A mathematician is a device for turning coffee into theorems.
Paul Erdős (zugeschrieben)
So überspitzt formuliert erkennt jeder die Groteske: Ausgerechnet einen Mathematiker, der kreative Wissensarbeit in Reinkultur verrichtet, auf eine Maschine zu reduzieren ist offensichtlich absurd. Aber passiert nicht das Gleiche tagtäglich millionenfach? Wir messen die Auslastung von Mitarbeitern, verplanen Kapazitäten und nennen es dann Human Resource Management. Mitten im post-industriellen Zeitalter der Wissensarbeit hinkt das zugrundeliegende Menschenbild noch immer um Jahrzehnte hinterher.
Why is it every time I ask for a pair of hands, they come with a brain attached?
Henry Ford
In abgeschwächter Form hört man diese polemische Frage immer wieder. Sie zeigt allerdings auch, dass Menschen schon immer mehr als ein „Paar Hände“, mehr als reine Arbeitskraft, waren. Im industriellen Zeitalter war diese untrennbare Verbindung von Hand und Hirn noch ein Störfaktor, heute ist sie eine große Chance.
Anders als seine Konkurrenten im Westen war Toyota stets der Überzeugung, die Mitarbeiter am Fließband könnten mehr als kleine Schrauben im Gewinde einer seelenlosen Produktionsmaschine sein. Wenn man ihnen geeignete Werkzeuge in die Hand gab und die richtig ausbildete, konnten sie Probleme lösen, Innovationen herbeiführen und Veränderungen bewirken. Toyota erkannte in seiner Belegschaft das Potential für einen unablässige, rasante Verbesserung der Betriebsabläufe.
Gary Hamel, Das Ende des Managements (S.48)
Am Beispiel Toyota sieht man sehr gut die Tendenz zu einem neuen, menschenfreundlicheren Paradigma. Von den damit einhergehenden Wettbewerbsvorteilen für Toyota können westliche Autobauer ein Klagelied singen.
Gunter Dueck vertritt in seinem Buch „Professionelle Intelligenz“ die provokante These, alles Wesentliche stehe im Internet und wird damit zur jederzeit und überall verfügbaren Commodity. Jeder Berufsangehörige muss sich fragen, „ob er einem Menschen, der nach zwei Stunden Internetsurfen noch offene Fragen hat, noch einen wertvollen Rat […] geben kann“ (S. 23 bzw. die Rede auf der re:publica XI). Dieser Commodity-Anteil bestehender Berufsbilder wird wegfallen und übrig bleiben Berufsbilder mit einem höheren Anteil an kreativer Wissensarbeit als bisher. Das „Paar Hände“ spielt also perspektivisch eine weniger entscheidende Rolle als das daran hängende Gehirn, das Ford nur ungern in Kauf nehmen wollte.
Willkommen im Zeitalter der Wissensarbeit.
The management of knowledge workers should be based on the assumption that the corporation needs them more than they need the corporation. (…) They have both mobility and self-confidence. This means they have to be treated and managed as volunteers.
Peter F. Drucker, Management Rev Ed., S. 56
Natürlich kann man Menschen auch heute noch als Ressourcen betrachten und behandeln, darf sich dann aber nicht wundern auch nur das geforderte „Paar Hände“ ohne Herz und Hirn zu erhalten (vgl. den sogenannten Rosenthal- oder Pygmalioneffekt).
Wenn die These von Gunter Dueck stimmt, braucht jeder Einzelne ein höheres Maß an Professionalität für seinen Beruf. Auch und gerade das Management inklusive des Projektmanagements. Menschen sind viel mehr als Ressourcen und Kapazitäten, deren Auslastung gesteuert und koordiniert werden muss. Die Popularität von agilen Ansätzen ist ein Indiz dafür.
Individuals and interactions over processes and tools
Wir können es uns in Zeiten der immer knapper werdenden Fachkräfte eigentlich schon lange nicht mehr leisten, verschwenderisch mit unseren menschlichen Talenten umzugehen.
Bildnachweis
Das Artikelbild wurde von Kevin Utting unter dem Titel „Crane Gears“ auf Flickr unter einer Creative-Commons Lizenz (CC-BY 2.0) veröffentlicht.
