Mit Projektaudits ist das so eine Sache. In regelmäßigen Abständen eine Überprüfung des Projekts durch eine neutrale Instanz vorzunehmen ist an sich eine gute Idee. Wie bei so vielen guten Ideen hapert es in der Praxis leider bei der Umsetzung. Nicht selten wird aus einer sinnvollen Standortbestimmung mit wertvollen Hinweisen zur Verbesserung ein wertloses und formales Abhaken von Checklisten ohne Berücksichtigung der speziellen Projektsituation mit einem starkem Beigeschmack der Kontrolle und Überwachung.
Ihre Risikoliste ist nicht im vorgeschriebenen Format des Konzerns? Sie verwenden gar eine übersichtlichere Aufbereitung der Risiken in Powerpoint? Tut mir leid, das führt zu einer Abwertung im Audit mit entsprechender Maßnahme. Sie führen keine Meilensteintrendanalyse im Projekt, weil alle wesentlichen Meilensteine fix sind und nur der Umfang flexibel? Wieder ein Minus und die Auflage, bitte die Konzernregeln einzuhalten. Kein detaillierter Ablaufplan für Ihr Scrum-Projekt? Dickes Minus! So oder so ähnlich laufen leider viel zu viele Projektaudits.
Was aber nützt mir das als Projektleiter und was nützt es dem Projekt? Ich weiß selbst sehr gut, welche Richtlinien ich aus gutem Grund missachtet habe und welche Werkzeuge ich aus gutem Grund nicht einsetze. Wenn aber nur geprüft wird, ob das Projekt die Richtlinien und die Best-Practices einhält ohne Spielräume für deren individuelle Auslegung im jeweiligen Projekt, ist das für mich einfach nur wertlos. Schlimmer noch, das Unternehmen verpasst damit im Namen der Gleichförmigkeit die Chance, aus solchen Abweichungen die Best-Practices von morgen abzuleiten.
Projekte sind einmalige Vorhaben und sollten auch so behandelt und geführt werden (vgl. meine Projektmanagement-Philosophie). Ich habe kein Problem damit, über die verschiedenen Bereiche des Projektmanagements Rechenschaft abzulegen, falls ich auch die Chance bekomme, das Warum zu erklären. Im Gegenteil kann man mit mir darüber stundenlang diskutieren. Wenn es aber nur darum geht, Formalien einzuhalten, stößt mein Verständnis und Unterstützung schnell an Grenzen.
Mein Anspruch als Projektleiter an ein Audit ist genauso einfach wie eigensinnig: Das Projekt muss einen Nutzen davon haben. Wenn ein erfahrenen Auditor auf Augenhöhe und mit echtem Interesse über die im Projekt gewählte Vorgehensweise und die eingesetzen Methoden mit mir diskutiert, ist das für mich eine wertvolle Gelegenheit zur Reflektion. Wenn wir aber nur schnell eine Checkliste formal abhaken, ist das ein ebenso lästiger wie wertloser Pflichtermin.
Sich über die formalistische Sinnlosigkeit vieler Projektaudits auszulassen ist das eine, es besser zu machen aber etwas ganz anderes. Aus meiner Erfahrung weiß ich: Um die wahren Probleme im Projekt zu finden und ihre Ursachen zu erkennen, muss man die Arbeitsebene verlassen und sich auf die Führungsebene des Projekts begeben.
2 Kommentare
Marcus, Du triffst wieder den Nagel auf den Kopf.
Sinn und Zweck der Audits oder Reviews* ist ja nicht nur, dem Management regelmäßig** einen Überblick über das Projekt zu geben und dabei einen Prozeß zu befriedigen.
Vielmehr geht es meines Erachtens auch darum, dem Management aktuelle Brennpunkte anzuzeigen.
Dabei ist es dann auch nicht das Spiel „Melden macht frei und belastet den Vorgesetzten“ gemeint, sondern vor allem, Entscheidungsvorlagen und Ideen zu präsentieren, die sich dann aus Sicht der Unternehmensstrategie oder im Vergleich zu anderen Projekten beleuchten lassen. Damit läßt sich dann eine gemeinsame Entscheidung zum weiteren Verfahren finden.
Diese wiederum wird beim nächsten Review nachverfolgt und auf Erfüllung geprüft. (Stichwort Aktions- und Entscheidungsliste, die in jedes Projekt gehört und alle aktiven Stakeholder abdeckt)
Mir als Projektleiter gibt dies auch die Sicherheit, im Sinne des Projektes _und_ der Firma zu agieren, und dabei die Zustimmung meiner Vorgesetzten zu haben.
Allerdings waren in der Vergangenheit die Projektreviews kurz getaktet und haben kaum gereicht, das Pflichtprogramm durchzuhecheln. War eine Stunde geplant, kamen wir oft bei anderthalb oder zwei Stunden raus, begleitet von der beginnenden Unruhe (und gedanklichen Abwesenheit) der zuständigen Abteilungsleiter, die zum nächsten Termin weiterdüsen, mich aber auch nicht hängenlassen wollten.
Mein Vorschlag, von vornherein mehr Zeit einzuplanen, wurde denn auch aufgenommen und umgesetzt.
Ein großes Plus fürs Projekt und fürs Miteinander!
Gruß
Thilo
*Ich werfe das mal in einen Topf
** bei uns jeden Monat für Projekte ab einem gewissen Auftragswert
Vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar, Thilo. Es zeigt mir, dass die Projektwelt außerhalb meiner Software-Projekte auch nicht viel besser ist. Ich habe es bisher nur selten erlebt, dass Audits wirklich hilfreich waren. Viel zu oft waren es lästige QM-Pflichtübungen ohne Mehrwert.