Eine kurze Geschichte der Digitalisierung

Die Digi­ta­li­sie­rung: Kaum ein Schlag­wort wur­de in den letz­ten Jah­ren so infla­tio­när gebraucht. Und wie so oft bei Schlag­wör­tern steht der Gebrauch in umge­kehrt pro­por­tio­na­lem Ver­hält­nis zum Ver­ständ­nis. Alles hängt nun irgend­wie mit der Digi­ta­li­sie­rung zusam­men, ohne dass klar ist, was die­se Digi­ta­li­sie­rung sein soll. Natür­lich hat sie etwas mit Com­pu­tern und Rechen­leis­tung zu tun. Das allei­ne kann es aber nicht sein, dazu gibt es Com­pu­ter schon zu lan­ge. Ein ent­schei­den­der Aspekt der Digi­ta­li­sie­rung ist viel­mehr die Ver­net­zung. Smart­phones mach­ten das Digi­ta­le all­tags­fä­hig und die Ver­net­zung zum Nor­mal­zu­stand. Und die­ses immer dich­te­re Netz­werk aus immer leis­tungs­fä­hi­ge­ren und all­ge­gen­wär­ti­gen Com­pu­tern ist der Nähr­bo­den für Platt­for­men, die dann alt­be­währ­te und eher ana­lo­ge Geschäfts­mo­del­le ruinieren.

Mooresches Gesetz: Exponentielles Wachstum der Rechenleistung

Grund­le­gend für die Digi­ta­li­sie­rung sind immer klei­ne­re, immer leis­tungs­fä­hi­ge­re Com­pu­ter. Bereits 1965 stell­te Gor­don Moo­re die The­se auf, dass sich die Rechen­leis­tung von Com­pu­tern jähr­lich ver­dop­pelt. Die­ses Moo­re­sche Gesetz hat bis heu­te Bestand. Auch wenn die Beob­ach­tun­gen zei­gen, dass sich die Rechen­leis­tung nicht jedes Jahr son­dern eher alle 18 Mona­te ver­dop­pelt, ist das ein deut­lich expo­nen­ti­el­les Wachs­tum. Schön zu erken­nen ist die­ser Zusam­men­hang an fol­gen­der Gra­fik (Quel­le: Wiki­pe­dia), in der nach oben die Anzahl der Tran­sis­to­ren in inte­grier­ten Schal­tun­gen als Maß für die Rechen­leis­tung in log­arith­mi­scher Ska­lie­rung ange­tra­gen ist, d.h. ein expo­nen­ti­el­ler Zusam­men­hang zeigt sich als Gerade. 

Rein ratio­nal ver­ste­hen die meis­ten Men­schen das auch. Wenn es aber dar­um geht sich die Zukunft vor­zu­stel­len, extra­po­lie­ren wir in der Regel line­ar. Wir schau­en also zurück, was sich zum Bei­spiel in den letz­ten fünf Jah­ren ver­än­dert hat und gehen davon aus, dass es sich in ähn­li­cher Geschwin­dig­keit wei­ter­ent­wi­ckelt. Tut es aber nicht. 

Die­sen Denk­feh­ler erkennt man schnell an einem Gedan­ken­ex­pe­ri­ment. Im Film „Zurück in die Zukunft“ geht es um eine Zeit­rei­se zwi­schen den Jah­ren 1985 und 1955 und ein Teil der Komik des Films beruht dar­auf, dass die Welt sich zwi­schen 1955 und 1985 tech­no­lo­gisch wei­ter­ent­wi­ckelt und ver­än­dert hat. Wür­de man nun den­sel­ben Zeit­sprung von 30 Jah­ren zwi­schen 1985 und 2015 machen, erkannt man schnell, dass die Ver­än­de­rung der Digi­ta­li­sie­rung eben nicht line­ar ist, son­dern ungleich grö­ßer. In die­sen 30 Jah­ren wur­de aus den ers­ten Com­pu­tern wie dem C64 ein stän­dig ver­netz­tes Smart­phone, das gleich­zei­tig Kame­ra, Navi­ga­ti­ons­ge­rät, Walk­man, trag­ba­rer Fern­se­her und vie­les mehr ist. Zwi­schen der Welt von 1955 und der von 1985 gibt es noch deut­lich mehr Über­lap­pung und man fin­det sich als Zeit­rei­sen­der noch eini­ger­ma­ßen zurecht. Von 1985 auf 2015 ist der tech­no­lo­gi­sche Sprung deut­lich grö­ßer und man wäre als Zeit­rei­sen­der kom­plett ver­mut­lich kom­plett überfordert. 

