Von den Stoikern Gelassenheit lernen

Das Jahr ist noch kein Monat alt und mei­ne Vor­sät­ze sind Maku­la­tur. Ich woll­te acht­sa­mer mit mei­ner Zeit umge­hen, mich stär­ker fokus­sie­ren und bes­ser prio­ri­sie­ren. Wie bei so vie­len ande­ren ist mein Kalen­der voll und uner­reich­bar scheint die 5‑Stun­den-Regel, also nach dem Vor­bild von Bill Gates oder War­ren Buf­fet fünf Stun­den pro Woche in Reflek­tie­ren und Ler­nen zu inves­tie­ren. Dar­auf bin ich weder stolz noch will ich mich damit brüs­ten. Ich neh­me es lie­ber als Anlass für eine kur­ze Rück­be­sin­nung auf die Erkennt­nis­se der Stoi­ker und ihre sprich­wört­li­che Gelas­sen­heit und Seelenruhe.

Arbei­te! Aber nicht wie ein Unglück­li­cher oder wie einer, der bewun­dert oder bemit­lei­det wer­den will. Arbei­te oder ruhe, wie es das Bes­te für die Gemein­schaft ist.

Mark Aurel

Der römi­sche Kai­ser Mark Aurel gilt als letz­ter bedeu­ten­der Ver­tre­ter der jün­ge­ren Stoa, eines der „wir­kungs­mäch­tigs­ten phi­lo­so­phi­schen Lehr­ge­bäu­de in der abend­län­di­schen Geschich­te“ (Wiki­pe­dia). Auch ohne die moder­nen Pla­gen wie E‑Mail, Out­look, Instant Mes­sa­ging und Social Media, war ihm offen­bar die Busyn­ess, also das Beschäf­tigt­sein um sei­ner selbst wil­len, ein Dorn im Auge. Ent­spre­chend plä­diert er für einen acht­sa­men und aus­ge­wo­ge­nen Umgang mit den eige­nen Res­sour­cen als Schlüs­sel zu einem gelun­ge­nen Leben. Inter­es­san­ter­wei­se fin­det sich genau das ein paar Jahr­hun­der­te spä­ter wie­der in den Regeln des hei­li­gen Bene­dikt als das bekann­te Mot­to „ora at labo­ra“ des Benediktinerordens.

Es steht dir frei, zu jeder Stun­de dich auf dich selbst zurück­zu­zie­hen. Gön­ne dir das recht oft, die­ses Zurück­tre­ten ins Inne­re und ver­jün­ge so dich selbst.

Mark Aurel

Ein­fa­cher gesagt als getan. Sicher schon für Mark Aurel, aber noch mehr für uns alle hier und heu­te mit dem nie ruhen­den Tages­ge­schäft einer glo­bal ver­netz­ten Arbeits­welt und einer Viel­zahl an Ideen und Chan­cen am Hori­zont der Mög­lich­kei­ten. Und genau da liegt das Pro­blem. Die sprich­wört­li­che stoi­sche Ruhe beruht dar­auf, sei­ne Posi­ti­on im gro­ßen Gan­zen zu erken­nen, durch Übung von emo­tio­na­ler Selbst­be­herr­schung zu akzep­tie­ren und sei­ne Ener­gie so auf das zu kon­zen­trie­ren, was man gestal­ten kann.

Der Außen­welt zu zür­nen wäre töricht; sie küm­mert sich nicht darum.

Mark Aurel

Gera­de die­ses Erken­nen wird aber immer schwie­ri­ger. Die Fra­ge „Wer bin ich – und wenn ja wie vie­le?“ des Phi­lo­so­phen Richard David Precht ist heu­te – mas­siv ver­stärkt durch die Selbst­dar­stel­lung und ‑ver­mark­tung in Social Media – um ein Viel­fa­ches kom­ple­xer als noch im römi­schen Kai­ser­reich. Dadurch ist irgend­wie alles inter­es­sant oder wich­tig (oder könn­te es mal sein) und ent­spre­chend über­voll der Kalen­der und die To-Do-Lis­te. Fokus­sie­rung ist zual­ler­erst also eine Fra­ge der Selbst­er­kennt­nis. Nur wer sich selbst kennt und über sei­ne Prio­ri­tä­ten klar ist kann auch prio­ri­sie­ren. Genau dafür braucht es aber Zeit und Muße. Und so schließt sich der Teufelskreis. 

Es über­stürzt ein jeder sein Leben, lei­det an Sehn­sucht nach der Zukunft und an Über­druss an der Gegenwart.

Luci­us Annae­us Seneca


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9 Kommentare

Alexander Gerber 1. Februar 2019 Antworten

Hal­lo Marcus,

Du kennst viel­leicht den Rat von War­ren Buf­fett an sei­nen Piloten:
* Notie­re 25 Dei­ner wich­tigs­ten Ziele.
* Mar­kie­re die für Dich wich­tigs­ten 5 davon.
* Ver­fol­ge sie mit höchs­ter Konsequenz.

* Und ver­mei­de unter allen Umstän­den eines der ver­blie­be­nen 20 Zie­le zu ver­fol­gen [solan­ge Du kei­nes der ers­ten 5 abschlie­ßend ver­wirk­licht hast].

