Die Zeiten sind hart. Kreativität ist gefordert in der modernen Wissensarbeit. Alle sollen jetzt bitte kreative Lösungen liefern. Das wünscht sich jedes Unternehmen. Leider verschwenden die meisten keinen Gedanken daran, unter welchen Bedingungen Kreativität gedeiht. Aus Angst vor zu wenig Austausch und Kommunikation gibt es nur noch Großraumbüros, deren einzelne Arbeitsplätze wenn überhaupt nur notdürftig voneinander abgetrennt sind. Ungestörtes und konzentriertes Arbeiten ist so nicht möglich. Die Hoffnung auf Kreativität wird sabotiert durch die Bedingungen der modernen Bürowelt.
Alleine und ungestört arbeiten zu können (…) das gilt in der modernen Arbeitswelt als eine Sünde und wird gleich architektonisch verhindert.
Frank Berzbach. Die Kunst ein kreatives Leben zu führen (Affiliate Link)
In den meisten Unternehmen in die ich als Projektmanager Einblick bekomme herrscht ein beklagenswerter Mangel an Möglichkeiten zum Rückzug des Einzelnen. Mitarbeiter buchen für sich allein Besprechungsräume, um ungestört arbeiten zu können. Oder ziehen sich ins Homeoffice zurück. Der Teamgedanke und die Kommunikation in Ehren, aber wir Wissensarbeiter brauchen für unsere kreative Arbeit auch Abgeschiedenheit und Ruhe.
Die moderne Büroarbeit hat es geschafft, das konzentrierte Arbeiten zu vertreiben und es ins »Homeoffice« abzudrängen. Kreativität ist, egal wie sehr wir den Teamgeist feiern, ein ganz einsames Phänomen. Diese Einsamkeit braucht den Rahmen einer Gemeinschaft, sonst endet sie in der Isolation.
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Die Unternehmen sollten genau das unterstützen und nicht mit aller Macht verhindern. Vor diesem Hintergrund wirkt es recht befremdlich, wenn Firmen wie Yahoo und HP ihre Mitarbeiter aus dem Homeoffice zurück ins Büro zitieren. Hoffentlich haben diese Unternehmen dann wenigstens innerhalb ihrer Räumlichkeiten die Möglichkeiten zum Rückzug des Einzelnen geschaffen ebenso wie die Möglichkeit zum Austausch mit anderen. Beides ist zwingend notwendig für die kreativen Lösungen nach denen unermüdlich gerufen wird.
Oft würde ich mir in Unternehmen einfach eine Bibliothek wünschen wie an der Uni, ein Raum also in dem per Konvention ruhig gearbeitet wird und den man auch genau diesem Grund aufsucht. Aber selbst wenn die Unternehmen im Großen die Bedingungen für kreative Wissensarbeit nicht umsetzen können oder wollen, lässt sich im Kleinen auch einiges pragmatisch regeln. Beispielsweise indem ein stiller Vormittag im Projektteam eingeführt wird, also eine Zeit in der nur konzentriert gearbeitet wird, gerne auch im Homeoffice, falls das noch erlaubt ist. Oder es wird mit Stopp-Schildern gearbeitet, um zu signalisieren, dass man derzeit nicht gestört werden möchte. Und jeder einzelne kann sich fragen, ob nicht eine unaufdringliche E‑Mail auch reicht anstatt den Kollegen aus der Konzentration zu reißen.
Fazit
Natürlich kann man sich wünschen, am Polarkreis Orangen zu ernten. Ohne weitere Maßnahmen wird das in diesem Klima aber nicht funktionieren. Mit der Kreativität ist es ähnlich. Kann man fordern, aber dann muss man sie auch fördern. Lösungen, im Kleinen wie im Großen, gibt es viele, wenn denn die Notwendigkeit für ungestörtes Arbeiten erkannt wurde.
Artikelbild: Manuel Martín Vicente bei flickr.com (CC BY 2.0)
14 Kommentare
Hallo Marcus,
das liest sich wie eine harte Abrechnung; unterm Strich schreibst Du aber das, was unsereinem durch den Kopf schwurbelt, wenn zwischendurch mal Zeit für solche Gedanken ist.
Vielen Dank dafür!
Was übrigens zur Kreativität auch gehört, sind Reserven in der Arbeitszeit. Jemand der in 55 (eigentlich 40) Wochenstunden 25 Projekte behandelt, hat halt nur 2,2 Stunden je Woche und Projekt. Damit hat sich das Thema Kreativität, insbesondere für Claim Management oder andere Verbesserungen, direkt erledigt. Hier wird Projektarbeit zum Fließbandjob, und nur das Allernötigste wird auch erledigt.