Vernetzung: Die Plattform macht den Unterschied

Rechen­leis­tung allein macht noch kei­ne Digi­ta­li­sie­rung. Damit lässt sich zwar aller­lei Infor­ma­ti­on in digi­ta­ler Form erstel­len, in digi­ta­le Form umwan­deln und in digi­ta­ler Form bear­bei­ten, aber es bleibt alles lokal und mit loka­len Effek­ten. Die Musik­in­dus­trie hat selbst die Digi­ta­li­sie­rung vor­an­ge­trie­ben und Musik in Form von CDs digi­ta­li­siert. Und auch MP3 war per se kein Pro­blem für die Musik­in­dus­trie. Zum Pro­blem wur­de es erst durch die immer bes­se­re Ver­net­zung von Com­pu­tern und den dadurch mög­li­chen File­sha­ring-Platt­for­men wie Naps­ter. Dadurch wur­de die lokal vor­han­de­ne digi­ta­le Infor­ma­ti­on für alle und über­all zugäng­lich. Die Musik­in­dus­trie war gefan­gen in ihrem alten Geschäfts­mo­dell, dem Ver­kau­fen von Ton­trä­gern, und muss­te erst durch Visio­nä­re wie Ste­ve Jobs mit dem iTu­nes Store und dann Anbie­tern von Strea­ming wie Spo­ti­fy aus die­ser Fal­le befreit werden. 

Wenn Sie einen Scheiß­pro­zess digi­ta­li­sie­ren, dann haben Sie einen scheiß digi­ta­len Prozess.
Thors­ten Dirks, ehem. CEO der Tele­fó­ni­ca Deutsch­land AG

Die Ver­net­zung der Gerä­te ist die Basis, den Unter­schied aber machen Platt­for­men. Sowohl Nokia als auch RIM mit dem Black­ber­ry hat­ten zum Zeit­punkt als Apple das iPho­ne vor­stell­te erst­klas­si­ge Pro­duk­te. Betrach­tet man rein die Hard­ware mit ihrem iso­lier­ten Betriebs­sys­tem, war das iPho­ne viel­leicht ein wenig bes­ser gestal­tet und ein wenig bes­ser benutz­bar, aber der durch­schla­gen­de Erfolg lässt sich mit die­sem engen Blick­win­kel nicht erklä­ren. Ein wesent­li­cher Unter­schied war, dass das iPho­ne kon­se­quent auf mobi­les Inter­net setzte. 

Aus den bis­he­ri­gen Tele­fo­nen, die auch E‑Mail und mehr schlecht als recht auch Inter­net konn­ten, wur­den voll­wer­ti­ge Smart­phones mit dau­er­haf­ter Inter­net­ver­bin­dung als wesent­li­ches Merk­mal. Aber auch das hät­te wahr­schein­lich nicht gereicht, weil es neben E‑Mail und Brow­ser zu wenig Anwen­dungs­fäl­le für mobi­les Inter­net gab. Den ent­schei­den­den Unter­schied mach­te der App-Store von Apple (und zeit­gleich der ent­spre­chen­de von Goog­le für Android). Apple (und Goog­le) mach­ten das Smart­phone zur mehr oder weni­ger offe­nen Platt­form für Anwen­dun­gen Drit­ter. Abge­se­hen davon, dass Apple auch mit dem App-Store signi­fi­kan­ten Gewinn macht, führ­te so jede neue Anwen­dung auf die­ser Platt­form zu einer Auf­wer­tung des iPhones.

Seit­her ent­ste­hen auf Basis all­ge­gen­wär­ti­ger Ver­net­zung mit­tels Smart­phone immer neue digi­ta­le Platt­for­men, auf denen Anbie­ter und Nach­fra­ger zuein­an­der fin­den. Die Digi­ta­li­sie­rung greift damit auch in Berei­che, die zunächst gar nicht digi­tal zu sein schei­nen. Uber greift ohne ein ein­zi­ges eige­nes Taxi das Geschäfts­mo­dell von Taxi­un­ter­neh­men an. Und das dank Digi­ta­li­sie­rung welt­weit. Airbnb macht ohne ein ein­zi­ges Hotel den eta­blier­ten Hotel­ket­ten Kon­kur­renz. Selbst­ver­ständ­lich auch im größt­mög­li­chen Stil. Das ist die eigent­li­che Digitalisierung. 



