In vielen Organisationen sind Anerkennung und Wertschätzung auch heute noch Mangelware. Die Organisationen werden immer noch als Maschinen gesehen, in der die Mitarbeiter die ihnen zugewiesene Aufgabe auszufüllen haben. In diesem Modell gibt es nur funktionieren oder nicht (ausreichend) funktionieren und insofern viel mehr Tadel als Lob. Und das wenige Lob ist meistens vergiftet, weil es nicht bedingungslos genutzt wird, sondern als Mittel zu einem mehr oder weniger hintergründigen Zweck.
Das Shit-Sandwich
Wann hatten Sie Ihr letztes Shit-Sandwich? Schmeckte das Unerfreuliche wirklich besser eingepackt zwischen Erfreuliches? Und freuten Sie sich über das Lob, das die Kritik garnierte und angeblicher verträglicher machen soll? Nein? Darum nutzen Sie dieses Instrument auch nicht in Ihrem privaten Umfeld bei Ihren Freunden, Ihrem Partner oder Ihren Kindern. Hoffentlich.
Eine unausrottbare Eigenschaft im Wesen des Menschen ist sein Verlangen nach Anerkennung. William James
„Er war stets bemüht“
In den meisten Organisationen wird so selten aufrichtig gelobt oder auch nur gedankt, dass sofort die Frage nach dem Zweck, der hidden agenda, im Raum steht. „Er war stets bemüht, den Anforderungen gerecht zu werden“ klingt zwar wie ein Lob, bedeutet im Arbeitszeugnis aber eher, dass der Mitarbeiter trotz seines Bemühens nicht viel geschafft hat. Die Formel „nihil nisi bene“, also nichts außer Gutes zu sagen, gilt nicht nur im Todesfall. Auch der gerade seines Amtes enthobene Projektleiter wird für seine Arbeit von eben jenen gelobt, die ihm zuletzt öffentlich das Misstrauen aussprachen. So aufrichtig dieses Lob auch gewesen sein mag, so unglaubwürdig wirkt es, wenn der vorausgegangene Konflikt einfach totgeschwiegen wird. Den rosa Elefanten im Raum sollte man nicht ignorieren.
Sage mir, wer dich lobt, und ich sage dir, worin dein Fehler besteht.
Wladimir Iljitsch Lenin
Dankbarkeit zeigen
In fortschrittlicheren – oder jedenfalls menschlicheren – Organisationen und gerade im Kontext von Agilität findet sich der schöne Brauch der Kudo Cards. Dabei handelt es sich um Kärtchen im Format von Visitenkarten auf denen man handschriftlich einem Kollegen für einen guten Job dankt. Diese Form der öffentlichen Anerkennung steigert nicht nur die Motivation, sondern ist gleichzeitig eine gute Übung in Achtsamkeit. Dadurch bewegt sich der Fokus weg vom ewigen Lamentieren über die Anderen, das Managment und die Bürokratie zurück auf die positiven Aspekte der Zusammenarbeit und verstärkt diese. Bleibt noch zu klären, was richtiges Lob ist. Genau das erklärt das folgende Video zum Thema Growth Mindset sehr eindruckvoll.
Tadeln ist leicht; deshalb versuchen sich so viele darin. Mit Verstand loben ist schwer; darum tun es so wenige.
Anselm Feuerbach
21 Kommentare
es ist lange her, da hatte ich am Rande eines PM-Trainings mit einem der Geschäftsführer einen Disput über „Loben vs. Tadeln“, der GF war eindeutig eher fürs Tadeln. Irgendwann hat es mir gereicht und ich habe ihm gesagt: „nur wer regelmäßig bei Erfolg und guten Leistungen lobt, darf auch tadeln“. Natürlich ging der Disput danach in die nächste Runde! Ich habe meine Meinung bis heute nicht geändert, muss aber zugeben, dass kritisieren und tadeln uns Allen – auch mir – oft leichter fällt als zu loben und zu ermuntern.