Die [Ergän­zung] ist in der Form von mir.

Das wich­tigs­te Instru­ment zur „Fremd­füh­rung“ ist die To-Do-List (You know: LOP).
Das wich­tigs­te Instru­ment zur Selbst­füh­rung ist die NOT-To-Do-List mit den 20 Zie­len gegen die Du Dich ent­schie­den hast.

Jedes „Ja“ zum einen, ist immer auch ein „nein“ zu allem anderen. ;-)
In die­sem Sin­ne: vie­len Dank für die Aufmerksamkeit.

Marcus Raitner 1. Februar 2019 Antworten

Vie­len Dank dafür, lie­ber Alex­an­der. Ich hat­te irgend­wann schon mal davon gele­sen und wie­der ver­ges­sen. Dan­ke für die Auffrischung.

Roland 2. Februar 2019 Antworten

Ganz oben auf mei­ner Not-to-Lis­te ste­hen „Auto fah­ren“ und „vom Wecker wecken las­sen“. Das ist nicht nur humo­ris­tisch gemeint. Aller­dings erfor­dert bei­des einen Abschied von lie­ben Gewohn­hei­ten. Aber es wirkt!

Markus Eisele 4. Februar 2019 Antworten

Ein klei­nes biss­chen Moti­va­ti­on für Dich. Mir gehen Dei­ne Blog posts ins Herz und in den Kopf und ich freu mich über jede Anre­gung zur Entschleunigung.
Lie­be Grü­ße von einem alten Bekannten :/)

Marcus Raitner 4. Februar 2019 Antworten

Vie­len Dank, Mar­kus! Ich freue mich sehr, dass gera­de Du das schreibst, weil du ja schon viel län­ger bloggst und du mir damit (so unter­schied­lich unse­re The­men waren und sind) damals (ist das wirk­lich schon wie­der so lan­ge her?!) auch ein Stück Vor­bild warst.

Bettina Stackelberg 5. Februar 2019 Antworten

Grüß Dich, Mar­cus – hal­lo, die Herren!

Und ich komm mal mit etwas ganz ande­rem, ein biss­chen para­do­xe Pro­vo­ka­ti­on sozu­sa­gen. ;-) Etwas, was sowohl MIR in mei­nem Leben immer wie­der gut tut als auch zahl­rei­chen Coachingklienten/Seminarteilnehmern/Zuhörern in Vor­trä­gen von mir. 

Wer sagt eigent­lich, dass wir immer Zie­le haben müs­sen (oder Vor­sät­ze oder Visio­nen oder .…)?? Oft ver­lie­ren wir, fin­de ich, dadurch das fei­ne, zar­te intui­ti­ve Gefühl für das, was IM AUGENBLICK dran ist. Wir ver­lie­ren den Blick für die Zei­chen, die uns sehr deut­lich zei­gen, was zu tun ist und was zu las­sen ist.
Unser Gefühl für uns selbst – was sagt mir gera­de mein Herz? Was wär gera­de gut für mich!?

Ver­trau­en!! Ist das Zauberwort.

Ich hab mir hier dazu noch aus­führ­li­che­re Gedan­ken gemacht damals:
https://www.bettinastackelberg.de/vertrauen-statt-vorsaetze-lasst-doch-das-neue-jahr-mal-ruhe/

Herz­li­che Grü­ße, Bettina

Marcus Raitner 9. Februar 2019 Antworten

Sehr schö­ner, beru­hi­gen­der Gedan­ke, lie­be Bet­ti­na. Ich bin ja auch ein gro­ßer Fan von Segeln auf Sicht, aber auch das braucht Ruhe und Acht­sam­keit im Hier und Jetzt, sonst hetzt man acht­los an den Augen­bli­cken vorbei.

André Claaßen 6. Februar 2019 Antworten

Hal­lo lie­ber Marcus,
Hal­lo an die Kommentatoren,

vie­len Dank für die­sen wun­der­ba­ren Blog­ar­ti­kel. Dan­ke auch dir Alex­an­der für den Hin­weis der Not-To-Do-Lis­te, der für mich schwie­rigs­ten Lis­te über­haupt. Marc Aurel wirkt aus heu­ti­ger Sicht ohne­hin wie eine Licht­ge­stalt: Gebil­det, wei­se, huma­nis­tisch und füh­rungs­stark. Zumin­dest aus mei­ner lai­en­haf­ten Sicht.

Mir gefällt fol­gen­des Zitat beson­ders gut. 

» Es steht dir frei, zu jeder Stun­de dich auf dich selbst zurückzuziehen. 

So wer­de ich es häu­fi­ger machen.

Dan­ke für die Anre­gun­gen und jetzt lese ich den Arti­kel von Bettina.

Grü­ße,
André

Marcus Raitner 9. Februar 2019 Antworten

Lie­ber André, schon erstaun­lich, dass uns Marc Aurel immer noch so zu inspi­rie­ren ver­mag. Scha­de, dass vie­le Men­schen in Füh­rungs­po­si­tio­nen nicht annä­hernd gebil­det und wei­se sind.

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