Organisationsrebellen: Wider den Gehorsam

Orga­ni­sa­ti­ons­re­bel­len sor­gen für Irri­ta­ti­on und hal­ten dadurch Orga­ni­sa­tio­nen leben­dig. Sie han­deln nach kla­ren Prin­zi­pi­en zum Woh­le ihrer Orga­ni­sa­ti­on als das was und wie die­se eigent­lich sein soll­te. Dazu stel­len sie immer wie­der den Sta­tus Quo in Fra­ge und leis­ten so letzt­lich zivi­len Unge­hor­sam in der Organisation.

Ein guter Mensch ist nicht immer ein guter Bürger.
Aris­to­te­les

Der zivi­le Unge­hor­sam hat eine lan­ge Tra­di­ti­on. Sei­ne Ursprün­ge rei­chen bis in die Anti­ke zurück. Bekannt wur­de der Begriff spä­tes­tens durch das Essay „On the Duty of Civil Dis­o­be­dience“ von Hen­ry David Tho­reau, in dem er erklär­te, war­um er aus Pro­test gegen den Krieg gegen Mexi­ko und die Skla­ven­hal­tung kei­ne Steu­ern mehr bezahl­te. Er ver­stieß damit ganz bewusst und öffent­lich gegen gel­ten­des Recht, um auf eine (in Bezug auf ein höhe­res Recht begrün­de­te) Unrechts­si­tua­ti­on hin­zu­wei­sen und durch die­sen gewalt­frei­en öffent­li­chen Akt des Pro­tests eine Ver­än­de­rung zu bewir­ken. Ein ande­res Bei­spiel für einen Akt des zivi­len Unge­hor­sams ist der berühm­te Salz­marsch von Mahat­ma Gan­dhi, mit vie­len Mit­strei­tern ans Meer zog, um dort Salz zu sam­meln und so öffent­lich das als unge­rech­te Salz­mo­no­pol der bri­ti­schen Kolo­ni­al­her­ren brach.

Der zivi­le Unge­hor­sam ist eine Form des Wider­stands inner­halb eines bestehen­den Sys­tems und der bestehen­den Ord­nung. Er ist expli­zit kei­ne Ableh­nung der bestehen­den Struk­tu­ren und zielt nicht auf eine Auf­lö­sung der Sys­tems ab. Wer zivi­len Unge­hor­sam übt, stellt sich nicht außer­halb der Ord­nung, son­dern nimmt ganz bewusst auch eine Bestra­fung sei­nes öffent­lich dar­ge­stell­ten Unge­hor­sams in Kauf. Gera­de durch die­se Opfer­be­reit­schaft wird sein Wider­stand aber authen­tisch zu einer Sache tiefs­ter mora­li­scher Über­zeu­gung. Der red­li­che Bür­ger ist also gera­de nicht durch abso­lu­ten Gehor­sam gekenn­zeich­net (wohin das näm­lich im Extrem füh­ren kann, zeig­te sich in unse­rer leid­vol­len natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Geschich­te in Deutsch­land), son­dern durch das was Jür­gen Haber­mas einen qua­li­fi­zier­ten Rechts­ge­hor­sam nennt und was not­wen­di­ger­wei­se den Wider­stand einschließt.

Pro­test bey­ond the law is not a depar­tu­re from demo­cra­cy; it is abso­lut­e­ly essen­ti­al to it.
Howard Zinn

