Agilität macht nur Sinn im Kontext von Unsicherheit. Wer genau weiß, was der Kunde will oder was der Markt braucht, muss nicht agil vorgehen und kann sich Um- und Irrwege sparen. Nur wer weiß das schon so genau? Und selbst wenn wir es hier und heute zu wissen glauben, kann es zum Zeitpunkt, wenn das Produkt fertig sein wird doch schon wieder ganz anders sein. Agilität macht also viel Sinn in unserer heutigen Welt, für die Charakterisierung VUCA (für Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity) immer mehr zutrifft. „Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans“, heißt es im Agilen Manifest. Aber wie reagiert man eigentlich auf Veränderung und wie erkennt man eigentlich, dass man falsch abgebogen ist?
Genau darum hat Agilität sehr viel mit Empirie zu tun. Letztlich stellt man im agilen Vorgehen ständig Hypothesen auf und versucht diese möglichst gut durch Messungen und Feedbackschleifen zu bestätigen oder zu widerlegen. Neben dieser Empirie auf inhaltlicher Ebene, ist Agilität zusätzlich auf methodischer Ebene ein empirischer Prozess. „In regelmäßigen Abständen reflektiert das Team, wie es effektiver werden kann und passt sein Verhalten entsprechend an.“ ist ein Prinzip hinter dem agilen Manifest. Letztlich ist zum Beispiel im Scrum jeder Sprint eine Hypothese zur Zusammenarbeit, die in der Retrospektive am Ende bestätigt oder widerlegt wird.
Empirie stammt vom griechischen εμπειρία (empeiría), was soviel heißt wie Erfahrung oder Erfahrungswissen. Gemeint ist damit das methodisch-systematische Sammeln von Daten mit dem Zweck theoretische Annahmen über die Welt zu überprüfen oder zu widerlegen. Agilität beginnt damit, sich die Unsicherheit des Vorhabens und der Umwelt ehrlich einzugestehen. Die logische Folge aus dieser Erkenntnis der Unsicherheit ist mit Hypothesen zu arbeiten. Jede Priorisierung, jedes Sprint-Planning ist eine Hypothese über einen versprochenen Kundennutzen. Und gute Hypothesen müssen sich bewähren. Darum erfassen agile Teams so viele Daten über sich selbst und ihre Produktivität genauso wie über das Produkt und die Nutzer.
Ein empirisch-wissenschaftliches System muss an der Erfahrung scheitern können.
Karl Popper, Logik der Forschung 17
Die meisten Annahmen über Produkte und Kunden können prinzipiell nie komplett verifiziert werden im Sinne einer Allgemeingültigkeit. Insofern sind alle unsere Hypothesen vorläufig und nur noch nicht widerlegt. Das Bessere ist der Feind des Guten. Ziel des Produktteams muss es deshalb sein, dieses Bessere schneller zu finden als die Konkurrenz. Und dieses Bessere findet man nur, wenn man konsequent an der Falsifizierung und nicht so sehr an der Bestätigung eigenen bisherigen Hypothesen arbeitet. Darum ist es eine gute Praktik, wenn agile Teams neue Features im Stil eines A/B‑Tests an einem Teil der Nutzer kritisch ausprobieren.