Wer Spotify kopiert oder irgendeine andere Blaupause einer agilen Organisation einfach umsetzt macht einen grundsätzlichen Fehler. Nicht weil die Modelle schlecht wären, sondern weil die von oben angeordnete Umsetzung eines von wenigen Managern, Experten oder Beratern ausgewählten oder erdachten Modells einer agilen Organisation dem ganz wesentlichen Prinzip der Selbstorganisation widerspricht. Modelle agiler Organisationen sind prinzipiell emergent in dem Sinne, dass sie aus der Zusammenarbeit von selbstorganisierten Teams in Richtung einer gemeinsamen Vision entstehen und sich ständig weiterentwickeln. Darum ist es entscheidend für eine nachhaltige agile Transformation, den Druck kurzfristige Erfolge zu liefern auszuhalten und den Menschen empathisch und vertrauensvoll den Raum und die Zeit zu geben, gemeinsam zu lernen und zu wachsen. So verlockend Blaupausen auch erscheinen und so schön aktionistisch ihre Einführung im großen Stil auch aussehen mag, so sicher führt genau das die agile Transformation in eine Sackgasse.
Die wesentliche und wichtigste Einheit in agilen Organisationen ist das selbstorganisierte Team. So steht es in den Prinzipen hinter dem agilen Manifest. Und diese Autonomie der Teams ist auch das zentrale Element bei Spotify. Das Modell von Spotify ist aus genau diesem zentralen Prinzip entstanden und ist genau deswegen erfolgreich. Selbstorganisation ist der Schlüssel, aber auch die Herausforderung. Für die Transformation einer hierarchischen Organisation in eine agile Organisation von selbstorganisierten Teams sowieso, aber auch und noch immer für Spotify:
What is the best thing about working at Spotify? What is the most challenging thing about working at Spotify? The answer for both questions is the same: Autonomy.
Joakim Sundén
Selbstorganisation mit einem einzigen Team oder mit wenigen Teams ist keine Kunst. Schwierig wird es erst wenn die Zahl der Teams zunimmt. Das wurde es übrigens auch für Spotify, wo die Entwicklungsmannschaft von 2010 bis 2013 von 10 auf 300 Menschen stark zunahm. Und genau da entstand auch dieses Spotify Modell, das nun so gerne kopiert wird. Es entstand aber noch etwas anderes. Es entstand mit „Agile à la Spotify“ eine Beschreibung dessen, was genau agil bei Spotify bedeutet und was nicht. Und dort heißt es gleich zu Beginn:
Continuous improvement: At Spotify, part of my work is to look for ways to continuously improve, both personally, and in the wider organisation.
Agile à la Spotify
Die Verantwortung für das Spotify-Modell liegt also ganz klar bei denen, die damit und darin arbeiten müssen. Jeder arbeitet kontinuierlich auch daran die Organisation bei Spotify besser zu machen. Das ist die logische und notwendige Konsequenz aus dem Prinzip der selbstorganisierten Teams. Zwar ist jede Form von Strukturierung der Zusammenarbeit der vielen Teams eine Einschränkung der Freiheit des einzelnen Teams. Diese ist aber notwendig um gemeinsam die Organisation und ihr Produkt erfolgreich zu machen. Die Freiheit des Einzelnen endet eben dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Der feine aber entscheidende Unterschied ist es, dass sich diese Einschränkungen der Freiheit des einzelnen Teams aus der Zusammenarbeit der Teams ergeben und von diesen selbst entschieden werden und den Teams genau das zugestanden und zugetraut wird.
Trust: At Spotify we trust our people and teams to make informed decisions about the way they work and what they work on.
Agile à la Spotify
Die Management- und Führungsaufgabe in der agilen Transformation lautet also nicht, das beste Modell einer agilen Organisation auszuwählen oder ein eigenes zu konzipieren und das dann auszurollen. Das verletzt nämlich ganz massiv das zentrale Prinzip der Selbstorganisation und hält die Menschen und Teams genau dort abhängig wo sie eigentlich autonom und selbstverantwortlich agieren sollten. Die eigentliche Führungsaufgabe ist es vielmehr einen Rahmen zu schaffen, in dem ein solches Organisationsmodell nach und nach aus der Zusammenarbeit von selbstorganisierten Teams entsteht. Das ist ein gemeinsamer Lernprozess der sich durch Blaupausen nicht abkürzen lässt. Wer es trotzdem versucht, führt dann eben nur ein neues Organisationsmodell ein und eine Transformation durch, agil ist dann aber weder das eine noch das andere.
Servant leadership: At Spotify managers are focused on coaching, mentorship, and solving impediments rather than telling people what to do.