Was für den Bür­ger und den Staat im Gro­ßen gilt, lässt sich auf den Mit­ar­bei­ter und die Orga­ni­sa­ti­on im Klei­nen über­tra­gen. In der offen­sicht­lichs­ten Form dadurch, dass Men­schen sich selbst­ver­ständ­lich auch als Mit­ar­bei­ter der Orga­ni­sa­ti­on nicht außer­halb des Rechts bewe­gen (was der­zeit im Rah­men der Auf­ar­bei­tung des Die­sel-Skan­dals im VW-Kon­zern ein­mal mehr deut­lich wird). Nicht ganz so offen­sicht­lich lässt sich aber letzt­lich aus der Pflicht zum zivi­len Unge­hor­sam auch der Auf­trag von Orga­ni­sa­ti­ons­re­bel­len ablei­ten. Sie arbei­ten nicht gegen die Orga­ni­sa­ti­on, son­dern ihr Regel­bruch ist immer auf die Ver­bes­se­rung der Orga­ni­sa­ti­on gerich­tet. Sie iden­ti­fi­zie­ren sich mit der Orga­ni­sa­ti­on und dem eigent­li­chen Zweck der Orga­ni­sa­ti­on, aber nicht not­wen­di­ger­wei­se mit allen damit nicht kohä­ren­ten Regeln oder einer als hin­der­lich emp­fun­de­nen Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur. Sie iden­ti­fi­zie­ren sich mit die­sem Ide­al der Orga­ni­sa­ti­on so sehr, dass sie bewusst eine Immun­re­ak­ti­on des Sys­tems und Sank­tio­nen in Kauf neh­men. Ihr Anders­den­ken und Anders­ma­chen ist dadurch die ent­schei­den­de Stö­rung, um Orga­ni­sa­tio­nen vor Selbst­ge­fäl­lig­keit und Träg­heit zu bewahren. 

Wenn aber das Gesetz so beschaf­fen ist, dass es not­wen­di­ger­wei­se aus dir den Arm des Unrechts an einem ande­ren macht, dann, sage ich, brich das Gesetz. Mach’ dein Leben zu einem Gegen­ge­wicht, um die Maschi­ne auf­zu­hal­ten. Jeden­falls muss ich zuse­hen, dass ich mich nicht zu dem Unrecht her­ge­be, das ich verdamme.
Hen­ry David Thoreau



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3 Kommentare

Yannic 17. Oktober 2017 Antworten

Schö­nes Ding – klug argu­men­tiert, gut zu lesen, Dan­ke­schön! Das Bild ist der ein­zi­ge Lap­sus ;-). 2 Aspek­te wür­den mich jetzt als nächs­tes inter­es­sie­ren: ent­wi­ckeln sich Orga-Rebel­len eher aus der Orga­ni­sa­ti­on her­aus, oder han­delt sich’s eigent­lich immer um ein ent­spre­chen­des, grund­sätz­li­ches mind­set, das die Men­schen mit­brin­gen? Denn das dürf­te sich ja ent­schie­den dar­auf aus­wir­ken, wie Orga­ni­sa­tio­nen sich zu die­sen Men­schen ver­hal­ten. Und: ist wirk­lich IMMER die Ver­bes­se­rung der Orga­ni­sa­ti­on das Ziel? Das erscheint mir, sub­jek­tiv, etwas hoch­ge­grif­fen. Ich glau­be, manch­mal geh­t’s auch ein­fach um den eige­nen Nut­zen – oder den Spaß am Ungehorsam!

Marcus Raitner 17. Oktober 2017 Antworten

Vie­len Dank! Ja, mit dem Bild war ich auch nicht 100% glück­lich, aber mein Lieb­lings-Rebel­len-Bild hat­te ich schon bei den 10 Prin­zi­pi­en „ver­braucht“. Ich glau­be, das Rebel­len­tum ist eine Grund­hal­tung von Men­schen. Bei man­chem mehr und bei man­chem weni­ger. Orga­ni­sa­tio­nen för­dern das eher sel­ten, son­dern ten­die­ren eher zur Gleich­för­mig­keit. Sicher­lich ist dann auch der Spaß am „Unge­hor­sam“ – oder nen­nen wir es lie­ber an der Gestal­tung und Ver­bes­se­rung – eine Trieb­fe­der. Es ist mir aber wich­tig und ich hal­te es für ent­schei­dend, dass es nicht um Unge­hor­sam als Selbst­zweck und aus Eigen­nutz geht.

Yannic 17. Oktober 2017 Antworten

Gern gesche­hen, und sehe ich ähn­lich. Und aus mei­ner Sicht müs­sen sich Orga­ni­sa­tio­nen des­we­gen not­wen­di­ger Wei­se damit beschäf­ti­gen – sei es bei der Per­so­nal-gewin­nung oder ‑ent­wick­lung. Moder­nes HR muss das leis­ten! Schließ­lich agie­ren die Men­schen sowie­so in die­sen loka­len Rea­li­tä­ten – aus orga­ni­sa­to­ri­scher Sicht muss man das ein­fach nut­zen, sonst ver­schenkt man nur Poten­ti­al. Bin gespannt auf den nächs­ten Beitrag!

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