Projektpolitik

Kein Pro­jekt ist eine Insel. Jedes Pro­jekt ist ein­ge­bet­tet in ein Umfeld, mit dem es in Wech­sel­wir­kung steht: Das Pro­jekt betrifft das Umfeld und das Umfeld beein­flusst das Pro­jekt. Das tem­po­rä­re Sys­tem Pro­jekt effek­tiv zu füh­ren und effi­zi­ent zu gestal­ten, die Arbeit am Sys­tem, ist abso­lut not­wen­dig aber bei wei­tem nicht hin­rei­chend für den Pro­jekt­er­folg. Dazu braucht es noch den Blick auf das Gesamt­sys­tem, also Pro­jekt in Wech­sel­wir­kung mit dem Umfeld. Wäh­rend man als Pro­jekt­ma­na­ger auf das Sys­tem Pro­jekt noch direk­ten Ein­fluss hat, ent­zieht sich das Umfeld dem direk­ten Zugriff. Damit sind wir im Bereich der Pro­jekt­po­li­tik angekommen.

Ganz all­ge­mein bezeich­net Poli­tik „jeg­li­che Art der Ein­fluss­nah­me und Gestal­tung sowie die Durch­set­zung von For­de­run­gen und Zie­len, sei es in pri­va­ten oder öffent­li­chen Berei­chen.“ (Quel­le: Wiki­pe­dia) Pro­jekt­po­li­tik heißt dem­nach: Mei­nun­gen und Stim­mun­gen Umfeld des Pro­jekts güns­tig zu beein­flus­sen. So wie Poli­ti­ker für Vor­ha­ben Mei­nungs­bil­dung betrei­ben und Mehr­hei­ten in der Bevöl­ke­rung oder im Par­la­ment schaf­fen, muss das auch für jedes Pro­jekt gemacht wer­den. Wer das ver­säumt oder ver­nach­läs­sigt ris­kiert Wider­stand und gefähr­det das Vor­ha­ben (sie­he Stutt­gart 21).

Neh­men wir ein kon­kre­tes Bei­spiel: Ein Auto­mo­bil­her­stel­ler möch­te eine neue Soft­ware zur Pla­nung der Mon­ta­ge ein­füh­ren. Einer­seits weil die bestehen­den Sys­te­me ver­al­tet sind und ande­rer­seits weil die ein­zel­nen Wer­ke bis­her unter­schied­li­che Alt­sys­te­me ein­set­zen. Ziel ist ein ein­heit­li­ches Sys­tem zur Pla­nung der Mon­ta­ge für alle Wer­ke. Ein sehr sinn­vol­les Vor­ha­ben aus Sicht der IT (weni­ger Sys­te­me = weni­ger War­tungs- und Betriebs­auf­wand) und aus Sicht des Vor­stands (ein­heit­li­che Pro­zes­se = ein­heit­li­che Kenn­zah­len). In die­sem neu­en Sys­tem die Spe­zi­fi­ka des eige­nen Mon­ta­ge­pro­zes­ses abzu­bil­den ist bereits nicht tri­vi­al. Natür­lich ist die geeig­ne­te Gestal­tung des neu­en Sys­tems kri­tisch für den Pro­jekt­er­folg und für die Pro­jekt­be­tei­lig­ten eine Her­aus­for­de­rung, die eigent­li­che Gefahr lau­ert aber im Umfeld. In sämt­li­chen Wer­ken ändert sich näm­lich mit dem neu­en Sys­tem der über Jahr­zehn­te gewohn­te Pro­zess der Mon­ta­ge­pla­nung, der ja auch jeweils sei­ne Vor­tei­le hat­te, und die Wer­ke wer­den in ihren Kenn­zah­len unter­ein­an­der bes­ser ver­gleich­bar, was nicht jeder ger­ne sieht. Ohne ent­spre­chen­de Maß­nah­men der Ein­fluß­nah­me auf die ein­zel­nen Wer­ke wird das Pro­jekt fast sicher in schwie­ri­ges Fahr­was­ser kom­men, egal wie per­fekt das neue Sys­tem sein mag (was es am Anfang nicht sein wird).

