Bereits vor einem Jahr beschrieb ich mein zunehmendes Missfallen mit Twitter als Ort der systematischen Empörungseskalation. Ich beschloß, mich „bis auf Weiteres vollständig“ zurückzuziehen. So ganz gelang es mir dann aber doch nicht. Bisweilen ließ ich mich doch zu einem Kommentar zur (immer desolateren) Lage der Nation und Demokratie hinreißen. Ich sah Twitter immer als Marktplatz der Ideen, eine Art digitale Agora. Vielleicht war das auch mal so, vielleicht hätte Twitter das sein können. Seit einigen Jahren ähnelt – und da gebe ich der Argumentation von Cal Newport in seinem Podcast Recht – Twitter aber mehr dem Colloseum mit unterhaltsamen und bisweilen blutigen Kämpfen von Gladiatoren. Dafür ist mir meine Zeit zu schade. Deshalb ist dieser 47.809te Tweet mein letzter, den ich hier konserviere, bevor mein Account gelöscht wird:
Zu finden bin ich nach wie vor auf LinkedIn (als berufliches Netzwerk für das Recruiting unersetzbar) und erreichbar via E‑Mail, Threema oder Telegram. Inspiration bekomme ich immer noch aus Newslettern, Podcasts und nicht zuletzt von Refind, das mir täglich interessante Links kuratiert ganz ohne Empörung.
Titelbild von Andrii Zhuk veröffentlicht auf Unsplash.
3 Kommentare
Kommunikationsinstrumente wie Twitter funktionieren gut für Themen, zu denen es keine fundamentalen Positionen gibt (oder in Erscheinung treten) sondern Einigkeit in den Grundzügen herrscht.
Bei politischen und gesellschaftlichen Themen, das musste ich leider auch in den letzten 2 Jahren feststellen, trifft das nicht zu. Da haben wir es mit Absolutheitsansprüchen und Dogmen zu tun, die teilweise zu üblen Schlammschlachten führen.
Aber: Ich betrachte es als Spiegel der Gesellschaft. Es wird sichtbar, was eh da ist … immer schon da war … die Unfähigkeit oder Unwilligkeit vieler Menschen, die eigene Position und Überzeugung auch nur ansatzweise kritisch zu betrachten und andere Positionen als vielleicht nicht vollkommen unsinnig in Erwägung zu ziehen.
Und die Angewohnheit, nicht nur die abweichenden Sichtweisen abzulehnen und zu verdammen, sondern damit auch gleich den ganzen Menschen inklusiver aller Anderen mit ähnlichen Gedankengängen.
Vorgemacht wird es tagtäglich von Politik und Leitmedien; unsere Schulen stehen da tw. auch in nichts nach.
Es ist mir ein paar mal gelungen, dieses Muster auf Twitter zu durchbrechen, wirklich in Kontakt mit dem Menschen auf der anderen Seite zu gehen, von Mensch zu Mensch. Es sind schöne, wenngleich fragile Kontakte entstanden. Es ist allerdings nicht ganz einfach; etwas, was wir nirgends wirklich beigebracht bekommen.
Ich sehe da ehrlich gesagt auch keine Chance, dass wir das als Gesellschaft mal lernen, im Gegenteil.
Hm, eigentlich wollte ich nur kurz schreiben: Ich kann dich so gut verstehen mit dieser Entscheidung!
Lieber Rainer, auch ich habe – gerade in der Frühzeit – viele gute Diskussionen auf Twitter erlebt. In letzter Zeit hat sich dort, wie in der übrigen Gesellschaft und den übrigen Medien, das Denken und Diskutieren arg verkürzt auf einfachste schwarz-weiß Muster. Das wird den komplexen Problemen (Pandemie, Ukraine und andere Konfliktherde, Klimawandel, …) nicht ansatzweise gerecht, ist aber natürlich angenehm einfach und bequem.
Ich sehe diese Entwicklung auch so wie Rainer es oben beschreibt.
Wir verhalten uns so wie im Auto, wenn wir über den anderen Verkehrsteilnehmer schimpfen … Nur hier im Internet verhalt es nicht wie im eigenen Auto, sondern mein flotter Spruch bleibt für alle Zeit mit mir verbunden, egal ob ich den Tweet lösche oder nicht (in der Zwischenzeit hat schon jemand einen Screenshot gemacht).
Zudem hängt bei vielen Plattformen dann beim Name und mein Arbeitgeber dann noch mit dran. Da kann ich sagen, dass ich hier privat unterwegs bin oder nicht, letztlich bin ich als Mensch auf den Plattformen unterwegs.
Zusammenfassend: Mein Beschimpfen/Verunglimpfen/Beleidigen sagt mehr über mich aus, als mir lieb ist. Also lass ich es.