Menschen sind unterschiedlich. Die einen arbeiten am liebsten ungestört Stück für Stück an ihrer Aufgabe und die anderen brauchen immer den gewissen Kick. Adrenalin-Junkies nennt Tom deMarco diesen Typus in seinem auch sonst sehr unterhaltsamen Buch »Adrenalin-Junkies und Formular-Zombies« (Amazon Affiliate Link). Beide Arbeitsweisen sind wertvoll, aber je nach Projektsituation Mal die eine und Mal die andere gefragter. Grundsätzlich strebe ich in meinen Projekten den Zustand einer entspannten Spannung an, einen Zustand des Flow, in dem die Projektarbeit das Team fordert aber nicht überfordert. Stresssituationen entstehen im Verlauf des Projekts noch genügend, dann ist Adrenalin gefragt. Genauso wie man einen Motor nicht permanent unter Volllast fahren kann, muss das Team wieder in einen Zustand der Normallast zurückfinden.
Je nach Situation das passende Maß an Spannung und Stress im Team zu erzeugen ist eine schwierige Führungsaufgabe. Insbesondere dann wenn der Projektleiter selbst eher von Typus Adrenalin-Junkie ist. Genau wegen seines Engagements und seiner Belastbarkeit wurde dieser Mensch vermutlich sogar zum Projektleiter auserkoren. Was auf persönlicher Ebene als passende Arbeitsweise gesehen wird, entfaltet auf Führungsebene im Projekt eine verheerende Wirkung, nämlich dann wenn ein Adrenalin-Junkie das ganze Team in permanente operative Hektik versetzt.
Situativ ist das angebracht und notwendig, als Normalzustand aber kontraproduktiver Raubbau. Auf lange Sicht passieren in diesem Modus nämlich zu viele Fehler. Aufgaben werden ohne die nötige Ruhe und Weitsicht für Seiteneffekte erledigt. Was wiederrum dazu führt, dass diese Fehler und Seiteneffekte dann wieder hektisch behoben werden müssen. Die Spirale der operativen Hektik wird so zum perpetuum mobile und dreht sich sogar immer schneller.
Viele Mitarbeiter leiden dann darunter, dass sie ihre Aufgaben nicht mit der nötigen Sorgfalt erledigen können. Sie fühlen sich getrieben von immer neuen Hiobsbotschaften der Projektleitung und ächzen unter der Last von immer neuen Anforderungen und Fehlern, die eben schnell noch erledigt werden müssen. Ein sicherer Weg in den Burnout als letzter Ausweg aus einem solchen Projekt.
Es ist die klare Führungsaufgabe das Projektteam in einen vernünftigen Arbeitsmodus zu versetzen. Und das beginnt zuallererst mit dem eigenen Vorbild. Obwohl man als Projektleiter sicherlich ganz viel Grund hat in Hektik auszubrechen und vielleicht von der eigenen Persönlichkeitsstruktur (Adrenalin-Junkie) diese Arbeitsweise sogar schätzt, muss genau das eingedämmt werden auf echte Notsituationen.
Wenn Du am Ende der Vorstellung schwitzt, hast Du etwas falsch gemacht.
Richard Strauß
Besser ist es wenn der Projektleiter eine unerschütterliche Ruhe ausstrahlt. Der Druck von Außen, ob vom eigenen Management oder vom Kunden, darf nie ungefiltert an das Team weitergegeben werden. Wenn Notfälle zusätzlichen Einsatz erfodern, dann immer mit der Erklärung für die Zusammenhänge und der Notwendigkeit für den Projekterfolg. Wenn dann auch noch der nötige Spielraum für die Mitarbeiter eingeplant wurde, wenn also nicht alle zu 100% verplant sind, dann können Stresssituationen leicht abgefedert werden.
Fazit
Der ideale erfahrene Projektleiter ist zwar einerseits sehr belastbar, ruht aber andererseits auch in sich und gibt den Druck nicht ungefiltert weiter. Seine eigene eventuell vorhandene Präferenz als Adrenalin-Junkie beschränkt er auf Notfälle. Er plant in weiser Voraussicht Spielräume ein, mit denen unweigerlich auftretende ungeplante Ereignisse abgefedert werden können. Ziel ist ein Team das von der Projektarbeit gefordert aber nicht überfordert wird.
Artikelbild: Vladimer Shioshvili bei flickr.com (CC BY-SA 2.0)
3 Kommentare
Marcus, sowohl mit dem einen wie mit dem anderen Typ kann man arbeiten.
Diese Konstellationen habe ich schon gehabt, und mit ordentlichem Umgang inkl. einem Gutteil Empathie klappt das nach einer Weile.
Wie Du schreibst: Selbst wenn dem PM die Kugeln um die Ohren pfeifen, muß er die Ruhe bewahren und das Team führen – auch wenn er selbst am liebsten davonlaufen würde.
Das Problem ist, daß mittlerweile viele Führungskräfte sich zu Adrenalinjunkies entwickeln (oder in den einschlägigen Managemermanufakturen dazu erzogen werden).
Mein Lieblingszitat (nicht!): „Ohne Druck und Temperatur keine Änderung!“
Damit ist das Programm klar: Die Leute werden unter Dauerstreß gehalten, am liebsten noch ein Schippchen Angst um den Arbeitsplatz und eine Prise „runter mit dem Selbstbewußtsein – nicht, daß der nachher noch mit Ideen kommt“.
Im Endeffekt ist es dann vollkommen gleichgültig, welche Persönlichkeiten Du im Projektteam hast – im Vergleich wirken die alle wie „Formular-Zombies“, nämlich dann, wenn jeder nur noch um seinen Job schreibt, dokumentiert und seinen Ar… an die Wand mailt. (Zitat 2: „Wer schreibt, der bleibt“ – im Job)
Das was Du als Fazit beschreibst, ist meiner Meinung nach nicht der Idealzustand, sondern die Mindestanforderung an die Projektleiter (die zumindest in meiner Branche nicht den Hauch von Weisungsbefugnis haben), um überhaupt irgendwas gerissen zu bekommen.
Nachhaltige Projektentwicklung gehört dann schon eher in den Bereich Utopia.
Danke Thilo für Deinen Kommentar. Natürlich hat man das Problem auf höherer Managementebene genauso, nur leider mit weitaus größerer negativer Auswirkung. Das Zitat mit Druck kenne ich mittlerweile in so vielfältiger Ausprägung, dass ich mich schon gar nicht mehr aufregen mag. Und dann noch Angst als Motivator. In einem solchen Laden bleibt nur eins: geordneter Rückzug.
Du hast recht. Ich werde „ideal“ streichen, das hatte ich eher so gemeint wie Du es verstanden hast.
Aber so kommt dann wieder was Positives:
Es gibt kaum ein größeres Erfolgserlebnis, als festzustellen, daß ein Team selbst unter widrigsten Umständen gut zusammenarbeitet und Ergebnisse liefert.
Nur daß die Erhaltung dieses Zustandes mehr Arbeit macht als das eigentliche Projekt, will keiner sehen, geschweige denn anerkennen…