Digitalisierung: Eine Frage des Blickwinkels

Die Durch­schlags­kraft der Digi­ta­li­sie­rung kann kaum über­schätzt wer­den. In unse­rem stark indus­tri­ell gepräg­ten Land ver­harm­lo­sen wir das aller­dings im Moment indem wir von Indus­trie 4.0 reden. Aus der digi­ta­len Revo­lu­ti­on wur­de ein rei­ner Evo­lu­ti­ons­schritt, eine irgend­wie digi­ta­le­re Fort­set­zung der Indus­trie 3.0. Tat­säch­lich bedeu­tet Digi­ta­li­sie­rung aber in ers­ter Linie eine oft­mals radi­ka­le Ver­än­de­rung bestehen­der Geschäfts­mo­del­le. Eine Digi­ta­li­sie­rung der Pro­duk­ti­on und ande­rer Kern­pro­zes­se ist dann eher der zwei­te Schritt und Mit­tel zum Zweck.

Die digi­ta­le Revo­lu­ti­on kann am ehes­ten dort ver­stan­den wer­den, wo sie schon statt­ge­fun­den hat und wo sie in Extrem­form statt­ge­fun­den hat. Dort näm­lich wo sich einst mate­ri­el­le Pro­duk­te kom­plett ins digi­ta­le Nir­wa­na über­ge­hen und sich dadurch völ­lig neue Geschäfts­mo­del­le erge­ben. Die Musik­in­dus­trie kann davon ein trau­ri­ges Lied sin­gen. Das über lan­ge Jah­re bewähr­te Geschäfts­mo­dell Musikal­ben als phy­si­sche Ton­trä­ger zu ver­kau­fen (obwohl oft nur ein oder zwei wirk­lich gute Titel dar­auf waren) wird immer mehr ersetzt durch Strea­ming-Diens­te wie Spo­ti­fy. Zwar gibt es das imma­te­ri­el­le Pro­dukt Musik nach wie vor, aber es hat sich kom­plett von sei­nem mate­ri­el­len Trä­ger gelöst, was wie­der­rum das Geschäfts­mo­dell radi­kal ver­än­dert hat.

Natür­lich ist die voll­stän­di­ge Digi­ta­li­sie­rung eines Pro­dukts – oder bes­ser gesagt: die digi­ta­le Los­lö­sung eines Pro­dukts von der mate­ri­el­len Welt – ein Extrem­fall, aber es zeigt, dass die Digi­ta­li­sie­rung in ers­ter Linie mit Blick auf den Kun­den­nut­zen gedacht wer­den muss. Wel­chen höhe­ren Nut­zen hat der Kun­den durch die (teil­wei­se) digi­ta­le Über­ar­bei­tung des Pro­dukts. Mark Ras­ki­no und Gra­ham Wal­ler beschrei­ben in ihrem lesens­wer­ten Buch „Digi­tal to the Core“ (Ama­zon Affi­lia­te-Link) dazu das Bei­spiel eines neu­ar­ti­gen Ten­nis­schlä­gers, der durch ver­schie­de­ne Sen­so­ren Daten über das Spiel­ver­hal­ten an ein Smart­phone über­tra­gen und visua­li­sie­ren kann und so dem Spie­ler wert­vol­le Hin­wei­se zur Ver­bes­se­rung sei­ner Tech­nik liefert.

Befo­re the­re was ten­nis wit­hout data, now the­re is ten­nis with data. It’s not a new page in the book. It’s a new book.
Eric Babo­lat

Die Digi­ta­li­sie­rung hat also pri­mär das Ziel durch Daten und ihre Ver­net­zung dem Kun­den einen Mehr­wert zu bie­ten. Indus­trie 4.0 sug­ge­riert aber, dass es in ers­ter Linie um die Ver­bes­se­rung der Pro­duk­ti­on mit­tels der Digi­ta­li­sie­rung geht. Der Kun­den­nut­zen ist davon nur inso­fern tan­giert, als sich eine grö­ße­re Vari­an­ten­viel­falt (Los­grö­ße 1) zu ver­gleich­ba­ren oder sogar nied­ri­ge­ren Kos­ten dar­stel­len lässt. Indus­trie 4.0 rich­tet also eher den Blick ins Inne­re der Orga­ni­sa­ti­on und setzt nur das fort, wozu IT in den letz­ten Jahr­zehn­ten schon immer genutzt wur­de, näm­lich zur Stei­ge­rung der Effi­zi­enz und Reduk­ti­on der Kos­ten. Tat­säch­lich fin­det die digi­ta­le Revo­lu­ti­on aber haupt­säch­lich an der Schnitt­stel­le zum Kun­den statt. Die zen­tra­le Fra­ge muss sein: Durch wel­che heu­te schon ver­füg­ba­ren oder künf­tig ent­ste­hen­den Daten und Funk­tio­nen kann ein Mehr­wert für den Kun­den geschaf­fen wer­den und wel­che neu­en Geschäfts­mo­del­le ermög­licht oder bedingt das?

