Wissen ist Macht – Geteiltes Wissen ist Schnelligkeit

Sie ken­nen das: „Wer hat Ihnen befoh­len zu den­ken?! Ich gebe Ihnen gar­nicht genug Infor­ma­tio­nen, daß es sich lohnt zu den­ken. Sie wer­den nur das tun, was man Ihnen befiehlt!“ Die­ses Zitat aus dem Film Total Recall beschreibt etwas über­spitzt aber den­noch prin­zi­pi­ell recht tref­fend die Infor­ma­ti­ons- und die damit kor­re­lie­ren­de Macht­ver­tei­lung in vie­len hier­ar­chi­schen Orga­ni­sa­tio­nen. Je höher in der Hier­ar­chie, des­to mehr Wis­sen steht zur Ver­fü­gung. Dazu wan­dern Infor­ma­tio­nen von unten nach oben und rei­chern das ver­füg­ba­re Wis­sen je Stu­fe an. Ent­schei­dun­gen wer­den dann auf der nied­rigs­ten Ebe­ne getrof­fen, die dafür über aus­rei­chend brei­tes Kon­text­wis­sen ver­fügt. Die­se Ent­schei­dun­gen wan­dern dann von oben nach unten, wer­den dabei in Hand­lungs­an­wei­sun­gen über­setzt und aus­ge­führt. So weit, so gewohnt.

In der Anfangs­zeit der Indus­tria­li­sie­rung war das ver­mut­lich ein geeig­ne­tes Prin­zip, um in gro­ßen Orga­ni­sa­tio­nen gute Ent­schei­dun­gen zu tref­fen. Es war damals einer­seits tech­nisch viel schwie­ri­ger und teu­rer als heu­te Infor­ma­tio­nen zu ver­tei­len, zu agg­re­gie­ren und in Wis­sen umzu­wan­deln. Ande­rer­seits waren auch viel weni­ger Mit­ar­bei­ter auf­grund des deut­lich nied­ri­ge­ren Bil­dungs­ni­veaus über­haupt in der Lage auf Basis die­ses Kon­text­wis­sens gute Ent­schei­dun­gen zu tref­fen. Zwar dau­er­te die­ser Ent­schei­dungs­pro­zess lan­ge, man­cher Arbei­ter ver­stand dann die Anwei­sung man­gels Kon­text­wis­sen nicht rich­tig und man­cher Arbei­ter hät­te mit dem voll­stän­di­gen Kon­text­wis­sen vor Ort eine ande­re und bes­se­re Ent­schei­dung tref­fen kön­nen, aber die­se Nach­tei­le hat­te alle ande­ren auch und waren inso­fern vernachlässigbar. 

Al-Qai­da im Irak war voll­kom­men anders als die Grup­pen, die wir kann­ten. Sie waren ver­netzt, hat­ten aber kei­ne Hier­ar­chien; es gab kei­ne Befeh­le von oben an die Basis; sie hiel­ten kei­ne Tref­fen ab. Des­we­gen waren sie fle­xi­bel, anpas­sungs­fä­hig und konn­ten schnell han­deln. Es war fast unmög­lich, sie zu schlagen.
Stan­ley McChrystal

Mitt­ler­wei­le haben sich die Vor­aus­set­zun­gen aber kom­plett geän­dert. Die Ver­tei­lung und Ver­ar­bei­tung von Infor­ma­tio­nen ist heu­te tech­nisch kein Pro­blem mehr und es ist ohne gro­ße Kos­ten mög­lich, allen über­all das vol­le Wis­sen zur Ver­fü­gung zu stel­len. Zudem ist das Bil­dungs­ni­veau aller Betei­lig­ten viel höher, so dass mit dem nöti­gen Kon­text­wis­sen dezen­tra­le Ent­schei­dun­gen am Ort des Gesche­hens signi­fi­kant schnel­ler und bes­ser sind. Genau die­sen Effekt beschreibt Gene­ral Stan­ley McChrys­tal über sei­nen Ein­satz im Irak in dem Inter­view bei brand­eins: „Wir hat­ten zwar gute Infor­ma­tio­nen, aber bis sie durch die Befehls­ket­te gewan­dert waren, waren sie ver­al­tet und nicht mehr brauch­bar.“ Also schaff­te McChrys­tal die Befehl­ket­te ab, streu­te Wis­sen in die Brei­te und dezen­tra­li­sier­te Entscheidungen. 