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4 Kommentare

Markus 28. Juli 2018 Antworten

Lei­der stimmt der Arti­kel. Grund­sätz­lich und in letz­ter Kon­se­quenz stimmt auch der Platt­form­ge­dan­ke. Der Wis­sens­an­teil jedes ana­lo­gen Pro­zes­ses lässt sich über kurz oder lang durch einen digi­ta­len Ablauf erset­zen. Jeder digi­ta­le Ablauf ist frü­her oder spä­ter dem ent­spre­chen­den ana­lo­gen wirt­schaft­lich über­le­gen. Wenn alles digi­tal wird, kann man nur auf drei Wei­sen Geld ver­die­nen: ent­we­der mit Durch­lei­tung von Daten, der Erzeu­gung und Aus­wer­tung von Daten als Dienst­leis­tung oder mit der Her­stel­lung von Soft­ware zur Bear­bei­tung der Daten. Da Platt­for­men dies unter­stüt­zen und ska­lie­ren, wer­den sie sich als Geschäft durchsetzen.

Alexander Gerber 29. Juli 2018 Antworten

Hal­lo Markus,
war­um „lei­der“?

Wis­sen“ lässt sich her­vor­ra­gend digi­ta­li­sie­ren – und wie steht es um des­sen Anwendung?
Jede Platt­form steht und fällt mit Ange­bot und Nach­fra­ge. Es macht zur Zeit auf vie­le den Ein­druck, dass „Ange­bot“ durch die Digi­ta­li­sie­rung belie­big oft instan­zi­iert und dadurch uner­schöpf­lich ver­füg­bar wäre. So etwas ken­nen wir doch bereits von der Kern­ener­gie, die ach so sau­ber erschien als wir noch wenig von den grö­ße­ren Zusam­men­hän­gen wussten.

Tat­säch­lich erschaf­fen „Platt­for­men“ nichts ande­res erleich­ter­ten als Zugang zu den weni­gen aus­er­wähl­ten Objek­ten, die über sie ver­füg­bar sind.

Wie vie­le Fahr­zeu­ge fah­ren ohne Uber?
Gibt es ein Leben außer­halb von #fake­book?
Kann ich auch ohne AirBnB übernachten?

Das Geheim­nis hin­ter dem ver­meint­li­chen Erfolg von Platt­for­men ist nor­mie­ren­de Beschreib­bar­keit bis hin zur Standardisierung.
https://commodus.org/yoda-style/

Eine BMW-Füh­rungs­kraft aus dem Pro­duk­ti­ons­um­feld soll mal gesagt haben:
„Stan­dar­di­sie­rung ist der Feind jeder Innovation.“
– bei Gele­gen­heit will ich die­se Aus­sa­ge noch entkräften.

Bis dahin:
Wenn ich der­einst die heiß­luft­ge­bräun­ten TK-Roh­lin­ge des nächst­ge­le­ge­nen Back­wa­ren Out­lets über­drüs­sig bin, dann hal­te ich wie­der gezielt Aus­schau nach der „Hand­werks­bä­cke­rei“.

Inso­fern gilt mei­ne Hoch­ach­tung Unter­neh­men wie Cop­pen­rath & Wie­se, denen es schon jetzt gelingt, die hin­ter­las­se­ne Lücke des ört­li­chen Bäcker­meis­ters in indus­tri­el­lem Maß­stab zu füllen.

Ein ande­rer Ansatz geht auf „Nischen-Pau­le“ zurück und ist als „BMW indi­vi­du­al“ in Serie ver­füg­bar, als M‑Paket zubuch­bar, als M‑Plattform „eigen­stän­dig“ oder als Alpi­na für den noch indi­vi­du­el­le­ren Anspruch erhältlich.
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_G._Hahnemann

Marcus Raitner 9. August 2018 Antworten

Lie­ber Andre­as, dan­ke für dei­ne Gedan­ken. Es gibt natür­lich den Fall, dass Ange­bo­te durch die Digi­ta­li­sie­rung belie­big oft kopiert wer­den kön­nen und belie­big ver­füg­bar wer­den. Die Musik‑, Film‑, Print-Indus­trie hat das schon ler­nen dür­fen. Der Punkt mit den Platt­for­men ist aber, dass aus sol­che Pro­duk­te, die nicht kom­plett digi­tal sind eben auch durch die Digi­ta­li­sie­rung beein­flusst wer­den, weil sich ihre Nut­zung ändert.

Marcus Raitner 9. August 2018 Antworten

Die­ses neue, digi­ta­le Geschäft ist radi­kal anders. Für vie­le eta­blier­te Unter­neh­men wird das Umden­ken eine gro­ße Her­aus­for­de­rung werden.

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