Ich weiss nicht, ob es bes­ser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders wer­den, wenn es bes­ser wer­den soll.
– Georg Chris­toph Lichtenberg

Das Bei­spiel zeigt ein lei­der bekann­tes Mus­ter: Ein schein­bar rei­nes IT-Pro­jekt ist in Wahr­heit ein ver­kapp­tes Ver­än­de­rungs­pro­jekt. In sol­chen Fäl­len wäre es tat­säch­lich oft bes­ser das Pro­jekt auch als Ver­än­de­rungs­pro­jekt auf­zu­set­zen mit der Sys­tem­ge­stal­tung als Teil­pro­jekt. Egal wie, jemand muss die­sen Ver­än­de­rungs­an­teil, der in jedem Pro­jekt vor­han­den ist, mana­gen. Als Pro­jekt­lei­ter bin ich jeden­falls im Rah­men des Risi­ko­ma­nage­ments dafür ver­ant­wort­lich, dass es pas­siert und muss mir geeig­ne­te Maß­nah­men der Ein­fluß­nah­me und des Mar­ke­tings über­le­gen und ein­for­dern (u.a. vom Pro­jekt­spon­sor oder Auf­trag­ge­ber). Der ers­te Schritt dafür ist aber den eige­nen Hori­zont auf das Umfeld des Pro­jekts zu erwei­tern. Inso­fern ist „Arbei­te am Sys­tem“ in Grund­prin­zi­pi­en des Pro­jekt­ma­nage­ments als „Arbei­te am Gesamt­sys­tem (Pro­jekt und Umfeld)“ zu verstehen.

Bildnachweis

Das Arti­kel­bild wur­de von Melis­sa There­liz unter dem Titel „Reichs­tags­ge­bäu­de  – Cúpu­la del Reichs­tag“ auf Flickr unter einer Crea­ti­ve Com­mons Lizenz (CC BY-SA 2.0) ver­öf­fent­licht (Bestimm­te Rech­te vor­be­hal­ten).



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6 Kommentare

Klaus-L. Schiff-Stilbauer 6. April 2012 Antworten

Hal­lo Marcus,
es gibt kei­ne Pro­jek­te ohne Poli­tik, ich habe es mehr­fach ‑auch leid­voll – erfah­ren. Aber es gibt Abhilfemöglichkeiten:
1.ich behand­le seit Jah­ren alle IT-Pro­jek­te, ins­be­son­de­re die Ein­füh­rung neu­er SW, selbst ein neu­es Release, als Veränderungsprojekt.
Das schafft einen ver­bes­ser­ten Ansatz, denn Ver­än­de­rungs­pro­jek­te haben eige­ne, meist schwie­ri­ge­re Regeln.
2. bei allen gro­ßen und wich­ti­gen Pro­jek­ten emp­feh­le ich, immer eine Stake­hol­der­ana­ly­se durch­zu­füh­ren. Damit wird das Umfeld des Pro­jek­tes trans­pa­ren­ter und man kann neben den Unter­stüt­zern auch die Fein­de und Geg­ner des Pro­jek­tes iden­ti­fi­zie­ren. „Heim­li­che“, mäch­ti­ge Geg­ner, die schein­bar das Pro­jekt unter­stüt­zen, rich­ten in der Regel den größ­ten Scha­den an.
Bei­de Ansät­ze sind natür­lich kei­ne Garan­tie für den Pro­jekt­er­folg, aber die Wahr­schein­lich­keit steigt.

Marcus Raitner 7. April 2012 Antworten

Hal­lo Klaus, Dei­ne Vor­ge­hens­wei­se fin­de ich vor­bild­lich und spricht für Dei­ne lang­jäh­ri­ge Erfah­rung. Lei­der über­se­hen manch jun­ge Pro­jekt­lei­ter die­se Ver­än­de­rungs­an­tei­le im schein­bar harm­lo­sen IT-Pro­jekt und dar­an schei­tert dann das Pro­jekt. Man muss ja nicht gleich ein Ver­än­de­rungs­pro­jekt dar­aus machen, auch wenn das manch­mal sinn­voll wäre, solan­ge man sich bewusst ist, dann man die Ver­än­de­rung mana­gen muss.