Statt die Infos nach oben und die Befeh­le nach unten zu schi­cken, streu­ten wir Wis­sen in die Brei­te. Plötz­lich konn­ten alle Sol­da­ten unter mei­nem Kom­man­do den vol­len Kon­text verstehen.
Stan­ley McChrystal

Was ein­fach und logisch klingt, ist aber für alle Betei­lig­ten ein revo­lu­tio­nä­rer Para­dig­men­wech­sel. Wis­sen ist Macht und wer Wis­sen streut ver­liert nach die­ser Logik an Macht. Einer­seits. Wis­sen bedeu­tet in dem Zusam­men­hang ande­rer­seits auch Ver­ant­wor­tung für Ent­schei­dun­gen und das ver­un­si­chert und über­for­dert anfangs. Den­noch liegt genau in der offe­nen Ver­tei­lung von Wis­sen, dem Auf­bre­chen von funk­tio­na­len Silos, der hohen Ver­net­zung und der kon­se­quen­ten Dezen­tra­li­sie­rung von Ent­schei­dun­gen der Schlüs­sel zu der Schnel­lig­keit und Anpas­sungs­fä­hig­keit, die in den heu­ti­gen Märk­ten zuneh­mend über­le­bens­not­wen­dig wird. Immer dann ganz beson­ders, wenn neben die eta­blier­ten und ent­spre­chend tra­di­tio­nell struk­tu­rier­ten Unter­neh­men meis­tens durch neue und dis­rup­ti­ve Tech­no­lo­gien ermög­licht neue Markt­teil­neh­mer tre­ten, die sich ohne den his­to­ri­schen Bal­last ent­spre­chend den heu­ti­gen Mög­lich­kei­ten aufstellen.

Wir konn­ten auch die Ent­schei­dun­gen nach unten dele­gie­ren. Dadurch haben wir gro­ße Fort­schrit­te gemacht und stark an Tem­po gewon­nen. Aus vor­her 18 Ein­sät­zen im Monat wur­den 300. Zudem wur­den wir erfolg­rei­cher. Zum einen weil die Leu­te, die Ent­schei­dun­gen tra­fen, näher am Ort des Gesche­hens waren. Sie kann­ten sich also bes­ser aus und tra­fen des­we­gen bes­se­re Ent­schei­dun­gen. Zum ande­ren fühl­ten sie sich ver­ant­wort­lich, weil der Befehl zum Han­deln nicht von oben kam, son­dern sie aktiv dar­an betei­ligt waren.
Stan­ley McChrystal

Wenn nun aber Wis­sen nicht mehr Pri­vi­leg und Ent­schei­dun­gen nicht mehr Auf­ga­be der Hier­ar­chie sind, was macht Chef dann? Auch dafür hat Gene­ral McChrys­tal eine Ant­wort gefun­den: „Er darf nicht mehr auf neue Infor­ma­tio­nen war­ten und dann ent­schei­den, son­dern er muss zu einem Mode­ra­tor wer­den, der Gesprä­che anlei­tet. Das ist ein bedeu­ten­der Unter­schied. Vor­her war ich der Kom­man­deur, der jeden Ein­satz frei­gab. Spä­ter bewil­lig­te ich kei­nen ein­zi­gen Ein­satz mehr. Den­noch war ich stän­dig beschäf­tigt, weil ich ein gro­ßes Gespräch mode­rier­te.“ Eigent­lich ganz ein­fach, oder?

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

1 Kommentar

Wis­sen ist Macht“ in einer viel schö­ne­ren Bedeutung.
Ein ande­rer Spruch in der Rich­tung war doch „Divi­de et impe­ra!“, oder?
„Tei­le und herr­sche“ – Auch das lie­ße sich heut­zu­ta­ge völ­lig neu interpretieren.
Wer Wis­sen offen, trans­pa­rent und gleich­be­rech­tigt teilt, eröff­net völ­lig neue Mög­lich­kei­ten, gemein­sam mit ande­ren erfolg­reich zu sein.

Dazu gehört aber nicht nur Wis­sen zu tei­len, son­dern auch Ver­ant­wor­tung und Kom­pe­ten­zen. Es nützt mir gar nichts, wenn das Team an der Front alle rele­van­ten Infor­ma­tio­nen hat, damit aber nichts ent­schei­den darf.
Nor­mal­fall in Unter­neh­men, im Mili­tär aber auch schon anders gelöst, durch Ent­schei­dungs­frei­heit vor allem bei Ver­lust der Ver­bin­dung zum HQ und durch „Füh­ren mit Auf­trag“, also expli­zi­ter Ver­schie­bung tak­ti­scher Ent­schei­dun­gen auf die Grup­pen- oder Zugebene.

Anders gesagt: Ent­schei­dun­gen soll­ten die­je­ni­gen tref­fen, die deren Aus­wir­kun­gen am bes­ten abschät­zen und bewer­ten kön­nen, und die gege­be­nen­falls auch die Kon­se­quen­zen tra­gen müssen.
Und, mit Ver­laub, das sind meist nicht die Mana­ger im hei­mi­schen Hauptquartier.

Dabei geht es nicht gleich um Basis­de­mo­kra­tie, son­dern zunächst mal um die Ver­la­ge­rung der Kom­pe­tenz in die Nähe des Gesche­hens, in die Lage sozusagen.
Das muß nicht not­wen­di­ger­wei­se durch Über­tra­gung von Kom­pe­ten­zen gesche­hen, son­dern kann auch bedeu­ten, daß der „Chef“ dau­er­haft mit beim Kun­den vor Ort ist. Je nach Struk­tur des Teams kann das Eine oder das Ande­re der rich­ti­ge Weg sein.

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