Organisationsrebellen: Veränderung braucht Störung

Aris­to­te­les mein­te einst: „Ein guter Mensch ist nicht immer ein guter Bür­ger.“ Ent­spre­chend ist ein guter Mit­ar­bei­ter nicht immer ein ange­pass­ter Mit­ar­bei­ter. Orga­ni­sa­ti­ons­re­bel­len sor­gen des­halb für Stö­rung und hal­ten die Orga­ni­sa­tio­nen leben­dig. Anläss­lich der Blog­pa­ra­de #Orga­ni­sa­ti­ons­re­bel­len gibt die­ser Bei­trag einen Über­blick über das gepfleg­te Rebel­len­tum begin­nend mit einer Her­lei­tung aus dem zivi­len Unge­hor­sam über die Prin­zi­pi­en für Orga­ni­sa­ti­ons­re­bel­len bis zur Fra­ge, wie man sol­che Rebel­len för­dert, for­dert und coacht.

Der zivile Ungehorsam als Fundament

Wenn aber das Gesetz so beschaf­fen ist, dass es not­wen­di­ger­wei­se aus dir den Arm des Unrechts an einem ande­ren macht, dann, sage ich, brich das Gesetz. Mach’ dein Leben zu einem Gegen­ge­wicht, um die Maschi­ne auf­zu­hal­ten. Jeden­falls muss ich zuse­hen, dass ich mich nicht zu dem Unrecht her­ge­be, das ich verdamme.
Hen­ry David Thoreau

Der zivi­le Unge­hor­sam ist eine Form des Wider­stands inner­halb einer bestehen­den Ord­nung. Er lehnt die bestehen­den Struk­tu­ren nicht ab und hat nicht eine Auf­lö­sung der Sys­tems zum Ziel. Wer zivi­len Unge­hor­sam übt, stellt sich also nicht außer­halb der Ord­nung, son­dern nimmt ganz bewusst auch eine Bestra­fung sei­nes öffent­lich zele­brier­ten Unge­hor­sams in Kauf. Durch die­se Bereit­schaft sogar eine Bestra­fung zu ris­kie­ren wird sein Wider­stand aber extrem authen­tisch und zu einer Sache tiefs­ter mora­li­scher Überzeugung.

Bekannt wur­de der Begriff spä­tes­tens durch das Essay „On the Duty of Civil Dis­o­be­dience“ von Hen­ry David Tho­reau, in dem er erklär­te, war­um er aus Pro­test gegen den Krieg gegen Mexi­ko und die Skla­ven­hal­tung kei­ne Steu­ern mehr bezahl­te. Er ver­stieß damit ganz bewusst und öffent­lich gegen gel­ten­des Recht, um auf eine (in Bezug auf ein höhe­res Recht begrün­de­te) Unrechts­si­tua­ti­on hin­zu­wei­sen und durch die­sen gewalt­frei­en öffent­li­chen Akt des Pro­tests eine Ver­än­de­rung zu bewirken.

Den red­li­chen Bür­ger zeich­net also gera­de nicht abso­lu­ter Gehor­sam aus, son­dern ein qua­li­fi­zier­ter Rechts­ge­hor­sam (Jür­gen Haber­maß). Und das schließt not­wen­di­ger­wei­se den Wider­stand in Form zivi­len Unge­hor­sams ein. Dar­aus resul­tiert auch der mora­li­sche Auf­trag für Orga­ni­sa­ti­ons­re­bel­len. Sie arbei­ten nicht gegen die Orga­ni­sa­ti­on, viel­mehr hat ihr Regel­bruch immer die Ver­bes­se­rung der Orga­ni­sa­ti­on zum Ziel. Sie iden­ti­fi­zie­ren sich mit der Orga­ni­sa­ti­on und dem eigent­li­chen Zweck der Orga­ni­sa­ti­on, aber nicht not­wen­di­ger­wei­se mit allen damit nicht kohä­ren­ten Regeln oder einer als hin­der­lich emp­fun­de­nen Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur. Ihr Anders­den­ken und Anders­ma­chen ist dadurch die ent­schei­den­de Stö­rung, um Orga­ni­sa­tio­nen vor Selbst­ge­fäl­lig­keit und Träg­heit zu bewahren.