Das Auto­mo­bil wie wir es nun über ein Jahr­hun­dert ken­nen ist gera­de einer sol­chen digi­ta­len Revo­lu­ti­on unter­wor­fen. Durch immer mehr und bes­se­re Sen­so­ren und Ver­net­zung der Fahr­zeu­ge unter­ein­an­der wer­den Autos zuneh­mend auto­no­mer. Das nur als wei­te­res und bes­se­res Assis­tenz­sys­tem zu begrei­fen, wäre aber deut­lich zu kurz gedacht. Mit dem Auto befrie­digt der Kun­de sei­nen Wunsch nach indi­vi­du­el­ler Mobi­li­tät. Es geht also letzt­lich dar­um, Men­schen und Gepäck zeit­lich mög­lichst fle­xi­bel mög­lichst kom­for­ta­bel zu beför­dern. Dazu muss man als Fami­lie heu­te ein oder meh­re­re Autos besit­zen. Mit auto­nom fah­ren­den Autos erge­ben sich aber ganz ande­re Mög­lich­kei­ten und Geschäfts­mo­del­le, um die­ses Bedürf­nis zu befrie­di­gen. Viel­leicht reicht ja künf­tig ein Mobi­li­täts-Abo, um sich per Smart­phone ein selbst­fah­ren­des Auto in der benö­tig­ten Grö­ße her­bei­zu­ru­fen. Ganz ohne läs­ti­ge Park­platz­su­che, dafür mit Inter­net und beque­men Sesseln.

Wei­te­re Impul­se zum The­ma digi­ta­le Revo­lu­ti­on und war­um wir als erfolg­rei­cher Indus­trie­stand­ort Deutsch­land damit so unse­re Pro­ble­me haben lie­fert der inspi­rie­ren­de Vor­trag von Wolf Lotter:



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4 Kommentare

M.Reimund 20. Mai 2016 Antworten

Es sei der viel­leicht sinn­vol­le digi­ta­le Ein­zug der digi­ta­len Revo­lu­ti­on in der Land­wirt­schaft (Acker­bau) u.a. zum Schutz von Tie­ren beim Mäh­vor­gang durch die Kopp­lung von Droh­ne und modern aus­ge­rich­te­tem Bio-Bau­er zu nen­nen. Auch das geziel­te Aus­brin­gen von öko­lo­gi­schen, natür­li­chen Pflan­zen­schutz durch fern­ge­steu­er­te Heli­ko­ptern ist Teil der Digi­ta­li­sie­rung von neu­en Feldern.

Marcus Raitner 25. Mai 2016 Antworten

Ja, das wäre tat­säch­lich ein Mehr­wert. Dan­ke für die Ergänzung.

Bernd 25. Mai 2016 Antworten

Hal­lo Marcus,

ich fin­de ja immer, dass das Dilem­ma mit der digi­ta­len Revo­lu­ti­on und der Indus­trie (4) im Ener­gie­sek­tor (also bei der Energiewende),
so schön deut­lich wird:

Wäh­rend die Einen unge­ahnt intel­li­gen­te!!! oder gar lern­fä­hi­ge Steue­rungs­mög­lich­kei­ten (im Kun­den­sin­ne) erschaf­fen BSP: https://www.lichtblick.de/privatkunden/schwarm-energie (soll kei­ne Wer­bung sein)

kann es bei Ande­ren, durch­aus um die eige­ne Wand­lungs­fä­hig­keit gehen:
https://www.kopernikus-projekte.de/projekte/industrieprozesse

Dabei ist das par­al­le­le Ankom­men in der VERNETZTEN Infor­ma­ti­ons- und Wis­sens­ge­sell­schaft me so etwas, wie eine trei­ben­de Kraft.

Ich stel­le mir das so ähn­lich vor, als wür­de Bay­ern­Mün­chen lang­sam bewusst wer­den, dass sich jedes geschos­se­ne Tor in der Ver­gan­gen­heit, letz­ten­en­des in ein Eigen­tor ver­wan­delt und das man bemerkt zukünf­tig mit­ein­an­der, nicht gegen­ein­an­der spie­len zu müs­sen, um zu über­le­ben und Intel­li­genz!!! (bzw. intel­li­gen­te Lösun­gen) zu entwickeln. 

Zum Abschluß noch ein Lied zur Inspi­ra­ti­on, dass ganz wun­der­bar in eine ver­netz­te ;o) Welt passt…

https://www.youtube.com/watch?v=Tyba2rwOGPw

In die­sem Sin­ne vie­le Grüße,
Bernd

Marcus Raitner 25. Mai 2016 Antworten

Hal­lo Bernd, vie­len Dank für Dei­ne Ergän­zung und die Inspiration.

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