Das glaube ich dir gerne, lieber Klaus. Mit dem Tadel sind wir immer schnell und das Lob oder auch nur ein Danke fällt uns schwer: „Ned g’schimpft is g’lobt genug!“ heißt es deshalb bei uns in Bayern.
Lob und Tadel entmündigen gleichermaßen den Menschen, sprich sie entziehen das Selbstvertrauen.
Wenn ein Kind dafür gelobt wird, was es als selbstverständlich annimmt, dies zu tun, da verdirbt es die Situation. Joan Liedloff hatte die Gelegenheit, sich bei einem indigenen Volk aufzuhalten, dass das Konzept des Lobens und Tadelns zur Manipulation nicht kannten. Als ich den Artikel las, hatte mich das regelrecht umgehauen …
Lob und Tadel – die Selbstvertrauen-zerstörende Kraft
Danke für diese interessante Ergänzung, lieber Martin! Grundsätzlich stimme ich auch zu, das Lob und Tadel beides auch manipulativen Charakter haben können und oft haben. Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass es schön wäre einfach ohne Hintergedanken Dankbarkeit zu zeigen.
Ja, es gibt da ein Wort, das immer häufiger durch das Netz geht: bedingungslos.
Du hast diese Bedingungslosigkeit als frisch gebackener Vater in der letzten Zeit wahrnehmen können. Diese kleinen Würmer sind auf uns angewiesen. Und wir behüten sie, geben ihnen also bedingungslos. Ich habe Eltern erlebt, die mit Liebesentzug als Strafe arbeiten, um ihr Kind das tun zu lassen, was sie meinen, dass es angemessen sei. Dabei haben diese Kinder häufig genug ihr Selbst aufgeben müssen, und spielten die geforderte Rolle, um geliebt zu werden. Das lässt sich auch leicht auf die Arbeitswelt übertragen.
Aktuell wird der Begriff mit dem Einkommen verbunden. Und auch hier möchte ich einen Artikel anreichen, der sich philosophisch theologisch damit beschäftigt, Menschen vorab zu geben. Das ist zwar auch nicht ganz bedingungslos. Aber so ist es ja auch mit unserer Umwelt, Sonne inklusive. Es ist einfach da und gibt uns:
Bedingungslos geliebt. Leistung zwischen Vorschuss und Bewährung
Vielen Dank für diesen philosophisch-theologischen Exkurs, lieber Martin! Natürlich hast du recht, dass Erziehung leider immer noch mit Abrichten gleichgesetzt wird und dazu ist dann jedes Mittel recht und Liebesentzug ist ein sehr starkes schnell wirksames Mittel. Leider mit vielen langfristigen Nebenwirkungen.
Man glaubt garnicht, wie man die Stimmung – und damit Arbeitsfreude und ‑leistung – im Team mit ehrlichen Lob steigern kann. Das Vertrauen als PM kann ich auch nur dann gewinnen, wenn man erkennt, dass ich gute Leistungen, auch in Teilbereichen, erkenne und würdige.
„Kein Tadel ist Lob genug“ ist ein dummer Spruch von schlechten Vorgesetzten. Aber kein Satz einer Führungskraft.
Hm, da Lobe in der Regel von oben herab kommt (ich bin der Meister), so ehrlich es sein mag, wäre Dank dann nicht sogar noch ehrlicher?
Lob ist tatsächlich als Begriff ein wenig vorbelastet: jedenfalls für mich klingt Lob immer von oben herab. Aber eigentlich geht es um Anerkennung und Dank. Mir wäre es, wie gesagt, lieber wenn diese Anerkennung im gesamten Team als Grundstimmung herrschen würde. Als Führungskraft kann man das natürlich vorleben, muss dann aber auch eine solche Kultur im Team fördern und nicht behindern (z.B. durch Incentives für Einzelleistung)
Danke für deinen Kommentar, lieber Jens. Noch besser wird die Freude und Leistung, wenn es gelingt, dass Dankbarkeit und Anerkennung im kompletten Team gelebt wird und nicht nur von oben nach unten. Dann fällt es dem Team auch sehr viel leichter kritisches anzusprechen und zu verbessern.
