Eines vorweg: Ich habe nichts gegen Projektmanagement-Standards wie das PMI PMBoK. Genauso wenig wie gegen den Brockhaus. Ich glaube nur die Zeiten ändern sich. Den Brockhaus hat es bereits erwischt: Wikipedia ist qualitativ mindestens ebenbürtig, aber um ein Vielfaches aktueller. Ich finde es gut, ein verlässliches Nachschlagewerk zu haben – früher eben den Brockhaus und heute Wikipedia. Ob es dafür eine Institution „Brockhaus“ zur Herstellung und Pflege dieses verlässlichen Standards geben muss, hat die Realität längst mit einem eindeutigen Nein beantwortet. Die Dienstleistung einer Institution „Brockhaus“, nämlich die Sammlung, Aktualisierung und Prüfung, erfolgt nun kollaborativ und demokratisch. Wie Don Tapscott in seinen Büchern Wikinomics und Macrowikinomics mit zahlreichen Beispielen belegt, handelt es sich dabei nicht um einen Einzelfall sondern um ein wiederkehrendes Muster. Vor diesem Hintergrund frage ich mich: Wozu brauchen wir also Institutionen wie PMI & Co.?
Zur Historie: Begonnen hat die Diskussion mit Stefan Hagens Artikel „PMI® – quo vadis?“ in dem Stefan seinen Unmut äußert über PMI als Institution und deren Zielkonflikt zwischen Gewinnstreben und bedingungsloser Förderung des Projektmanagements. In den Kommentaren zu diesem Artikel habe ich erstmals die Frage gestellt, was uns eigentlich hindert die Funktionen von Institutionen wie PMI kollaborativ zu übernehmen. Nochmal: Es steht außer Frage, dass es PM-Standards geben sollte. Die Frage ist nur wie sollen diese künftig entstehen und weiterentwickelt werden. Einigen begeisterten Mitstreitern, insbesondere Christian Vogel (@fogbird), ist es zu verdanken, dass diese ersten losen Gedanken kollaborativ (wie sonst?) konkretisiert und detailliert wurden (nachzulesen hier).
Neben der Standardisierung von Wissen und Methoden bieten die großen PM-Organisation auch und vor allem Zertifizierungen in der korrekten Anwendung des Standards. Sicherlich sind Zertifikate ein guter Nachweis für erworbenes Wissen und sicher Anwendung von Methoden. Als Kunde würde mich aber auch interessieren, wie engagiert ein Projektmanager in seinem Fachgebiet ist. Ob er beispielsweise zu diesem oder jenem Thema viel veröffentlicht und somit zum gemeinsamen Standard beiträgt. Meine Vision: Zertifikate werden ergänzt durch Online-Reputation auf einer – wie auch immer umgesetzten – Open-PM-Plattform.
Auf dem bevorstehenden D‑A-CH PM-Camp vom 3. – 5.11. in Dornbirn, Österreich, möchte ich diese Gedanken wieder aufgreifen. Insofern ist dieser Artikel und mein Vortrag auf dem PM-Camp ein Aufruf zur Diskussion, die dann in den Open-Space Sessions im Rahmen des PM-Camps stattfinden soll. Das Ziel ist ein Manifest, in dem möglichst viele Unterzeichner ihre Unterstützung für eine auf Kollaboration und Demokratie beruhende Alternative zu PMI & Co. bekunden: Open-PM eben.
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Das Artikelbild wurde von CBS_Fan unter dem Titel „Lautsprecher“ auf Flickr unter eine Creative Commons Lizenz (CC BY-SA 2.0) veröffentlicht (Bestimmte Rechte vorbehalten).
6 Kommentare
Open-PM finde ich einen sehr guten Ansatz. Alleine deswegen, weil es jemamdem auch privat möglich sein muss, sich Wissen über Projektmanagement anzueignen. Die einzige Methode, die das derzeit bietet ist meines Erachtens Prince2. Es ist kein Training durch akkreditierte Ausbildungszentren nötig. Alles was man wissen muss, gibt es im Buchhandel oder bei der APMG und die Zertifizierung liegt bei 260€. Ich bin auch der Meinung, dass man mit einem „kleinen“ Zertifikat Wissen beweisen können darf ohne die so oft gefragte Erfahrung.
Aber wie soll ein Open-PM inhaltlich aussehen? Selbst die drei großen „Standards“ PMI, IPMA, Prince2 unterscheiden sich doch sehr in ihrem inhaltlichen Vorgehen.
Danke für die Unterstützung. Das Aneignen von Wissen ist die eine Seite. Wichtig finde ich auch, dass die vielen guten Inhalten zu PM im Netz an einer Stelle gebündelt werden. Daraus wird sich ein neuer „Standard“ entwickeln. Und dieser Standard wird besser und aktueller sein als die der etablierten Institutionen, weil wir schneller und flexibler auf aktuelle Strömungen reagieren können. (Man vergleiche etwa wie lange es dauert bis die agilen Ansätze in den Standards ankommen.) Ob das dann inhaltlich irgendwas Bekanntem ähnelt, kann ich nicht sagen. Vermutlich wird es eine Mischung aus den drei großen Standards werden.