Als jemand, der die Kollegen dann noch zu einem kleinen Claim-Workshop motivieren kann, habe ich dann direkt wieder ein schlechtes Gewissen, weil ich weiß, daß in anderen Projekten Dinge liegen bleiben und sie sich dafür rechtfertigen müssen…
(soweit mein Kommentar auf G+)
Die Diskussion um Großraumbüros, die auch bei uns wieder beginnt, erinnert mich stark an alte Zeiten, in denen die Kommunikation nicht belebt, sondern kontrolliert werden sollte.
Zum Teil ist es schon jetzt so, daß die freie (Projekt-)Kommunikation in Kaffeeküchen und Raucherecken den Linienenvorgesetzten ein Dorn im Auge ist, obwohl diese ausdrücklich zu diesem Zweck bei der letzten „Revolution“ vor ein paar Jahren eingerichtet wurden.
Dementsprechend werden die zugemacht oder aus dem direkten Umfeld verbannt* – immerhin hat Kommunikation im Büro stattzufinden, auch wenn dort Dutzende oder (worst case) Hunderte zuhören und stören.
Maximal wird ein sogenannter „Think Tank“ zugestanden, der im Grunde nur ein Glaskäfig mit Flipchart ist, in dem ein Projektteam zur Schau gestellt werden kann – frei nach dem Motto: „Guck mal, denen ist langweilig. Also veranstalten sie ein Meeting“
Förderung von Kommunikation und Kreativität findet praktisch nicht mehr statt.
Ich frage mich, was die nächste „Kommunikationsrevolution“ bringt. Offenen Stuhlkreis mit Bällchen hatten wir schon lange nicht mehr ;o)
*: Ein Ausspruch des Vorstandes eines großen Anlagenbauers ist mir gut im Ohr geblieben. Mit dem stand ich mal vor der Tür beim Rauchen. Er sagte: „Früher saßen die Leute im Raucherraum und besprachen ihre Projekte; heute stehen sie vor der Tür und lästern über die Firma“
Danke Thilo, Dein Kommentar zeigt mir, dass diese Missstände leider verbreiteter sind als gut ist. Ich habe auch das Gefühl, dass Kontrollzwang eine wesentliche Rolle spielt, neben den mangelnden Freiräumen, die Du richtig anführst. Wer im Zeitalter der Wissensarbeit glaubt Kontrolle über die Kommunikation ausüben zu müssen, hat meiner Meinung nach ein unpassendes Menschenbild. Anstatt auf den neuesten Trend zu setzen und die nächste Kommunikationsrevolution anzustoßen sollten diese Menschen und Unternehmen lieber an ihrem Menschenbild arbeiten und erst Mal Vertrauen üben. Ich bin auch per se nicht für oder gegen Großraumbüros oder für oder gegen Kaffeeküchen. Grundsätzlich brauche ein Wissensarbeiter aber eben beides: Einen Ort zum stillen Arbeiten und einen zum Austausch mit anderen. Das umzusetzen wäre gar nicht schwierig und eine Revolution die ich gerne unterstützen würde.
Volle Zustimmung. Ich bin am kreativsten im Homeoffice, brauche aber die Teamarbeit für notwendige Perspektivwechsel. Es braucht das sowohl als auch.
Danke, Martin, für Deine Zustimmung. Die Lektüre des Buches von Frank Berzbach hat mir deutlich gemacht, dass man in Klöstern hinsichtlich der richtigen Bedingungen von Wissensarbeit schon deutlich weiter war. Interessante Beobachtung.
Martin,
das „sowohl als auch“ macht viel aus.
Vor allem aber auch die Selbstbestimmung: Ich möchte bitte selbst entscheiden, welche Phasen meiner Arbeit ich im Home Office, in meinem 2er-Büro oder im gesamten Team erledigen möchte oder kann.
Auch die Abstimmung mit dem Team stoße ich an (oder nehme an der Abstimmung meiner Teammitglieder konstruktiv teil).
Dann kann ich am effektivsten arbeiten.
Nur leider gibt das die normale Firma in DE nicht her. Hier regieren Stechuhr und Mißtrauen (auf beiden Seiten). Das torpediert die Selbstbestimmung.
Da wären wir dann wieder beim Menschenbild. Und ja: das ist in viel zu vielen deutschen Unternehmen noch das der Theorie X und entsprechend von Kontrolle und Misstrauen geprägt. Solange sich das nicht ändert wird es auch mit der Selbstbestimmung nicht klappen. Ich hoffe das ändert sich in naher Zukunft.
Hallo Marcus,
eine wunderbare Zusammenfassung und auf den Punkt gebracht. Für mich ist es bis heute noch verständlich, warum Unternehmen nicht handeln. Ich habe gerade ein Projekt abgeschlossen, bei dem sich die Entwicklungsingenieure regelrecht stapelten.
