Hybride Arbeitsformen: Eine Frage der Zeit, nicht des Orts

Viele Unternehmen hadern derzeit mit der Frage, ob und wenn ja wieviel ihre Mitarbeiter im Büro arbeiten sollen und umgekehrt wie viel Homeoffice oder örtlich flexibles Arbeiten es sein darf. Das Bestreben nach den Erfahrungen der letzten beiden Jahre Corona-Pandemie das Beste aus Home und Office in hybride Arbeitsformen zu kombinieren ist löblich, darf aber nicht auf die Frage nach dem möglichen und erlaubten Arbeitsort reduziert werden. Im Kern geht es nämlich mehr um die zeitliche Flexibilität als um die örtliche.

Die Dis­kus­si­on rund um hybri­de Arbeits­for­men nach der Coro­na-Pan­de­mie ist vor­ran­gig geprägt von der Fra­ge nach ört­li­cher Fle­xi­bi­li­tät. Für man­che und gera­de jün­ge­re Mit­ar­bei­ter mag es tat­säch­lich wich­tig sein, ört­lich fle­xi­bel zu arbei­ten und im Extrem­fall dem digi­ta­len Noma­den­tum zu frö­nen. Im Kern geht es aber weni­ger um ört­li­che als um zeit­li­che Fle­xi­bi­li­tät. Aus Work-Life-Balan­ce wur­de in der Pan­de­mie Work-Life-Inte­gra­ti­on und die­se Fle­xi­bi­li­tät will nun nie­mand mehr missen.

Wir haben drei Kin­der und ich habe schon bei unse­ren zwei Töch­tern Marie und Ella stets ver­sucht, viel Zeit mit der Fami­lie zu ver­brin­gen (Eltern­zeit, weni­ger Rei­sen, wenig Abend­ver­an­stal­tun­gen, sorg­fäl­ti­ges Abwä­gen von Extramei­len etc.). Ver­gli­chen mit unse­rem Jüngs­ten habe ich aber jeweils wenig von ihren ers­ten Jah­ren mit­be­kom­men: Valen­tin kam im Janu­ar 2020 zur Welt und ich war in sei­nen ers­ten zwei Jah­ren viel im Home­of­fice. Zudem hat­te unse­re ältes­te Toch­ter 2020 auch ihren Schul­an­fang und ich konn­te ihr immer wie­der bei Haus­auf­ga­ben und Home­schoo­ling hel­fen und sie mora­lisch unter­stüt­zen. Ich war auch noch nie so fit wie in die­ser Zeit, weil sich die kur­ze Lauf­run­de oder Yoga­ein­heit spie­lend leicht in den Tages­ab­lauf inte­grie­ren lässt. Die­se naht­lo­se Inte­gra­ti­on von Arbeit und Pri­vat­le­ben führt für mich zu einer bes­se­ren Balan­ce und weni­ger Stress und am Ende zu bes­se­rer Leistung.

Anders als die meis­ten habe ich den unbe­frie­di­gen­den Schritt von viel zeit­li­cher Fle­xi­bi­li­tät zu weni­ger und in mei­nem Extrem­fall zu einer klas­si­schen Prä­senz­kul­tur mit 8 Stun­den oder mehr im Büro schon ein­mal gemacht. Unse­re Bera­tungs­fir­ma esc Solu­ti­ons, die ich von 2010 bis 2015 mit auf­bau­en durf­te, hat­te anfangs über­haupt kein Büro und spä­ter dann nur ein klei­nes, wo sich das Füh­rungs­team ein­mal in der Woche traf. Den Rest der Zeit waren wir beim Kun­den oder im Home­of­fice. Ein Teil mei­ner gro­ßen Anpas­sungs­schmer­zen beim Wech­sel in den Kon­zern im Jahr 2015 rühr­ten von die­ser zeit­li­chen und ört­li­chen Starr­heit der Kon­zern­welt her. Ver­stärkt wur­de die­ser Schmerz damals sicher­lich dadurch, dass unse­re ers­te Toch­ter 2014 auf die Welt kam und ich ger­ne mehr Zeit der Fami­lie ver­bracht hätte.

Die Pan­de­mie hat nun vie­len gezeigt, wie erfül­lend es sein kann, Arbeit und Pri­vat­le­ben fle­xi­bel inein­an­der­flie­ßen zu las­sen. Das hat natür­lich einen ört­li­chen Aspekt, inso­fern die­se Work-Life-Inte­gra­ti­on nur am jewei­li­gen Lebens­mit­tel­punkt des Arbeit­neh­mers statt­fin­den kann. Die ört­li­che Fle­xi­bi­li­tät allein nützt aller­dings wenig, wenn stän­di­ge Erreich­bar­keit erwar­tet wird und die Arbeit trotz­dem oder gera­de des­we­gen zu dicht gepackt ist und es auf das ermü­den­de Mus­ter „eat, sleep, zoom, repeat“ hinausläuft. 

