Unter den Hashtags #muttertagswunsch und #vatertagswunsch findet man auf Twitter derzeit einen guten Überblick über die Themen die Mütter und Väter heute bewegen. Nicht wenige davon handeln von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder besser gesagt von ihrer Unvereinbarbkeit. Trotz Elternzeit, Elterngeld und flächendeckendem Ausbau der Kindertagesstätten, fühlen viele Eltern immer noch zerrissen zwischen den beiden Polen ihres Lebens. Oder vielleicht gerade deswegen?
Die Politik hat vieles getan, um den Wunsch nach Berufstätigkeit von Eltern kompatibel mit den gewohnten Normarbeitsverhältnissen der Industrie zu machen. Eltern arbeiten Vollzeit, während die Kinder ganztags betreut werden in Kindertagsstätten, Kindergärten und Schulen. Bequem ist das nicht zuletzt für die Unternehmen, für die Vollzeitkräfte weiterhin die Norm sind. Wer vor diesem Hintergrund ein Umdenken der Unternehmen in Richtung hochflexible und familienfreundlich Arbeitsmodelle fordert, ist reichlich naiv. Da hilft auch kein gesetzlicher Anspruch auf Teilzeit, wenn die Unternehmenskultur Teilzeitarbeit als Arbeit zweiter Klasse unter den Verdacht der Minderleistung stellt und mehr oder weniger offen sanktioniert.
Die klassische Vollzeitbeschäftigung mit 40 Stunden und mehr an einem festgelegten Arbeitsort plus Fahrzeiten ist alles andere als familienfreundlich. Für echte Qualitätszeit mit der Familie bleibt da täglich kaum mehr als ein paar Minuten und ansonsten Wochenende und Urlaub. Vor einigen Jahrzehnten war das nicht anders, betraf aber größtenteils die Väter. Das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie wurde daher in erster Linie als Problem der Mütter gesehen. Und um dieses Problem zu lösen, wurden Rahmenbedingungen geschaffen, damit auch Mütter schnellstmöglich wieder Vollzeit am Arbeitsleben teilhaben können. Eine naheliegende und für die Unternehmen sehr bequeme Lösung, aber eben auch eine vergebene Chance für familienfreundlichere Arbeitsmodelle.
Wir brauchen bessere Modelle der Vereinbarkeit von Beruf und Familie als Vollzeit für Eltern und ganztags für Kinder. #vatertagswunsch
— Marcus Raitner (@marcusraitner) 5. Mai 2016
Unabhängig von dieser familienpolitischen und individuellen Betrachtung stehen uns in den nächsten Jahren im Zuge der Digitalisierung dramatische Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt ins Haus, die einen Abschied vom gängigen Paragigma der Vollzeit-Vollbeschäftigung nahelegen. Laut der bekannten Studie von Carl Frey und Michael Osborne sind in den USA in den nächsten 10 bis 20 Jahren 47% aller Jobs in Gefahr durch Software oder intelligente Roboter ersetzt zu werden. Umgerechnet auf Deutschland (und schöngerechnet für unsere Arbeitsministerin) kommt das ZEW Mannheim immer noch auf 12% aller Jobs, was etwa 5 Millionen entspricht (vgl. Die Digitalisierung gefährdet 5 Millionen Jobs in Deutschland). Zwar wird auch diese industrielle Revolution langfristig vermutlich zu mehr oder jedenfalls besserer Arbeit führen, zwischenzeitlich aufgrund ihrer rasanten Geschwindigkeit und ihrer globalen Ausbreitung zu massiven Verwerfungen führen.
Daher brauchen wir in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik dringend einen neuen Diskurs über hochflexible Arbeitsmodelle jenseits der antiquierten, aber bequemen, Vollzeitbeschäftigung an einem festen Arbeitsort. Erste Unternehmen haben das auch schon erkannt wie jüngst Microsoft mit der Einführung des Vertrausarbeitsorts. Im Prinzip geht es nun darum, die Chancen der Digitalisierung auch und gerade auf die Zusammenarbeit in Organisationen anzuwenden. Es geht darum, örtlich verteilt und zeitlich asynchron zusammenzuarbeiten. Und zwar nicht nur ausnahmsweise, weil man wegen des Handwerkers gerade Homeoffice macht (nach Genehmigung durch den Vorgesetzten), sondern als Normalzustand der Zusammenarbeit. Technisch gibt es die Möglichkeiten schon lange, kulturell ist das in vielen Unternehmen allerdings noch ein weiter Weg angesichts des üblichen Präsenzkults, in dem wir Beschäftigtsein mit Produktivität verwechseln.