Schon in der Podcast-Episode 15 „Gibt uns die Türen zurück“ (http://zukunftsarchitekten-podcast.de/ZA015) habe ich meine Meinung dazu mal zusammengefasst. Ist interessanterweise die am Meisten zitierte Episode. Also scheint das Thema bei vielen Geistesleitern durchaus präsent zu sein.
Schönen Gruß aus Köln,
Maik
Danke, Maik! Ich kann auch nicht erklären, warum Unternehmen nicht entsprechend handeln, sondern im Gegenteil immer mehr zu offenen Strukturen ohne jeglichen Rückzugsraum tendieren. Ich kann so nicht arbeiten …
Hi,
ein spannendes Thema.
Dazu fiel mir gleich etwas ein:
„Oft würde ich mir in Unternehmen einfach eine Bibliothek wünschen wie an der Uni, ein Raum also in dem per Konvention ruhig gearbeitet wird und den man auch genau diesem Grund aufsucht“.
Das ist doch ein Großraumbüro ;) – Da sollte solch eine Konvention herrschen und all das was Krach macht wie Diskussionen und Besprechungen kann ausgelagert werden. In Besprechungsräume, usw.
So kann konzentriertes Arbeiten möglich gemacht werden.
Viele Grüße
Patrick
Danke für Deinen Kommentar, Patrick!
Tatsächlich wollte ich das auch schon fast schreiben. Genau das könnte ein Großraumbüro sein, leider ist es genau das in der Praxis nicht. Ich meine auch, dass wir hier eher ein Problem der Konventionen und Spielregeln haben als ein Problem der richtigen Infrastruktur.
Marcus, die große Frage ist doch: Was genau stört im Großraumbüro?
Zum Einen die schlichte Präsenz einer großen Anzahl von Mitarbeitern (und damit jeweils Augen und Ohren)
Zum Anderen geht es auch um etwas, das ich mangels eines besseren Begriffs mal Akustikhygiene nenne.
Im GRB kann man sich weder von telefonierenden Kollegen noch von hitzigen Diskussionen distanzieren.
Für Letzteres braucht es enorme Disziplin, damit Diskussionen in Besprechungsräumen oder anderen Bereichen ausgetragen werden. Hier scheitert es aber oft an der Akzeptanz, speziell wenn die Kollegen sich in Raucherecken oder Kaffeeküchen verziehen („Ist das Arbeit?“)
Für Ersteres müßte schlicht das Telefon vom Schreibtisch verbannt werden. Das wird aber kaum passieren. Selbst im Zweierbüro ist es schon problematisch, sich zu konzentrieren, wenn der Kollege nebendran telefoniert.
Nebeneffekt: Wer mal in einem nicht ganz aktuellen Großraumbüro miterlebt hat, wie abends um 19 Uhr die Klimaanlage ausgeschaltet wird, hat überhaupt erst eine Ahnung von der Lärmbelastung, die als Rauschen allgegenwärtig ist, und nur aus dem Bewußtsein ausgeblendet wird, nicht aber aus dem Unterbewußten.
Das ist die Frage. Die Anzahl der Personen ist es nicht, schon eher ihre Disziplin oder besser das Fehlen derselben. Im Lesesaal einer Uni klappt das gemeinsame Arbeiten ja auch. Dort gibt es aber auch allgemein akzeptierte Regeln. Was ich mir wünschen würde, wäre eine Art Lesesaal im Unternehmen in den ich mich aus meinem Büro (egal ob Großraum oder nur Zweierbüro) zurückziehen kann um ungestört zu arbeiten. So schwierig wäre das nicht umzusetzen.
Ich finde die Idee mit der Bibliothek gut. Ob es dann eine Bibliothek ist, im Zeitalter des eBooks, ein anderes Thema. Nennen wir sie Rückzugsräume, wie immer sie auch aussehen. Dort herrschen (das Wort ist Programm) strengere Regeln. Und es gibt die Akzeptanz im Unternehmen, dass man solche Räume aufsuchen darf/kann und damit entsteht ein kulturelles, soziales Umfeld.
Leider wird dieser Teil nirgends erfasst und fällt damit bei der Planung des Büros/Arbeitsplatzes hinten runter.
Danke, Ralf, schön zusammengefasst. Wie gesagt: Man kann auch am Polarkreis Orangen züchten wollen, dann muss man aber auch die Bedingungen dafür schaffen. Genauso kann man Kreativität fordern und muss sie entsprechend fördern. Es wäre eigentlich recht einfach. Wenigstens kann aber jeder in seinem Wirkungskreis entsprechende Regeln im Projekt etablieren. Wenigstens im Ansatz.