Bei Agilität denken viele an Methoden wie Scrum im Kleinen, Frameworks wie LeSS im Großen oder an Tools wie JIRA. Diese Sichtweise führt zu vielfältigem Cargo-Kult, also zu kunstvoll zelebrierten Handlungen ohne jegliche Wirkung. Agilität ist in erster Linie eine Frage der Haltung und die heißt Segeln auf Sicht. Während klassische plangetriebene Unternehmen bemüht sind, immer möglichst vollständig zu analysieren, zu planen und dann umzusetzen, stellen sich agile Unternehmen ganz pragmatisch die Frage, was sie hier und heute tun können, um ihr Produkt ein Stück zu verbessern und weiterzuentwickeln.
We have a strategic plan. It’s called doing things.
Herb Kelleher
Der steigenden Komplexität der Welt kann man nicht mit mehr Analyse und mehr Planung begegnen. Gefragt ist jetzt ein grundlegender Paradigmenwechsel. Es geht jetzt darum, diese inhärente Unsicherheit anzuerkennen anstatt sie zu leugnen und Komplexität nicht mit Kompliziertheit zu verwechseln. Die angemessene Reaktion auf Komplexität und Unsicherheit heißt dann nämlich nicht mehr Analyse und Planung, sondern eben Segeln auf Sicht (und Olaf Hinz hat genau dazu ein ganzes Buch geschrieben).
A ship in port is safe, but that’s not what ships are built for.
Grace Hopper
Jeder Weg beginnt mit einem ersten Schritt. Agilität steht und fällt mit dem Mut zu diesem ersten Schritt gerade ohne vollständige Kenntnis der Problem- und der Lösungsdomäne. In Sprints ein geplantes und feststehendes Backlog an Anforderungen vollständig abzuarbeiten ist auch ganz nett (und ja, nett ist wirklich die kleine Schwester von scheiße). Mit Agilität hat das aber genau nichts zu tun, sondern ist Cargo-Kult vom Feinsten.
Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige.
Lucius Annaeus Seneca
Dennoch bedeutet Agilität eben nicht Chaos oder Planlosigkeit. Im Gegenteil braucht Agilität einen klaren Rahmen zur Orientierung. Segeln auf Sicht funktioniert nur mit einem verlässlichen Kompass. Agile Unternehmen haben zwar nicht den Anspruch, das Problem und die Lösung vollständig zu begreifen, sondern fragen sich von Iteration zu Iteration wieder, was sie hier und heute tun können, um das Produkt ein kleines Stück weiterzuentwickeln. Aber gerade dazu muss jedem und jederzeit klar sein, in welcher Richtung dieses weiter liegt?.
7 Kommentare
Schön, dass wir die gleiche Metaphernwelt verwenden, Markus. Aber ja auch nicht überraschend.
Unbescheiden wie ich bin, dann noch der Hinweis, dass es das auch ausführlicher gibt: https://www.hinz-wirkt.de/lotsenblog/artikel/1666-segeln-auf-sicht
Danke für den Hinweis, Olaf. Und mea culpa, denn ich hatte doch tatsächlich vergessen dein Buch zu verlinken. Das habe ich jetzt auch im Text nachgeholt, denn doppelt genäht hält besser.
Lieber Marcus, wunderbarer Beitrag. Als ich es gelesen habe, habe ich intuitiv den Text auf mich.… mich persönlich umformuliert und schon wird daraus ein wunderbarer Artikel über agile Leadership und Selbstführung, z.B…
(Ganz spontan, nicht durchdacht ;-)):
Agile Führung ist in erster Linie eine Frage der Haltung und die heißt Segeln auf Sicht. Während klassische Mitarbeiter Entwicklungsplanung bemüht sich immer möglichst vollständig zu analysieren, zu planen und dann umzusetzen, stellen sich agile Führungskräfte ganz pragmatisch die Frage, was sie hier und heute tun können, um das Team, den Mitarbeiter, den Kollegen ein Stück mehr zu unterstützen, zu weiterzubringen, den Kreativitätsrahmen zu verbessern und weiterzuentwickeln.….