Wenn es aber im Kern um zeit­li­che Fle­xi­bi­li­tät geht, ist die Fra­ge nach hybri­den Arbeits­for­men nicht aus­schließ­lich durch gemein­sa­me Zei­ten um Büro und Home­of­fice-Rege­lun­gen zu beant­wor­ten und schon gar nicht durch hybri­de Mee­tings. Die Fra­ge nach hybri­dem Arbei­ten zielt auch auf einen Mix aus syn­chro­nem und asyn­chro­nen Arbei­ten im Team ab. Nur dadurch lässt sich die lieb­ge­won­ne­ne zeit­li­che Fle­xi­bi­li­tät erhal­ten. Video­kon­fe­ren­zen sind auch kei­ne Lösung, schrieb ich des­halb schon zu Beginn der Pan­de­mie. Heu­te wür­de ich sagen: Hybri­de Video­kon­fe­ren­zen sind nur ein Teil der Lösung und im Sin­ne der eigent­li­chen Fra­ge eher eine Themaverfehlung.

Die Pan­de­mie hat vie­le Wis­sens­ar­bei­ter ins Nach­den­ken gebracht, was ihnen wich­tig ist und gleich­zei­tig gezeigt, dass die vor-pan­de­mi­sche Arbeits­welt nicht Gott gege­ben ist, son­dern auch geän­dert wer­den kann und dann vie­les viel­leicht sogar bes­ser funk­tio­niert. Den Effekt davon sehen wir in Ame­ri­ka als „Gre­at Resi­gna­ti­on“, aber auch in Deutsch­land zeich­net sich die­se Ten­denz immer deut­li­cher ab. Zur Fra­ge, was die Men­schen jetzt benö­ti­gen und wol­len und was Arbeit­ge­ber ihnen bie­ten müs­sen, fasst Mar­cus Buck­ing­ham in die­sem Inter­view anläss­lich einer gro­ßen Stu­die über 27 Län­der mit tau­sen­den Teil­neh­mern und anläss­lich sei­nes zuge­hö­ri­gen Buchs sehr tref­fend zusammen:

What peo­p­le are real­ly loo­king for isn’t fle­xi­bi­li­ty of loca­ti­on. It’s fle­xi­bi­li­ty of time. The pan­de­mic has kind of shown ever­y­bo­dy that we’­re who­le humans. [Ed. Note: At this point in the inter­view, my 3‑year-old daugh­ter ran into the room.] Like your kid today on spring break, we now know what she looks like and that she runs in every now and again. We want fle­xi­bi­li­ty to go pick up my kid or pick up my grand­ma. All this hybrid talk mis­ses the fact that it’s not the geo­gra­phy, the loca­ti­on. It’s the fle­xi­bi­li­ty of being a who­le human.

Mar­cus Buckingham

Ich glau­be dar­in liegt der Schlüs­sel: Den Mit­ar­bei­tern ein Umfeld zu bie­ten, wo sie nicht nur Mit­ar­bei­ter (im Sin­ne von Zahn­räd­chen im Maschi­nen­mo­dell von Fre­de­ric Laloux), son­dern Men­schen mit einer Fami­lie, Bedürf­nis­sen und Hoff­nun­gen sein kön­nen. Work-Life-Inte­gra­ti­on bedeu­tet den gan­zen Men­schen will­kom­men zu hei­ßen und das Unter­neh­men als Werk­statt für gelin­gen­des Leben zu begrei­fen, wie Bodo Jans­sen es in Anleh­nung an die Regeln des hei­li­gen Bene­dikt von Nur­sia formuliert.

Die Kern­bot­schaft in der Dis­kus­si­on um hybri­de Arbeits­for­men und eine ganz ent­schei­den­de Zusi­che­rung müss­te frei nach Goe­the lau­ten: Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein. Als Füh­rungs­kräf­te haben wir hier­bei eine Füh­rungs- und eine Vor­bild­funk­ti­on. Füh­ren müs­sen wir über Visio­nen, Rah­men­be­din­gun­gen und Resul­ta­te (egal wo und wie die­se erbracht wer­den), aber auch als Vor­bil­der, mit einem Leben außer­halb der Arbeit und dem Bedürf­nis nach fle­xi­bler Inte­gra­ti­on von Arbeit und Pri­vat­le­ben und nicht zuletzt Familie.

Titel­bild von Danie­le Levis Pelu­si ver­öf­fent­licht bei Uns­plash



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3 Kommentare

MelMel 30. Juni 2022 Antworten

Soviel zum The­ma Work-Life Balan­ce. Ich habe nur ein Leben, daher ist die­ses Wort ein wei­ßer Schimmel…

Max 30. Juni 2022 Antworten

@MelMel Daher fin­de ich auch „Life-Balan­ce“ eigent­lich viel bes­ser. Ich ver­wen­de das schon seit Jahren.

Monika 4. Juli 2022 Antworten

Die strik­te räum­li­che und zeit­li­che Tren­nung von Erwerbs­ar­beit und „Leben“ also z.B. Muse aber auch Sor­ge­ar­beit ist rela­tiv neu. Sie fängt an erst mit der Fabrik­ar­beit im Zeit­al­ter der Indus­tria­li­sie­rung. War­um hat die­ses Modell eine All­ge­mein­gül­tig­keit erlangt? Suchen wir nach ande­ren Model­len, die unse­rer Arbeit und unse­rem Leben gerecht werden.

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