10 Prinzipien für Organisationsrebellen

While it’s true that every com­pa­ny needs an entre­pre­neur to get it under way, healt­hy growth requi­res a smat­te­ring of intra­pre­neurs who dri­ve new pro­jects and explo­re new and unex­pec­ted direc­tions for busi­ness development.
Richard Bran­son

Gif­ford Pin­chot III stell­te 1986 in sei­nem Buch „Intra­pre­neu­ring: Why You Don’t Have to Lea­ve the Cor­po­ra­ti­on to Beco­me an Entre­pre­neur“ (Ama­zon Affi­lia­te-Link) 10 Gebo­te für Intra­pre­neu­re auf, die er spä­ter noch um sechs wei­te­re ergänz­te und prä­zi­sier­te. Ange­lehnt dar­an und ange­rei­chert mit einer Pri­se Working Out Loud und Effec­tua­ti­on hal­te ich die­se Prin­zi­pi­en für das Wir­ken von Orga­ni­sa­ti­ons­re­bel­len für wichtig:

  1. Seid mutig – seid radi­kal. Kommt jeden Tag mit der Bereit­schaft zur Arbeit, gefeu­ert zu werden.
  2. Habt eine gro­ße Visi­on und kla­re Prin­zi­pi­en die euch leiten.
  3. Fokus­siert euch auf die nächs­ten kon­kre­ten Schrit­te, die ihr hier und heu­te unab­hän­gig von eurer Stel­len­be­schrei­bung unter­neh­men könnt, um eurer Visi­on näher zu kommen.
  4. Fin­det Ver­bün­de­te, ver­netzt euch und wer­det eine Bewegung.
  5. Umgeht Regeln und Anord­nun­gen, um ein Ziel zu errei­chen, aber nie zum Selbstzweck.
  6. Arbei­tet solan­ge wie mög­lich im Unter­grund – zu viel Sicht­bar­keit zu früh weckt das Immun­sys­tem der Organisation.
  7. Seid dank­bar für Unterstützung.
  8. Lernt aus Wider­stand und Niederlagen.
  9. Seid beharr­lich im Bemü­hen und beschei­den in der Erfolgs­er­war­tung. (Götz W. Werner)
  10. Han­delt stets zum Woh­le der Orga­ni­sa­ti­on und ihrer Kunden.

Rebellen führen, fordern und coachen

The key to the cul­tu­re chan­ge was indi­vi­du­al empower­ment. We some­ti­mes unde­re­sti­ma­te what we each can do to make things hap­pen, and ove­re­sti­ma­te what others need to do for us. I beca­me irri­ta­ted once during an employee Q&A when someone asked me, „Why can’t I print a docu­ment from my mobi­le pho­ne?“ I poli­te­ly told him, „Make it hap­pen. You have full authority.“
Satya Nadel­la, Hit Refresh

Wer als Füh­rungs­kraft Rebel­len för­dern will, braucht eine Kul­tur in der Viel­falt und Dis­sens gut gedei­hen. Es braucht einen geschütz­ten Raum, in dem es gewünscht und geschätzt wird, den Sta­tus quo zu hin­ter­fra­gen. Und die­ser Raum erstreckt sich über den eigent­li­chen Ver­ant­wor­tungs­be­reich der Füh­rungs­kraft hin­aus. Im Dschun­gel der Poli­tik in der Orga­ni­sa­ti­on gibt es genü­gend Fall­stri­cke, die eine sofor­ti­ge und mehr oder weni­ger har­te Immun­re­ak­ti­on des Sys­tems aus­lö­sen. Die­se Fall­stri­cke zu erken­nen und zu ver­mei­den und so sei­ne Rebel­len zu beschüt­zen, ist Auf­ga­be der Füh­rungs­kraft. Und macht sie damit selbst zum Rebellen.

