Wir leben in einer Zeit und Welt, die sich sehr treffend mit dem Akronym VUCA (kurz für volatility, uncertainty, complexity und ambiguity) beschreiben lässt. Unter diesen veränderten und deutlich schwierigeren Markt- und Umfeldbedingungen muss die Zusammenarbeit in Organisationen nach neuen Paradigmen gestaltet werden. Anstelle der im Industriezeitalter vorherrschenden Effizienz muss in einer VUCA-Welt Anpassungsfähigkeit treten. Die vorherrschende hierarchische Organisationsform des Industriezeitalters ist auf Stabilität ausgelegt und auf Effizienz getrimmt, aber dadurch in ihrer Anpassungsfähigkeit prinzipiell beschränkt. Ein entscheidender Schritt zu mehr Anpassungsfähigkeit ist die Erhöhung der Freiräume der Mitarbeiter, so dass sich wieder alle oder jedenfalls viele für die Kultur, die Abläufe und die Strategie verantwortlich fühlen können und dürfen anstatt nur als Rädchen im Getriebe Dienst nach Vorschrift zu verrichten.
Die Ergebnisse des Gallup Engagement Index sind Jahr für Jahr wieder schockierend: Rund 70% der Deutschen verrichten nur Dienst nach Vorschrift und 15% haben bereits innerlich gekündigt. Bleiben 15% die sich stark mit der Organisation identifizieren und entsprechend engagieren. In planbareren Zeiten und stabileren Märkten ist Dienst nach Vorschrift vielleicht noch hinnehmbar, den digitalen Wandel überleben wir damit aber nicht.
It doesn’t make sense to hire smart people and then tell them what to do; we hire smart people so they can tell us what to do.
Steve Jobs
Es ist kein Naturgesetz, dass nur die wenigsten Mitarbeiter sich mit der Organisation identifizieren und sich voll einbringen. Sie reagieren lediglich auf das System und die Kultur und passen sich an. Wer mehr als einmal erlebt, dass Strategie von oben diktiert wird, wer mehr als einmal kein Gehör mit Verbesserungsvorschlägen findet und wer sowieso komplett überlastet mit operativen und administrativen Tätigkeiten ist, funktioniert irgendwann nur noch und kümmert sich nicht mehr.
The ingenuity of the average worker is sufficient to outwit any system of controls devised by management.
Douglas McGregor
Die Zahlen des Gallup Engagement Index zeigen also Jahr für Jahr in erster Linie nicht etwa einen beklagenswerten Mangel an Motivation, sondern nicht minder beklagenswerte, defizitäre Organisationsformen, die den Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter schon lange nicht mehr und denen des Marktes wohl bald auch nicht mehr gerecht werden. Wo Mitarbeiter als Zahnrädchen gesehen und behandelt werden, ist Dienst nach Vorschrift ohnehin das Maximum des Erwartbaren. Nur wird das in Zukunft nicht reichen. Weder für die guten Mitarbeiter noch für das Überleben der Organisation in einer VUCA-Welt.
Engagierte und motivierte Mitarbeiter sind eine Folge von Ermächtigung. Dort wo Mitarbeiter sich einbringen können und dürfen, dort wollen sie es auch und engagieren sich für die Organisation und eben nicht nur für ihren kleinstmöglichen Ausschnitt. Dazu braucht es aber Freiräume. Einerseits zeitliche Freiräume, wie die legendären 20% bei Google. Andererseits, und noch viel wichtiger, den geistigen Freiraum der Ermächtigung zur Arbeit am System. Letzteres dürfte dabei deutlich schwieriger sein, weil es an den Grundfesten der tayloristischen Hierarchie und dem Selbstverständnis so manchen Managers rüttelt. Der zeitliche Freiraum wäre schnell gefunden durch den Verzicht auf sozialistisch anmutende Planungs- und Ressourcenzuteilungs- und Kontrollprozesse, die aufgrund der Unsicherheit in einer VUCA-Welt ohnehin keinen Sinn mehr machen.
When trust is extended, it breeds responsibility in return. Emulation and peer pressure regulates the system better than hierarchy ever could.
Frederic Laloux, Reinventing Organizations
2 Kommentare
Hallo Marcus,
interessanter Artikel.
Wie du schreibst, ist die Realität größtenteils noch weit von Freiräumen entfernt, wenn man nicht gerade in einem Startup unterwegs ist – zumindest in Deutschland.
Viele Unternehmen, so erlebe ich es, sind immer noch streng hierarchisch organisiert. Das aufzulösen scheitert oft daran, dass Manager ihre Königreiche nicht aufgeben wollen. Das kann eine enorme Bremse für kluge und kreative Köpfe sein.
Ich habe aber auch schon oft erlebt, dass wenn die Freiheit gewährt wird, diese von den Mitarbeitern nicht gewollt ist. Bloß keine Verantwortung übernehmen. Es liegt also nicht nur an den Managern.
Ich bin gespannt wie es bei diesem Thema in Zukunft weitergeht.
Grüße und gute Projekte
Sven
Hallo Sven, danke für Deinen Kommentar. Du hast das völlig richtig erkannt: wir sind meilenweit davon entfernt und diejenigen die es ändern könnten, wollen es meist nicht. Und andererseits sind viele Mitarbeiter tatsächlich so an die Verantwortungslosigkeit gewohnt, dass sie es auch nicht wirklich wollen oder jedenfalls Angst vor der Veränderung haben. Dabei geht es auch nicht nur, darum dass sich kluge und kreative Köpfe wohlfühlen, sondern meiner Meinung nach um die Überlebensfähigkeit der Organisation in einer VUCA-Welt.