Freue mich schon sehr auf die Diskussion beim PM-Camp 2011.
Lieber Marcus,
gerne greife ich deinen Ball auf und wir werden sicher auch auf dem PM Camp diskutieren. Mit dem „Open“-Ansatz hast du bei mir sofort Sympathie geweckt. Ich hoffe nur nicht, dass es auf einen eigenen OpenPM-Standard herausläuft. Standards gibt es bereits mehr als genug, aber gegen eine Sammlung von Best Practices habe ich nichts einzuwenden.
An die Online-Reputation glaube ich nicht. Willst du eine Punktejagd, wie bei der Rezertifizierung des PMI oder lieber Bewertungssternchen á la Amazon/eBay?
Du hast mal von einem OpenPM-Manifest gesprochen, aber bitte das nicht! Das agile Manifest hat den Graben zwischen agiler Welt und klassischem PM erst ausgehoben und zementiert. Ein echtes „Open“ hat einen solchen Alleingeltungsanspruch doch gar nicht nötig! Vielleicht können wir mit einem OpenPM solche Gräben/Methodenstreite/Verbandkriege/… einfach zuschütten!
Liebe Grüße
Bernhard
Lieber Bernhard,
herzlichen Dank für Deinen Kommentar. Ich freue mich schon auf die Diskussion. Darum habe ich meine Gedanken schon mal in den Ring geworfen. Und ich möchte ausdrücklich betonen, dass das meine ersten und unausgegorenen Ideen sind. Was ich wahrnehme ist folgendes: Große Organisationen mit ihren Standards einerseits und wir alle in unserem Bestreben das in der Praxis Gelernte und Erlebte mit anderen in unserem Blogs zu teilen. Diese Bereitschaft zu teilen und gemeinsam an einer offenen PM-Wissens- und ‑erfahrungsbasis zu arbeiten das sehe ich als Kern von Open-PM. Die damit verbundene Reputation ist ein Thema über das wir sicherlich trefflich streiten werden; mir schwebte vor die Mitarbeit an Open-PM vorzeigbar zu machen, was natürlich zu einer Punktejagd führen könnte. Beim Begriff Manifest hatte ich tatsächlich lange überlegt, ob ich dieses große Wort benutzen will, weil ich genau diesen Absolutheitsanspruch nicht wollte. Ich wäre schon glücklich, wenn wir nach dem PM-Camp verlassen mit einer gemeinsamen Erklärung (das bedeutet Manifest für mich) zu Open-PM, seinen Grundsätzen und Zielen sowie der Bekenntnis zur Mitarbeit daran. Das Überwinden von Gräben könnte ein schönes Ziel sein und ist darum auch Motto des PM-Camps.
Liebe Grüße und bis bald,
Marcus
Schade, daß „Manifest“ als Begriff in den Kommentaren wieder zurückgenommen wird. Wenn das Agile Manifest eines bewiesen hat, dann daß es das PM auf eine neue Ebene gehoben hat. Gott sei Dank. Wäre klasse, wenn wir nun einen Weg finden würde, beide Welten so zu verheiraten, daß die Vorteile des neuen Vorgehens um einige Teile des klassischen PMs ergänzt werden, so daß wir eine vollständigere Methodik haben, die aber tatsächlich effizienter ist als der klassische Ansatz. Das wäre ein Ziel für Open-PM, an dem man sofort arbeiten könnte. Ich suche z.B. gerade nach Ideen, die mir helfen IPMA und Scrum zu verheiraten ;-).
Hallo Rainer,
Danke für Deine Anmerkung. Manifest ist ein großes Wort. Und vielleicht ein wenig zu pathetisch. Wir haben es bewusst abgemildert, wegen der Assoziation mit dem Agilen Manifest. Zweifelsohne hat das Agile Manifest etwas bewegt und ein Nach- vielleicht sogar ein Umdenken bewirkt. Leider hat es meiner Meinung nach auch genau den Graben ausgehoben mit dem Du jetzt kämpfst. Es hat eine künstliche Trennlinie gezogen, die wir mit openpm gerne ausradieren würden. Entscheidend ist für uns was in der Praxis unter welchen Umständen funktioniert. Das ist bewusst ein pluralistischer Ansatz: uns geht es nicht darum die eine alleingültige Methodik zu schaffen und damit nur ein weiteres Silo zu zementieren. Es geht um die Verbindung der verschiedenen Ansätze aus der Praxis und für die Praxis.
Beste Grüße,
Marcus
PS. Darf ich Dich auch zu den Unterzeichnern auf openpm.info zählen?