Wissensarbeit erfordert Konzentration. Dazu gibt es an den Universitäten Bibliotheken in denen konzentriert studiert werden kann. In unseren Unternehmen gibt es solche Zonen für ungestörtes Arbeiten meistens nicht. Dort heißt die Devise Teamwork und und ihr oberster Wert heißt Kommunikation. Das Ergebnis sind Arbeitstage die zu einem Großteil aus geplanten oder ungeplanten Besprechungen bestehen mit Arbeitsblöcken dazwischen die zu kurz sind für irgendeine sinnvolle vertiefte Arbeit und nur zur Beantwortung der während der Besprechungen aufgelaufenen Flut an E‑Mails genutzt werden oder am Smartphone mehr oder weniger unterhaltsam vergeudet werden. Das alles in Großraumbüros mit Geräuschpegeln die ohnehin jede Form von konzentrierter Wissensarbeit ad absurdum führen oder nur durch Abschottung durch Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung leidlich zulassen.
When you’re operating on the maker’s schedule, meetings are a disaster. A single meeting can blow a whole afternoon, by breaking it into two pieces each too small to do anything hard in. Plus you have to remember to go to the meeting. That’s no problem for someone on the manager’s schedule. There’s always something coming on the next hour; the only question is what. But when someone on the maker’s schedule has a meeting, they have to think about it.
Paul Graham
Brian Donohue hatte vor 100 Tagen in mit seinem Product Engineering Team bei Pinterest ein interessantes Experiment gestartet. Von Dienstag bis einschließlich Donnerstag musste jede Woche drei volle Arbeitstage auf Besprechungen verzichtet werden. Der Argumentation von Paul Graham folgend war das Ziel, unterbrechungsfreie Zeiten für konzentrierte Softwareentwicklung zu schaffen. Die Ergebnisse von denen Brian Donohue neulich berichtete, sind in ihrer Deutlichkeit beeindruckend, wenn auch wenig verblüffend: Über 90% der Entwickler gaben an seither produktiver arbeiten zu können.
Dieses Experiment bei Pinterest zeigt deutlich, dass es sich lohnt, für Wissensarbeiter „artgerechte“ Bedingungen zu schaffen. Besprechungen und insbesondere solche mit viel zu großen Teilnehmerkreisen, drögen PowerPoint-Schlachten und ergebnislosen Diskussion von Menschen mit einem Hang zum Narzissmus sind aber nur eine Ursache von Störungen. Die unzulänglichen und einseitig auf Kommunikation und Kollaboration ausgelegten Bürolandschaften sind ein mindestens ebenso großes Übel.
Three to four hours a day, five days a week, of uninterrupted and carefully directed concentration, it turns out, can produce a lot of valuable output.
Cal Newport
Nichts gegen Kommunikation und Kollaboration. Es braucht aber eben auch Raum und Zeit, um allein (oder zu zweit im Sinne des Pair-Programming) einfach mal konzentriert zu arbeiten. Leider ist meistens weder die Zeit durch solche Regeln wie bei Pinterest noch der Raum durch geeignete Bürolandschaften mit verschiedenen Zonen dafür gegeben. Und so muss sich jeder selbst diese Arbeitsbedingungen irgendwie schaffen. Arbeitsblöcke im Kalender können helfen. Homeoffice auch, außer man hat kleine Kinder daheim. Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung sind auch eine ganz praktische Möglichkeit sich im Großraumbüro abzuschotten und zu zeigen, dass man nicht gestört werden möchte. Und vielleicht findet sich ja doch irgendwo im Gebäude ein ruhigeres Eck zum Arbeiten, was ja dank Laptop und W‑LAN meistens problemlos geht.
Some organizations haven’t realized this yet, or haven’t articulated it, but we need artists. Artists are people with a genius for finding a new answer, a new connection, or a new way of getting things done. That would be you.
Seth Godin
Bleibt noch eine wesentliche Quelle der Ablenkung auszuschalten oder zu minimieren. Wie Niklas Göke erschreckend feststellt, benutzen wir unser Smartphone jeden Tag im Schnitt für 2,5 Stunden. Daran können und sollten wir etwas ändern, denn weder die Hersteller der Smartphones noch die Betreiber der Apps und insbesondere nicht die großen Plattformen wie Facebook und Co. haben ein Interesse daran, dass wir uns weniger stören lassen. Im Gegenteil tun sie alles dafür, dass wir unser Smartphone möglichst oft in die Hand nehmen und möglichst viel Zeit damit verbringen. Wie im Artikel von Niklas Göke beschreiben, gibt es zum Glück ein paar einfache Tricks und nützliche Einstellungen, wie man dem entgegenwirken kann und das Smartphone wieder zu einem sinnvollen Werkzeug wird das unserem Willen gehorcht ohne dass wir seiner Verführung zu sehr erliegen.
4 Kommentare
Hi Marcus, danke für deinen Artikel. Wir haben bei uns in der OstseeSparkasse, wo ich in Rostock arbeite, auch die Herausforderung kollaborativ zusammen zu arbeiten – und dabei möglichst effektiv zu sein. Dabei haben wir eine Open Door Policy, die ich gut finde und wir experimentieren mit Großraumbüros. Klar ist, dass die Kommunikation und Transparenz durch beides gefördert wird, aber auch Ablenkungen gibt es natürlich mehr. Ich arbeite dann für meinen Teil auch mit Arbeitsblöcken im Kalender und versuche Ablenker wie Mail nur noch in Blöcken zu bearbeiten. Dazu haben wir ein Social Intranet, was auch schon mal den E‑Mail-Wahnsinn reduziert. Dazu passt ja dein anderer Artikel auch gut mit den Friedhöfen.Und das Handy in den Griff zu kriegen bleibt natürlich eine der größten Challenges. Habe dazu auch gerade was gebloggt, als ich mal eine Woche ohne Smartphone lebte ;) BG, Gabriel
Hi Gabriel, vielen Dank für deine Ergänzungen. Wie so oft, macht die Dosis das Gift. Ich wollte nur darauf hinaus, dass wir und mal über diese Dosis unterhalten müssen. Aus meiner Sicht haben wir eine Überdosis an Kommunikation … Hinsichtlich Gestaltung der Arbeitswelt und der Bürolandschaften gefällt mir eigentlich der Begriff Caves & Commons ganz gut.
Wichtiges Thema, weil das bei einigen Menschen wahrscheinlich für eine nicht zu knappe Menge an Leid führt.
Was mich aber interessieren würde: bei dem Experiment mit den meetingfreien Tagen wurde wirklich nur auf die Angaben der Entwickler geguckt?
Aus dem o.g Blickwinkel des leidenden Entwicklers find ich das zwar gut; gleichzeitig wirft es Fragen zur Stichhaltigkeit auf. Die Frage wäre, ob sich die wahrgenommene Produktivität auch mit dem tatsächlichen Output deckt. Zumindest wäre das für Entscheider der mittleren bis alten Schule wahrscheinlich überzeugender ;-)
Das ist eine berechtigte Frage und ich kann über die Antwort auch nur spekulieren. Ich gehe aber schon davon aus, dass sich auch die Produktivität in Summe bei Pinterest dadurch erhöht hat und dass die gefühlte Produktivität der Entwickler damit korreliert.