Agile à la Spotify
17 Kommentare
Danke, ich kann den Beitrag aus eigener Erfahrung nur unterstützen. Die Leistung von Spotify besteht nicht im konkreten Ergebnis, sondern in der kontinuierlichen selbstorganisierten Weiterentwicklung weit über das Agile Manifest hinaus. Das ist aber leider schwer verkäuflich.
Warum etwas selbst entwickeln, wenn es „erprobte“ Muster gibt?
Warum etwas entwickeln, wenn die eigenen Leute erstmal entwickelt werden müssen?
Warum nicht auf Zertifikate, Rollen und Prozesse zurückgreifen?
Kurz, danke für den Beitrag!
Vielen Dank für deinen Kommentar! Ja, die erprobten Muster sind sehr verführerisch …
Super, sehr schön auf den Punkt gebracht (sorry Bernd).
Das entspricht genau meiner Erfahrung. Agile Vorgehensweise kann nur ein Angebot sein. Das Mindset ist inspect & adapt.
Wir hatten bei uns genau den Fall, dass ein Projekt 4 Jahre Richtung Scrum gegangen ist. Weil das gut funktioniert hat, wurde ein anderes Projekt dazu genötigt. Denen war aber gar nicht klar, warum so vorgegangen werden sollte. Quintessenz: Ablehnung. Es hat lange gedauert, bis jetzt Kanban mit 25 Leuten durchgeführt wird. Ich schüttelte den Kopf, aber lasse laufen. Wenn es nicht genug hilft, wird eben angepasst.
Wichtig ist, dass man bei agiler Vorgehensweise auch scheitern darf. Ist btw. mein nächster Vortrag „Agil scheitern – aber erfolgreich!“ am 21.6.2018 in Hannover.
Vielen Dank! So läuft das leider manchmal: one-size-fits-all …
Danke! Es klingt so logisch und einfach: Agile Prinzipien auch im Großen, bei der Transition an sich, anwenden. Das sieht dann aber von außen für manche aus, als hätte man die Kontrolle verloren. Bräuchte vielleicht OE’ler & Berater, die auf „Sie haben wohl keinen Plan“ mit „natürlich nicht!“ antworten.
Ein System zu kontrollieren ist ja auch gar nicht möglich und nur Illusion.
Ja, die bräuchte es. Schwierig genug allerdings in plan- und kontrollgetriebenen Organisationen.
Hallo zusammen,
einerseits kann ich dem Artikel gut zustimmen, aber andererseits wehre ich mich dagegen, dass jeder immer bei Null anfangen soll. Die „Welt“ (die Technik, die Gesellschaft, die Wissenschaft etc) ist nur so weit, wie sie heute, weil viele auf den Erkenntnissen und Lehren anderer aufgebaut haben.
In dem Sinn ist es meiner Meinung nach speziell auch in größeren Organisationen nötig, sich Modelle anzuschauen und sich von Ihnen inspirieren und anleiten zu lassen. Und da Lernen durch Zuschauen nur selten funktioniert, finde ich es durchaus zulässig, erst mal etwas zu kopieren, um es auszuprobieren.
Dabei ist nur eminent wichtig, dass man es nicht bei der Kopie lässt, sondern davon ausgehend die Kopie für seine Bedürfnisse anpasst.
Das Hauptproblem ist aus meiner Sicht nämlich eher, dass in unserer auf Effizienz getrimmten Welt keinen Raum für Fehler und Lernen zugelassen wird. Speziell in der IT ist alles immer erst mal zu teuer und der Kunde ist oft nicht bereit für Lernen zu bezahlen.
„Do it right the first time“ ist da ein beliebter Satz, dem jeder Manager und Ressourcenverantwortliche nur zu gern zustimmt. Das Problem dabei ist nur, dass kaum einer am Anfang genau weiß, was er mit „right“ inhaltlich genau meint.
Viele Grüße und danke für Deinen Blog
Heinz
Lieber Heinz, vielen Dank für deinen Kommentar und deine ganz wichtige Ergänzungen. Gegen Inspiration und Nachmachen ist überhaupt nichts einzuwenden (vgl. dazu auch das Prinzip Shu-Ha-Ri). Wichtig ist aber, wie du richtig schreibst, dass es nicht dabei bleibt. Ganz entscheidend in Bezug auf Agilität ist aber etwas anderes und darum ging es mir: Wer trägt die Verantwortung für dieses Nachahmen und Weiterentwickeln des Modells? Und das darf nicht wie bisher das Management sein, oder jedenfalls nur anfangs, sondern es muss die Verantwortung aller werden.
Lieber Marcus, im besten Falle lösen sich in der agilen Transformation Hierarchie und Macht auf und die Verantwortung verteilt sich entsprechend der Fähigkeiten, Potenziale und Talente der Mitarbeitenden auf beinahe ALLE. Bis dahin – und hier hoffe ich auf deine erfahrungsgemässe Zustimmung – steht das Management in der Verantwortung, hinsichtlich 1. Gewährleistung von Sicherheit, 2. Fail-and-Learn Kultur und 3. Raum für kontinuierliches Lernen und Mut entwickeln zur Verfügung zu stellen. Ziel ist es, selbstorganisierte Verantwortung zu generieren, bei gleichzeitiger Gestaltungs- und Anpassungsfähigkeit.