6 Kommentare
„Wenn man ihnen geeignete Werkzeuge in die Hand gab und die richtig ausbildete, konnten sie Probleme lösen, Innovationen herbeiführen und Veränderungen bewirken.“
Diese Aussage gilt grundsätzlich für alle Personen in jeglicher Unternehmung. Nur erkennen muss man diesen Sachverhalt. Leider zu oft nicht der Fall.
Gruss
Frédéric
Vollkommen richtig: das gilt allgemein; Toyota war nur ein Beispiel. Und leider hast Du recht: es wird viel zu oft (noch) nicht genutzt.
Dieser Kommentar steht, zusätzlich zu Ihrem eigentlichen Artikel, in Referenz zu meinem Statement auf Twitter: https://twitter.com/#!/Philipp_Mueller/status/204523802565156865
Natürlich behalten Sie mit dem Widerspruch zu meiner Aussage Recht. Den Kapitalismus an dieser Stelle als pauschales Problem an den Pranger zu stellen, war eigentlich auch nicht meine Intention.
Ich gehe allerdings davon aus, dass ein solcher „Paradigmenwechsel“ aus rein ökonomischer Sicht, für viele Unternehmen noch nicht attraktiv genug ist bzw. gerade erst attraktiv wird:
„Im industriellen Zeitalter war diese untrennbare Verbindung von Hand und Hirn noch ein Störfaktor […]“
Zur Optimierung von Fertigungsprozessen hätte schließlich schon zu dieser Zeit der Umstieg auf eine „kopflastigere“ Arbeitsweise Wettbewerbsvorteile eingebracht (Produktqualität & Effizienz der Fertigung selbst). Diese wären allerdings nicht nennenswert ins Gewicht gefallen, da beispielsweise H. Ford durch die bloße Einführung der Fließbandfertigung weit größere Fortschritte(Vorteile) erzielte und der Konkurrenz ohnehin um Längen voraus war.
Der beschriebene „Paradigmenwechsel“ kann m.E. für ein Unternehmen erst dann interessant werden, wenn die resultierenden Vorteile, den Markt (die Marktstellung des Unternehmens) auch tatsächlich beeinflussen.
Solange jedoch vielversprechendere Optionen zur Wahl stehen wird der Wechsel zur Wissensarbeit nur schleichend vorankommen.
Der angesprochene Fachkräftemangel könnte sich natürlich als besonders signifikanter Treiber erweisen.
Hoffentlich konnte ich meine Gedankengänge halbwegs nachvollziehbar zu „Tastatur“ führen und meine Sichtweise zu diesem Thema klarstellen ;)
fG
Philipp
Danke für den ausführlichen Kommentar. Vom einzelnen Unternehmen dürfen wir auch keinen Paradigmenwechsel erwarten. Gary Hamel beschreibt das in seinem Buch sehr gut: die amerikanischen Autobauer brauchten mehr als 20 Jahre um zu verstehen was genau es war das Toyota den enormen Wettbewerbsvorteil einbrachte. Wir dürfen uns also nicht zu sehr auf die heute schon existierende Unternehmen konzentrieren.
Ich gebe Ihnen recht, dass es heute erst einzelne Vorboten gibt: beispielsweise Semco. Katalysiert durch Fachkräftemangel und Wandel der Berufe zu höheren Anteilen an Wissensarbeit werden diese mehr werden und zunehmend für etablierte Unternehmen und Geschäftsmodelle ein Problem werden. Allerdings eines das die meisten Unternehmen nicht lösen können werden.
„Wir können es uns in Zeiten der immer knapper werdenden Fachkräfte eigentlich schon lange nicht mehr leisten, verschwenderisch mit unseren menschlichen Talenten umzugehen.“ – Sie haben den Beitrag am 20. Mai 2012 verfasst. Knapp sieben Monate danach hören wir in den Medien die Knappheit kaum noch. Wie schnell sich die Zeiten ändern!
Es gibt sicherlich immer ein auf und ab, aber die Demographie zeigt in eine eindeutige Richtung: Wir haben jetzt ein Maximum an Menschen im arbeitsfähigen Alter in Deutschland. Von jetzt an geht es bergab. Diese Entwicklung lässt sich nicht aufhalten; Peter Drucker nannte die demographische Entwicklung deshalb zu Recht auch „the future that already happend.“