Bist Du daran interessiert, nachdem ich den Artikel als Inspiration nutze und es weiter für mich umschreibe, dass ich es mit Dir und Deinen Followern teile?
Liebe Grüße
Isabella
Interessante Idee, liebe Isabella. Mach‘ das gerne und teile es.
Lieber Marcus, hier der Text zu meiner Selbstführung-Erfahrung, inspieriert durch Deinen Artikel. Feedback sehr willkommen. Ich folge hier auch wieder einem Impuls ohne den gesamten Kontext zu kennen, es fühlte sich nur irgendwie gut an, es zu schreiben.
„Bei Selbstführung dachte ich früher an effizientes Management der eigenen Arbeitsweise, häufig auch Selbstmanagement genannt. Hier gibt es Methoden des Zeitmanagements, Kanban Boards, fancy Organizer und so viel mehr. Sogar positive Gedankenmuster sind in einer Selbstführungs-Toolbox zu finden. Irgendwie hat mich der anfängliche Enthusiasmus immer wieder verlassen und schon sah ich mich wieder nach neuen Tools und Methoden suchen. Die kunstvoll zelebrierten Handlungen sind irgendwie ohne sichtbare Wirkung geblieben. Doch irgendwann habe ich es gepackt. Seitdem ist Selbstführung für mich in erster Linie eine Frage der Haltung und in der Umsetzung heißt es „Segeln auf Sicht“. Anstatt meine ToDo Listen zu analysieren, langfristige Entwicklungspläne zu formulieren und mit einem Masterplan zu versehen, frage ich mich jeden Tag ganz pragmatisch: Was kann ich heute tun, um mir und meinen Mitmenschen Rahmenbedingungen zu schaffen um mit möglichst viel Freude gute Arbeit zu leisten, hilfreich zu sein, und weiter zu wachsen. Wenn ich nur eine Sache umsetzen kann ist der Tag sinnvoll und erfolgreich verlaufen.
Der steigenden Komplexität der Welt kann ich nicht mit mehr Analyse und mehr Planung begegnen. Gefragt ist jetzt ein grundlegender Paradigmenwechsel. Es geht mir jetzt darum, diese inhärente Unsicherheit anzuerkennen anstatt sie zu leugnen und Komplexität nicht mit Kompliziertheit zu verwechseln. Meine Reaktion auf Unsicherheit heißt, meinen „Inneren Kompass zu befragen“ und auf Sicht segeln in die Richtung, die sich richtig und gut anfühlt. Dabei sind meine persönlichen Werte ganz entscheidend. Wenn ich meinen Werten folge, kann auf lange Sicht nichts schieflaufen. Davon bin ich überzeugt.
Jeder Weg beginnt mit einem ersten Schritt. Selbstführung steht und fällt mit dem Mut zu diesem ersten Schritt gerade ohne vollständige Kenntnis wie es ausgehen wird. In der Zwischenzeit kenne ich meine persönlichen Werte, diese habe ich über längeren Zeitraum intensiv beobachtet und da haben sich einige deutlich hervorgehoben. Jährlich überprüfe ich diese und justiere falls erforderlich. Meine Werte sind der beste Kompass beim Segeln auf Sicht
Selbstführung bedeutet eben nicht Chaos oder Planlosigkeit. Im Gegenteil braucht Selbstführung einen klaren Rahmen zur Orientierung. Segeln auf Sicht funktioniert nur mit einem verlässlichen Kompass. Ich habe nicht den Anspruch, zu sagen wo ich in 5 – 10 Jahren sein will (einer der berühmten Fragen in den Interviewgesprächen), sondern frage mich von Tag zu Tag, Woche zu Woche immer wieder, was ich hier und heute tun kann um die (meine) Welt besser zu machen. Aber gerade dazu muss mir jederzeit klar sein, in welcher Richtung dieses besser liegt?
(PS: Entstanden während ich den Artikel von Marcus Raitner „Segeln auf Sicht“ las.)
Eure Isabella“
Vielen Dank, liebe Isabella, für diese Uminterpretation des Artikels in Richtung Selbstführung. Ich habe mir erlaubt deinen Kommentar noch typografisch ein wenig hübscher zu machen.
Lieber Marcus, lieben Dank!