Wie werden wir in ein paar weiteren Jahren auf die Verwerfungen der Arbeitswelt durch die Corona-Pandemie zurückblicken? Wird dieses Ereignis eine Zeitenwende markieren? Oder wird man bald zum alten Normal zurückgekehrt sein?
Mich fasziniert es immer noch, was in dieser Notlage von einem Tag auf den anderen möglich wurde. Als Informatiker bewundere ich die technische Meisterleistung welche die unzähligen und viel zu wenig beachteten Kollegen in der IT-Infrastruktur in allen unseren Unternehmen geleistet haben. Und als Organisationsberater faszinieren mich die bis heute nachwirkenden Auswirkungen auf die Unternehmenskultur. Aus der geduldeten Ausnahme „Homeoffice“ wurde für viele Wissensarbeiter über Nacht die Regel. Dadurch wurde für alle offenkundig, was einige nonkonformistische Mitarbeiter schon vorher postulierten: Wissensarbeit braucht kein Büro sondern nur eine Internetverbindung. Eigentlich hatte die Digitalisierung in Kombination mit allgegenwärtigem Breitband-Internetzugang schon einige Jahre vor der Pandemie die Wissensarbeit vom Büro als Lagerort des Schriftguts entkoppelt. Aber es brauchte diesen Impuls, um die Vorteile daraus zu ziehen.
Diese Entgrenzung der Wissensarbeit bedeutete auch einen deutlichen Zugewinn an Freiheit und Flexibilität für die Wissensarbeiter. Diese neue Freiheit mag für den einen oder die andere das ersehnte digitale Nomadentum ermöglicht haben, für die weitaus meisten bedeutete es aber einfach eine deutlich flexiblere, befriedigendere und entspanntere Integration von Arbeit und Leben. Die Kinder nach der Schule zu begrüßen oder vom Kindergarten abzuholen, eben mal einen Arzttermin wahrzunehmen oder auch nur für die persönliche Fitness durch eine Laufrunde oder eine Yogaeinheit Sorge zu tragen. Alles das kein Problem mehr. Ich genieße diese Flexibilität und würde sie nicht mehr missen wollen.
Es war mir allerdings schon immer schleierhaft, wie in den mittlerweile üblichen Großraumbüros konzentrierte Arbeit möglich sein soll. Oft habe ich mir in meinen ersten Jahren im Konzern eine Bibliothek wie an der Uni gewünscht, wohin ich mich zurückziehen könnte, um ungestört zu arbeiten. Gelöst habe ich das damals dadurch, dass ich mir einfach ruhigere Ecken zum Arbeiten gesucht hatte wie beispielsweise die Kantine außerhalb der Essenzeiten oder auch nur einen leeren Besprechungsraum. Heute bleibe ich zum ungestörten Arbeiten einfach zu Hause.
Erstaunlicherweise fördert ein verteiltes und zeitlich flexibles Setup nicht nur das ungestörte Arbeiten allein, sondern auch die strukturierte Zusammenarbeit im Team. Wobei die Betonung hier klar Auf dem Wort „strukturiert“ liegt. Wenn Arbeit nur auf Zuruf koordiniert wird, war das auch im Büro schon ein Problem. Örtlich und zeitlich entgrenzt und mit digitalen Werkzeugen befeuert führt dieses „hyperaktive Schwarmbewustsein“ (Newport, 2021) allerdings zu kognitiver Überlastung, so dass zwischen allen den Kontextwechseln der endlosen Nachrichten via E‑Mail und Messenger keine Arbeit mehr möglich ist. Auch das haben viele Wissensarbeiter in der Anfangsphase der Pandemie am eigenen Leib erfahren. Insofern war und ist die Entkopplung der Arbeit vom Büro auch ein Aufruf, die Zusammenarbeit besser zu strukturieren. Der scheinbare Nachteil, nicht mehr einfach jemandem etwas zurufen zu können, muss ein Katalysator für eine strukturiertere und damit effizientere Zusammenarbeit sein.
Zweifelsohne ist der Wegfall von Fahrzeiten für alle ein Gewinn, jedoch helfen gerade solche Zeiten oft beim Nachdenken und Ordnen von Gedanken. Die Wege im Homeoffice sind natürlich kürzer, die Espressomaschine gehört alleine mir und auch das lästige Suchen von Besprechungsräumen entfällt. Andererseits wurde dadurch auch jeglicher Puffer und jede Zufälligkeit eliminiert. „Gut, dass ich dich treffe“ existiert nicht mehr. Unzählige Male konnte ich früher am Rande der eigentlichen Besprechung noch schnell zwei andere Angelegenheiten klären. Die zufällige Begegnung in der Cafeteria vereinfachte in vielen Fällen einiges oder führte zu Ideen, die es sonst nie gegeben hätte. Der Wert dieser glücklichen Zufälle ist schwer zu berechnen, aber es wird nicht ohne Wirkung bleiben, wenn dieses Schmiermittel im sozialen Getriebe langsam immer weniger wird. Die Effekte werden erst langfristig spürbar sein. Dann freilich zu spät und der Lagerschaden ist perfekt.
Insofern verstehe ich es durchaus, wenn viele Unternehmen ihre Mitarbeiter wieder vermehrt im Büro sehen wollen. Doch letztlich bedeutet dieser Schritt, eine einst aus der Not heraus gewährte Freiheit wieder einzuschränken. Selbst wohlwollende Mitarbeiter, die den tieferen Sinn darin und den erhofften Nutzen für das große Ganze verstehen, werden das nicht aus ganzem Herzen begrüßen. Insbesondere dann nicht, wenn es in sehr klassischer Weise angeordnet wird. Zu dem Wegfall oder der Reduktion der Freiheit kommt dann die Übergriffigkeit klassischen Top-Down-Managements zum Einsatz während zuvor notgedrungen und recht erfolgreich auf Eigenverantwortung gesetzt wurde. Besser gelingt dieser Schritt, wenn das postpandemische Büro von Grund auf neu gedacht wird als Ort für inspirierende Begegnungen.
Es muss sich lohnen ins Büro zu kommen, dann kommen die Mitarbeiter auch.
Literatur
Newport, C. (2021). A World Without Email Reimagining Work in an Age of Communication Overload. Penguin Publishing Group.
5 Kommentare
Marcus, danke dir für deine Gedanken!
Hinzufügen möchte ich die Idee, das Thema mehr aus Sicht der Zusammenarbeit der Menschen im Sinne des Unternehmens zu sehen.
Will sagen: Die Freiheit ist nicht das zentrale Thema. Entscheidend ist, dass allein der Bürozwang nicht zu einem besseren Arbeitsergebnis führt.
Es lohnt sich für das Unternehmen, den Menschen einen arbeits-adäquaten Raum für gute Zusammenarbeit zur Verfügung zu stellen.
Wie immer: Es zählt was hinten rauskommt. Wertschöpfung durch Wertschätzung sagte Bodo Janssen so treffend.
Ich kann hier einfach nur Satya Nadella zietieren:
„Die Menschen kommen nicht mehr ins Büro, um irgendwelche Firmenvorgaben zu erfüllen, sondern um mit anderen Menschen kreativ zu sein, sich auszutauschen.“
Es geht also nicht darum im Büro zu „arbeiten“ sondern zu interagieren. Dies Interaktion gilt es gezielt zu fordern und zu fördern.
Satya Nadella ist in vielerlei Hinsicht vorbildlich. Und der Aufschwung bei Microsoft gibt ihm Recht. Danke für das großartige Zitat.