Da ich als PM Teil des Teams bin, mit besonderen Aufgaben, ist Lob nicht von oben herab. Und so kommt es auch nicht rüber.
Wenn man Respekt vor dem Team und der Menschen hat, sich selber als nichts besseres empfindet, ist das Lob nicht vergiftet und wird als inter pares empfunden.
Ja, auf Augenhöhe kommt ein „das hat mir gut gefallen“ deutlich anderes daher. Da schwingt dann die Freude am gemeinsam Geschaffenen mit :-)
Ich arbeite als Product Owner mit einem Team und sehe mich hier auch eher als Teil des Teams, auch wenn es vom Konstrukt her anders gedacht ist. Wenn ich aber die fachliche Anforderungen so beschreibe, dass noch viel Luft für eigene Phantasie im Team bleibt, dann gelingt das Ergebnis in der Regel deutlich besser, als wenn ich allein bis ins Detail formuliert habe. Und so kommt dann auch zum Schluss eher ein „ich finde, da haben wir was richtig Gutes geschaffen“ heraus …
Eine sehr weise und löbliche Haltung, lieber Martin. Sie zeugt von deiner großen Erfahrung!
Eine sehr löbliche und vorbildliche Haltung, lieber Jens, die aber leider nicht alle Führungskräfte teilen. Vielen geht es leider primär um Status und Macht.
Das ist eines der Hauptprobleme des Linienmanagements. Es geht nie um Macht und Status, sondern diese werden verteilt, damit das Ganze gelingt. Und Macht ist nur die Andere Seite der Verantwortung. Diese zu übernehmen ist leider nicht selbstverständlich.
Egal, ob es sich um eine Linienabteilung oder ein Projektteam handelt, ist deren Chef/Verantwortlicher immer nur ein Teil des Teams mit besonderen Aufgaben (wobei die Aufgaben der Mitarbeiter sind auch besondere Aufgaben). Versteht er sich als was anderes mutiert er von Chef zum Vorgesetzten.
Führen ist nicht Management. Führen ist Verantwortung für Menschen.
Oder mit den Worten von Peter F. Drucker: „Rank does not confer privilege or give power; it imposes responsibility.“
Genau das. Erstaunlich ist eher, dass es nicht common sence ist. :-(
Interessante Diskussion.
Ich wurde auch schon gefragt, wie ich als Projektleiter Mißachtung von Prozessen sanktionieren würde. Meine Antwort „Gar nicht“ traf auf Unverständnis und Ablehnung.
Denn Mißachtung von Prozessen oder Abläufen deutet aus der Erfahrung für mich auf zwei mögliche Ursachen hin:
Entweder haben die Mitarbeiter den Prozeß nicht verstanden. Dann bin ich in der Pflicht, den Prozeß zu erklären und vielleicht auch mit den Kollegen zusammen zu überarbeiten. Ggf. braucht es auch eine Schulung, wenn es sich um wichtige Methoden handelt. (Stichwort Software. „Da haste!“ ist in der Regel falsch und führt zu Ablehnung,. Das zu sanktionieren, ist dann völlig falsch)
Oder die Kollegen sehen die Sinnhaftigkeit eines Ablaufes nicht. Dann kann auch dabei herauskommen, daß der Prozeß falsch oder überflüssig ist, oder einfach nur unverhältnismäßigen Mehraufwand verursacht. Wiederum muß ich dann im Team überlegen, wie ich es besser machen kann und gemeinsam entscheiden, wie es geht. Mit großer Wahrscheinlichkeit komme ich dann auch zu besseren Ergebnissen als bei Prozessen vom Grünen Tisch (eine Binsenweisheit, aber Alltag)
Sanktionierung halte ich als Generalmaßnahme für völlig fehl am Platz. Vielmehr muß ich mich auf jeden Einzelnen einstellen, den ich führen soll bzw. mit dem ich zusammenarbeiten möchte.
