Ganztags und Vollzeit

Unter den Hash­tags #mut­ter­tags­wunsch und #vater­tags­wunsch fin­det man auf Twit­ter der­zeit einen guten Über­blick über die The­men die Müt­ter und Väter heu­te bewe­gen. Nicht weni­ge davon han­deln von der Ver­ein­bar­keit von Beruf und Fami­lie oder bes­ser gesagt von ihrer Unver­ein­barb­keit. Trotz Eltern­zeit, Eltern­geld und flä­chen­de­cken­dem Aus­bau der Kin­der­ta­ges­stät­ten, füh­len vie­le Eltern immer noch zer­ris­sen zwi­schen den bei­den Polen ihres Lebens. Oder viel­leicht gera­de deswegen?

Die Poli­tik hat vie­les getan, um den Wunsch nach Berufs­tä­tig­keit von Eltern kom­pa­ti­bel mit den gewohn­ten Norm­ar­beits­ver­hält­nis­sen der Indus­trie zu machen. Eltern arbei­ten Voll­zeit, wäh­rend die Kin­der ganz­tags betreut wer­den in Kin­der­tags­stät­ten, Kin­der­gär­ten und Schu­len. Bequem ist das nicht zuletzt für die Unter­neh­men, für die Voll­zeit­kräf­te wei­ter­hin die Norm sind. Wer vor die­sem Hin­ter­grund ein Umden­ken der Unter­neh­men in Rich­tung hoch­fle­xi­ble und fami­li­en­freund­lich Arbeits­mo­del­le for­dert, ist reich­lich naiv. Da hilft auch kein gesetz­li­cher Anspruch auf Teil­zeit, wenn die Unter­neh­mens­kul­tur Teil­zeit­ar­beit als Arbeit zwei­ter Klas­se unter den Ver­dacht der Min­der­leis­tung stellt und mehr oder weni­ger offen sanktioniert.

Die klas­si­sche Voll­zeit­be­schäf­ti­gung mit 40 Stun­den und mehr an einem fest­ge­leg­ten Arbeits­ort plus Fahr­zei­ten ist alles ande­re als fami­li­en­freund­lich. Für ech­te Qua­li­täts­zeit mit der Fami­lie bleibt da täg­lich kaum mehr als ein paar Minu­ten und ansons­ten Wochen­en­de und Urlaub. Vor eini­gen Jahr­zehn­ten war das nicht anders, betraf aber größ­ten­teils die Väter. Das Pro­blem der Ver­ein­bar­keit von Beruf und Fami­lie wur­de daher in ers­ter Linie als Pro­blem der Müt­ter gese­hen. Und um die­ses Pro­blem zu lösen, wur­den Rah­men­be­din­gun­gen geschaf­fen, damit auch Müt­ter schnellst­mög­lich wie­der Voll­zeit am Arbeits­le­ben teil­ha­ben kön­nen. Eine nahe­lie­gen­de und für die Unter­neh­men sehr beque­me Lösung, aber eben auch eine ver­ge­be­ne Chan­ce für fami­li­en­freund­li­che­re Arbeitsmodelle.

Unab­hän­gig von die­ser fami­li­en­po­li­ti­schen und indi­vi­du­el­len Betrach­tung ste­hen uns in den nächs­ten Jah­ren im Zuge der Digi­ta­li­sie­rung dra­ma­ti­sche Ver­wer­fun­gen auf dem Arbeits­markt ins Haus, die einen Abschied vom gän­gi­gen Para­gig­ma der Voll­zeit-Voll­be­schäf­ti­gung nahe­le­gen. Laut der bekann­ten Stu­die von Carl Frey und Micha­el Osbor­ne sind in den USA in den nächs­ten 10 bis 20 Jah­ren 47% aller Jobs in Gefahr durch Soft­ware oder intel­li­gen­te Robo­ter ersetzt zu wer­den. Umge­rech­net auf Deutsch­land (und schön­ge­rech­net für unse­re Arbeits­mi­nis­te­rin) kommt das ZEW Mann­heim immer noch auf 12% aller Jobs, was etwa 5 Mil­lio­nen ent­spricht (vgl. Die Digi­ta­li­sie­rung gefähr­det 5 Mil­lio­nen Jobs in Deutsch­land). Zwar wird auch die­se indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on lang­fris­tig ver­mut­lich zu mehr oder jeden­falls bes­se­rer Arbeit füh­ren, zwi­schen­zeit­lich auf­grund ihrer rasan­ten Geschwin­dig­keit und ihrer glo­ba­len Aus­brei­tung zu mas­si­ven Ver­wer­fun­gen führen.

Daher brau­chen wir in Gesell­schaft, Wirt­schaft und Poli­tik drin­gend einen neu­en Dis­kurs über hoch­fle­xi­ble Arbeits­mo­del­le jen­seits der anti­quier­ten, aber beque­men, Voll­zeit­be­schäf­ti­gung an einem fes­ten Arbeits­ort. Ers­te Unter­neh­men haben das auch schon erkannt wie jüngst Micro­soft mit der Ein­füh­rung des Ver­traus­ar­beits­orts. Im Prin­zip geht es nun dar­um, die Chan­cen der Digi­ta­li­sie­rung auch und gera­de auf die Zusam­men­ar­beit in Orga­ni­sa­tio­nen anzu­wen­den. Es geht dar­um, ört­lich ver­teilt und zeit­lich asyn­chron zusam­men­zu­ar­bei­ten. Und zwar nicht nur aus­nahms­wei­se, weil man wegen des Hand­wer­kers gera­de Home­of­fice macht (nach Geneh­mi­gung durch den Vor­ge­setz­ten), son­dern als Nor­mal­zu­stand der Zusam­men­ar­beit. Tech­nisch gibt es die Mög­lich­kei­ten schon lan­ge, kul­tu­rell ist das in vie­len Unter­neh­men aller­dings noch ein wei­ter Weg ange­sichts des übli­chen Prä­senz­kults, in dem wir Beschäf­tigt­sein mit Pro­duk­ti­vi­tät verwechseln.



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