Rebel­len brau­chen Frei­raum, um einer­seits den Sta­tus quo hin­ter­fra­gen zu kön­nen und etwas Neu­es aus­pro­bie­ren zu kön­nen. Rich­tig gut wird es, wenn nicht nur weni­ge aus­er­wähl­te Rebel­len die­sen Frei­raum haben, son­dern mög­lichst vie­le, so dass die rebel­li­schen Ideen auf posi­ti­ve Reso­nanz tref­fen kön­nen. Eine wesent­li­che Füh­rungs­auf­ga­be ist es daher, die­sen Frei­raum zu schaf­fen durch kon­se­quen­te Fokus­sie­rung auf das Wesent­li­che und eine Kul­tur der Nach­hal­tig­keit in der Beschäf­tigt­sein nicht mit Pro­duk­ti­vi­tät ver­wech­selt wird.

Je län­ger man nun über die­se Auf­ga­ben der Füh­rung nach­denkt, des­to mehr kommt man zu dem Schluss, dass das alles eigent­lich gar nicht so viel mit Rebel­len zu tun hat. Oder anders gesagt: Jeder Mit­ar­bei­ter soll­te wie ein Rebell geführt wer­den. Jeder soll­te Frei­raum haben, sich aus­zu­pro­bie­ren und zu ler­nen ohne in den Müh­len der Poli­tik unter­zu­ge­hen. Jeder soll­te den Frei­raum haben, über den Tel­ler­rand zu schau­en und den Sta­tus quo zu hin­ter­fra­gen. Und jeder soll­te ermäch­tigt und ermu­tigt wer­den, davon auch Gebrauch zu machen. Genau des­halb fin­den sich die­se Grund­sät­ze im Mani­fest für mensch­li­che Füh­rung, das hier bei der Gele­gen­heit auch ger­ne gleich unter­zeich­net wer­den darf.

Manifesto for human leadership



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2 Kommentare

Volker 11. Oktober 2019 Antworten

Guter Ansatz, lie­ber Mar­cus! Ich hof­fe, du denkst den mal so rich­tig zuen­de.. dann ist näm­lich Schluss mit dem lus­ti­gen Begriffs­klim­bim aus der Agi­le­kis­te von Pla­s­tic­gre­ta­t­hun­berg. Dann sind wir wir in der lin­ken Agi­ta­ti­on, oder woll­test du sagen, dass der zivi­le Unge­hor­sam zum Mana­ge­re­per­toire gehö­ren sollte?
Ich freue mich auf die Füh­rer, die zum Mon­tags­mee­ting ein­fach nicht erschei­nen, oder die ohne zu fra­gen, um drei nachv­Hau­se gehen, oder einen Report für das Con­trol­ling ein­fach ver­ges­sen. Noch bes­ser, sich nicht feu­ern las­sen.. haha!! Sehr gut!!

Marcus Raitner 11. Oktober 2019 Antworten

Dan­ke für Dei­nen Kom­men­tar, Vol­ker. Ich bin sel­ten ver­sucht, Kom­men­ta­re zu löschen, aber bei dei­nem war ich kurz davor. Nicht weil ich nicht mit dir dis­ku­tie­ren will über den Arti­kel und dei­ne Mei­nung dazu, son­dern weil du völ­lig unnö­tig in dei­nem Kom­men­tar ein sehr enga­gier­tes und muti­ges 16-jäh­ri­ges Mäd­chen angreifst. Aber gut, ich weiß nicht in wel­cher Stim­mung du das schriebst und ken­ne dei­nen Hin­ter­grund nicht. 

Auf dei­nen Kom­men­tar will ich aber ger­ne ant­wor­ten, denn er spricht ein mög­li­ches Miss­ver­ständ­nis an. Es geht mir ganz und gar nicht um Stö­rung um der Stö­rung wil­len oder nur dar­um Kra­wall zu for­dern. Es geht mir um kon­struk­ti­ve Irri­ta­ti­on, die übri­gens Gre­ta Thun­berg auch bes­tens beherrscht. Wenn also jemand ein­fach sei­nen Job nicht macht, weil er kei­ne Lust hat, ist das etwas ande­res wie wenn er nicht kommt oder eher geht, weil er damit ver­hin­dert, dass zum Bei­spiel Schum­mel­soft­ware ent­wi­ckelt wird. Zivi­ler Unge­hor­sam bezieht sich immer auf eine höhe­re mora­li­sche Instanz und ist nie nur Kra­wall. Er stört ja, aber er stört aus gutem Grund.

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