Am Besten funktioniert positive Verstärkung, indem ich Freude ausdrücke.
„Hey, das haben wir super hinbekommen!“ klingt besser als „Hast Du fein gemacht!“. :-)
Laufen Dinge nicht so gut, äußere ich das durch ein „Damit bin ich nicht zufrieden. Wie können wir das besser machen?“ statt „Das hast Du falsch gemacht!“.
Ich denke, Ihr wißt, worauf ich hinaus will.
Authentische Dankbarkeit statt Lob wirkt oft Wunder. Und ausgedrückte Enttäuschung statt Tadel auch.
Erst wenn ich feststellen muß, daß böswillige Absicht am Start ist, muß ich mich mit dem Einzelnen befassen und ihn notfalls aus dem Team nehmen. Das sind aber Extremfälle.
Aber ein Punkt dazu:
Wie so oft hängt die Wirksamkeit von Kritik auch von den Einzelnen ab.
Es gibt durchaus Mitarbeiter, die es brauchen, daß man ihnen mal auf die Schulter klopft und „Gut gemacht“ sagt. Auch wenn es Euch selbst widerstrebt – es gibt solche Menschen und die kann man mit „modernen“ Ansichten durchaus verunsichern, sogar bis zu dem Punkt, wo sie mit Angst ins Büro kommen.
Genauso gibt es auch Menschen, die Tadel brauchen.
Die Kunst ist es, solche Menschen zu erkennen und zu akzeptieren, ohne sie ändern zu wollen.
Bei manchen klappt „Auf Augenhöhe“ einfach nicht. Damit muß ich als Führungskraft leben, zumindest in einem vertretbaren Rahmen.
Das heißt nicht, daß ich sie abschreibe. Vielleicht gewöhnen sie sich an Augenhöhe und leben darin auf. Vielleicht aber auch nicht.
Vor allem an der Schnittstelle zwischen Linie und Projekt erlebe ich oft, daß Mitarbeiter im Projekt völlig verunsichert sind, weil sie auf einmal als vollwertige Mitglieder eines Teams selbständig agieren sollen, während sie in der Linie nur auf Kommando bellen dürfen.
Solche Mitarbeiter muß ich abholen und mich in manchen Aspekten auf ihre Konditionierung einlassen. Ansonsten riskiere ich, daß sie sich einigeln.
Es gibt keine Patentrezepte. Ich kann als Führungskraft nur meinen Prinzipien treu bleiben. Dazu gehört, daß ich Mitarbeiter als Erwachsene sehe und behandele.
Der Rest muß sich zwangsläufig aus den Einzelbeziehungen ergeben.
Sehr interessante Aspekte, lieber Thilo. Menschen sind natürlich einerseits unterschiedlich und andererseits auch geprägt durch den jeweiligen Kontext, die jeweilige Kultur. Gerade in Matrixorganisationen, an der Schnittstelle zwischen Projekt und Linie wie du schreibst, wird es tatsächlich schwierig, wenn unterschiedliche Kultur und unterschiedliche Führung zusammentreffen. Unter anderem darum ist meiner Meinung nach Führung im Projekt auch schwieriger als rein in der Linie.
Schwieriger? Durchaus in manchen Aspekten.
Aber auch lohnender, denn im Projekt hast Du kein Mandat, keine Weisungsbefugnis. Du mußt Menschen abholen, überzeugen und für Dich gewinnen.
Und wenn Dein Team (inklusive Kunden und Lieferanten) dann nachher an einem Strang zieht und Berge versetzt, hast Du unendlich viel mehr erreicht als der Vorgesetzte (im Wortsinne), der per „Order de Mufti“ das siebenundvierzigste PFI-Gespräch anordnet. :-)
Auf jeden Fall lohnender! Jedenfalls für diejenigen die gerne was verändern und verbessern und die damit einhergehende Unsicherheit als Bereicherung und nicht als Bedrohung emfpinden. Darum mache ich ja ausschließlich Projekte ;-)