind ticken­de Zeit­bom­ben. Sie zer­stö­ren in unschö­ner Regel­mä­ßig­keit gan­ze Unter­neh­men und rui­nie­ren die Kar­rie­ren der Mana­ger, die für sie ver­ant­wort­lich sind.
CIO 11.10.2011 aus einer Stu­die von Oxford und McKinsey

Doch selbst wenn sol­che Pro­jek­te erfolg­reich wären nach der klas­si­schen Defi­ni­ti­on und den gefor­der­ten Umfang in Zeit, Kos­ten und Qua­li­tät lie­fer­ten, könn­ten sie trotz­dem para­do­xer­wei­se ein Miss­erfolg sein. Näm­lich dann wenn sie zwar lie­fern, was damals gewünscht war, das aber nicht mehr zu dem passt, was heu­te wirk­lich gebraucht wird. Gera­de in der IT sind drei oder gar fünf Jah­re eine Ewig­keit, für Groß­pro­jek­te aber ein ganz nor­ma­ler Pla­nungs­ho­ri­zont. Das Pro­blem sind also nicht Pro­jek­te per se oder feh­len­de Fähig­kei­ten im Pro­jekt­ma­nage­ment, son­dern dass die Ver­än­de­rung als Aus­nah­me betrach­tet und ent­spre­chend schwer­fäl­lig gehand­habt wird: Ein Pro­jekt ist etwas was zusätz­lich gemacht wer­den muss oder was ande­re machen und man danach wie­der „nor­mal“ und viel­leicht sogar bes­ser sei­ner eigent­li­chen Arbeit nach­ge­hen kann.

So gese­hen ist ein agi­les Groß­pro­jekt zwar in gewis­ser Wei­se bes­ser als eines nach Was­ser­fall-Metho­de, aber eben auch kei­ne Lösung für die Schwer­fäl­lig­keit der Orga­ni­sa­ti­on im Gro­ßen. Im Gegen­teil der Ver­such, das rich­ti­ge Leben im fal­schen zu rea­li­sie­ren ver­hin­dert ech­te Agi­li­tät auf Orga­ni­sa­ti­ons­ebe­ne, denn sie lässt das Pro­jekt als wesent­li­chen Mecha­nis­mus, die Orga­ni­sa­ti­on und ihre Abläu­fe zu ver­än­dern, unan­ge­tas­tet. Oder mit den Wor­ten von Richard David Precht: „Wir deko­rie­ren auf der Tita­nic die Lie­ge­stüh­le um!“

Gera­de in schnell­le­bi­gen Bran­chen – und durch die immer stär­ke­re Durch­drin­gung mit Soft­ware und eine Viel­zahl neu­er Tech­no­lo­gien mit dis­rup­ti­vem Poten­ti­al sind dies immer mehr Bran­chen – sind Pro­jek­te als Metho­de der Ver­än­de­rung zu lang­sam, egal wie agil sie sind. Dar­um fin­det man bei agi­len Unter­neh­men wie Spo­ti­fy, Ama­zon und Co. in der Regel kei­ne Pro­jek­te. Statt­des­sen klei­ne auto­no­me inter­dis­zi­pli­nä­re Teams mit einer Ende-zu-Ende-Ver­ant­wor­tung für ihren (klei­nen) Aus­schnitt der Wert­schöp­fung. Und die­se ent­wi­ckeln ihr Pro­dukt oder ihren Ser­vice in Abstim­mung mit ande­ren Teams anhand gemein­sa­mer Leit­li­ni­en und einer gemein­sa­men Visi­on kon­ti­nu­ier­lich wei­ter. Sie pro­bie­ren aus, ver­wer­fen, pas­sen an, ver­wer­fen wie­der, pas­sen erneut an. Die­ser Kreis­lauf endet eigent­lich nie oder nur wenn es das Pro­dukt oder den Ser­vice nicht mehr braucht. Die Ver­än­de­rung ist inte­gra­ler Bestand­teil des Tages­ge­schäft gewor­den und muss nicht umständ­lich als Pro­jekt beauf­tragt wer­den. Die­se orga­ni­sche Ent­wick­lung kann man gar nicht zen­tral steu­ern – Füh­rung ist des­halb umso wichtiger.



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2 Kommentare

Thomas Kladoura-Beltle 18. Juni 2017 Antworten

Schö­ner Arti­kel. Was ich noch unter­strei­chen möch­te, ist der schein­ba­re Wan­del mit dem Umgang von Ver­än­de­rung. Vor eini­ger Zeit erleb­te ich noch Mana­ger, für die war die Ver­än­de­rung eher der „Feind“ des Tages­ge­schäf­tes – Zusatz­auf­ga­ben, Zusatz­auf­wand, womög­lich noch Stö­rung in ope­ra­ti­ven Abläu­fen. Heu­te kann ich immer mehr eine ver­än­der­te Hal­tung wahr­neh­men – Ver­än­de­rung gehört zum „Tages­ge­schäft“, ist Chan­ce und Her­aus­for­de­rung. Hier ent­steht die span­nen­de Fra­ge, wie soll­ten wir uns Wan­deln (Stra­te­gie, Strukturen/Prozesse, Men­schen, Kul­tur), damit Ver­än­de­rung und Wei­ter­ent­wick­lung zum „Nor­mal­be­trieb“ gehört und nicht in Pro­jek­te aus­ge­la­gert wird / wer­den muss.

Löse ich mich etwas von der IT-/Or­ga­ni­sa­ti­ons­welt, sehe ich als Auf­ga­be und Chan­ce der ein­zel­nen Per­son, den eige­nen Umgang mit Ver­än­de­rung (Neu­es, För­der­li­ches, Auf­re­gen­des, Frem­des, Unvor­her­ge­se­he­nes, Plötz­li­ches, …) immer wie­der zu hin­ter­fra­gen und ggfs. wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Die Arbeit an der eige­nen Hal­tung, die dann in den unter­schied­li­chen Wel­ten zur Wir­kung kommt – sei es in Orga­ni­sa­ti­on, Pro­fes­si­on oder Privat.

Marcus Raitner 24. Juni 2017 Antworten

Sehr rich­tig: die ent­schei­den­de Fra­ge ist, wie wir mit Ver­än­de­rung und Unsi­cher­heit umge­hen. Eher ängst­lich und ver­mei­dend oder eher neu­gie­rig und offen. Dazu kommt bald noch ein neu­er Artikel.

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