wissensarbeiter 7. April 2012 Antworten

Den Ansatz, das Pro­jekt haupt­säch­lich als Ver­än­de­rungs­pro­jekt auf­zu­set­zen mit der Appli­ka­ti­ons­ent­wick­lung als Teil­pro­jekt fin­de ich sehr inter­es­sant. Die Appli­ka­ti­ons­ent­wick­lung könn­te dann Inkre­men­te aus­lie­fern, die den Ver­än­de­rungs­pro­zess unter­stüt­zen. Als erfah­re­ner Pro­jekt­lei­ter behaup­te ich aber, dass kaum eine Geschäft­lei­tung dem zustim­men wird, da so der Auf­wand für die Appli­ka­ti­ons­ent­wick­lung höher sein wird und das Chan­ge Pro­jekt sehr stark das Tages­ge­schäft nega­tiv beein­flusst. Viel zu vie­le Per­so­nen sind invol­viert und dadurch weni­ger effi­zi­ent. Kurz­fris­ti­ge Zie­le kön­nen somit nicht erreicht wer­den. Füh­rungs­kräf­te, die ihre Quar­tals- oder Jah­res­zie­le errei­chen wol­len, wer­den hier wohl (lei­der) blockieren.

Marcus Raitner 7. April 2012 Antworten

Da gebe ich Dir recht: lei­der wird auch sei­tens der Auf­trag­ge­ber ger­ne über­se­hen, dass neben der rei­nen Appli­ka­ti­ons­ent­wick­lung auch Ver­än­de­rung statt­fin­det und gema­na­ged wer­den muss und daher der Auf­wand dafür nicht gern gese­hen wird. Für den Pro­jekt­er­folg aber uner­läss­lich und ein erfah­re­ner Pro­jekt­lei­ter wird in die­sem Punkt die Dis­kus­si­on mit dem Auf­trag­ge­ber früh­zei­tig suchen.

Frédéric Jordan 9. April 2012 Antworten

Hal­lo Marcus
Ähn­li­che Ver­hält­nis­se, wie Du in den Bei­spie­len beschrie­ben hast, tref­fe ich öfters an. Ich stel­le dem Auf­trag­ge­ber ger­ne die Fra­ge, was er eigent­lich errei­chen will. Um bei den Bei­spie­len zu blei­ben: IT-Sys­tem-Wech­sel oder zuerst ein­heit­li­cher Mon­ta­ge­pro­zess unter glei­chem Sys­tem? Aus mei­ner Sicht müss­te zuerst geprüft wer­den, ob der Mon­ta­ge­pro­zess in allen Wer­ken iden­tisch ist. Wenn ja, ob es mög­lich wäre ein Alt-Sys­tem in kur­zer Zeit (Preis­fra­ge) flä­chen­de­ckend ein­zu­füh­ren. Erst dann sehe ich ein Grund­la­ge für eine neu­es Sys­tem. Aber ich bin kein IT-Mensch. :) Sicher kann das neue Sys­tem auch zuerst an einem Stand­ort ein­ge­führt wer­den und dann via „Roll-Out“ instal­liert wer­den. Aus prak­ti­scher Erfah­rung erle­be ich hier jedoch zu häu­fig, dass das Neu­sys­tem ein­fach „drauf­ge­klatscht“ wird – ohne ein­heit­li­che Anpas­sung der eigent­li­chen Basis. Aber genau hier spielt die Pro­jekt­po­li­tik eine sehr gros­se Rol­le, in wel­che Rich­tung es gehen soll/wird.
Gruss Frédéric

Marcus Raitner 9. April 2012 Antworten

Hal­lo Frédéric,
Du hast voll­kom­men recht: erst muss geklärt wer­den, was eigent­lich gewünscht wird. Im vor­lie­gen­den Bei­spiel, war das die Ver­ein­heit­li­chung des Mon­ta­ge­pro­zes­ses (denn der war ganz und gar nicht gleich, noch nicht mal mit Kenn­zah­len ver­gleich­bar). Aber anstatt das in den Vor­der­grund zu stel­len und sich der Dis­kus­si­on dar­über zu stel­len, zog man es vor, das durch die Hin­ter­tür über die Ein­füh­rung eines neu­en Sys­tems zu machen. Wasch mich aber mach mich nicht nass …
Grüße,
Marcus

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