Liebe Grüsse, Christian
Danke für Deinen Kommentar, lieber Christian. Ich gebe dir recht bis dahin und gerade am Anfang steht das Management in der Pflicht. Und vielleicht ist genau das der schwierigste Teil. Oder mit den Worten von Upton Sinclair: „It is difficult to get a man to understand something, when his salary depends on his not understanding it.“
Klasse auf den Punkt gebracht – vielen Dank, werde ich meinen Kollegen empfehlen?
Kann ich absolut bestätigen – auch beii uns ist die größte #Herausforderung / und gleichzeitig der positivste Treiber die #Selbständigkeit – die verlangt nach Verantwortungsabgabe/-übernahme, Vertrauen, Umgang mit Optionen – das haben wir den Mitarbeitern und Führungskräften lange Zeit weg-konditioniert. Der #Kulturwandel kann gelingen, und eröffnet damit völlig neue Wege der Zusammenarbeit, Engagement, Wertschätzung, Sinn und Erfolg https://www.harald-schirmer.de/2018/04/22/vortrag-microsoft-office-365-new-work-style-migration-bei-audi/ – zudem sehe ich das als Voraussetzung für gute Ergebnisse im digitalen Zeitalter (#VUCA)
Vielen Dank! Ich denke sogar, dass diese Verschiebung von Verantwortung in Richtung Selbstorganisation der Kern jeder echten agilen Transformation ist.
Toll geschrieben, verständlich, nachvollziehbar und empfehlenswert darüber nachzudenken und in die Umsetzung zu gehen. Mitarbeitern die notwendigen #freiräume zu geben, setzt ein grundlegendes #mindset bei den Entscheidungsträgern, Inhabern oder Geschäftsführern voraus. Leider brauchen viele dieser Etage einen „Methodennamen“, der möglichst renommiert ist und von ich weiss nicht welchen Vordenkern entwickelt wurde, obwohl offensichtlich klar ist, dass jede agile Transformation den Menschen im Mittelpunkt voraussetzt. Wir müssen #räume schaffen zum Experimentieren und jeder sollte daran teilnehmen. Erst der Weg an sich bringt individuelle Potenziale zum Vorschein. Es gilt gemeinsam #chancen zu erkennen und vor allem aber #wahrzunehmen. Zusammenarbeit und Kultur werden zunehmend bedeutungsvoller, als bislang Technik und Technologie.
Vielleicht heisst die Methode auf welche wir uns wieder besinnen sollten, einfach nur #hausverstand. Begegnen wir uns als Menschen und befähigen wir uns in Mut. #zukunft gestalten. #agil #selbstorganisiert
Vielen Dank!
Danke für diesen Artikel!
Blauäugig eine Blaupause zu nehmen und denken, es wird dann schon ist wie Sie sehr gut beschreiben sicher nicht der richtige Weg. Trotzdem halte ich das Nutzen von Blaupausen/Modellen sinnvoll, statt alles selbst/neu zu erfinden.
Denn oft helfen diese Blaupausen/Modelle überhaupt umzudenken – resp. zwingen uns selber umzudenken, da neue Regeln gelten. Sie schreiben ja auch „Die eigentliche Führungsaufgabe ist es vielmehr einen Rahmen zu schaffen, in dem ein solches Organisationsmodell nach und nach aus der Zusammenarbeit von selbstorganisierten Teams entsteht“. Eine Blaupause/Modell kann der nötige Rahmen als Startpunkt sein und gibt Anfangs die nötige Orientierung. Dieser Musterbruch tut anfangs etwas weh, aber Schritt für Schritt lernen wir somit Arbeit und Organisation anders zu leben.
Wir haben bei uns (www.unic.com) vor rund zwei Jahren eine solches Modell in Form von Holacracy eingeführt und damit gute (aber auch schwierige) Erfahrungen gemacht. Es hat uns jedenfalls geholfen (oder eben schon fast gezwungen ;-)) umzudenken und wir waren froh, gleich zum Start einen klaren Rahmen zu haben. Mit den nötigen Erfahrungen kann man diesen dann auch adaptieren – eine Lernreise, welche sehr intensiv, aber bisher auch sehr lohnenswert ist.
Genau so war es auch gemeint. Alle Blaupausen und Modelle können eine gute Inspiration sein. Manchmal auch ein guter Startpunkt. Aber eben auch nicht mehr. Dann muss selbst gedacht und weiterentwickelt werden, wenn man das Prinzip der Selbstorganisation nicht brechen will.