Die Normalität kehrt langsam zurück. An manchen Orten schneller und hier in Deutschland eben langsamer. Früher oder später stellt sich aber für alle Organisationen die Frage: Was nun? So ergebnisoffen gestellt, könnte diese Frage eine große Chance sein. Leider wird vielerorts weder die Frage so offen gestellt noch findet überhaupt eine Diskussion dazu statt. Meist läuft es daher auf eine viel einfachere Frage hinaus: Wie können wir alle möglichst schnell in den Status quo vor Corona und damit in unsere Büros zurückkehren.
Diese Frage ist aber nur scheinbar einfacher. Der Übergang zurück in die Büros wird sich viel schwieriger gestalten als der plötzliche Übergang in das verteilte Arbeiten vor eineinhalb Jahren. Der abrupte Halt zu Beginn der Pandemie ließ keine Alternativen zu. Es gab nur die eine Möglichkeit: Verteiltes Arbeiten für alle bis auf weiteres. Natürlich war das technisch eine Herausforderung für die Unternehmen. Und für viele Mitarbeiter war es sehr herausfordernd, gemeinsam mit Kindern in mehr oder weniger beengten Verhältnissen gute Arbeit zu leisten.
Für all das aber fanden die Unternehmen und ihre Mitarbeiter schnell kreative Lösungen. Und die Menschen haben mit großem Einsatz gezeigt, dass sie ihre Arbeit eigentlich überall machen können. Sie haben sich zu Hause eingerichtet und ihr Leben neu geordnet. Viele Mitarbeiter haben sich zu Hause mittlerweile sogar besser eingerichtet als im Büro. Ich habe mir einen höhenverstellbaren Schreibtisch (von Aeris, einem regionalen Hersteller hier ums Eck, von dem ich für diese Erwähnung keinerlei Provision erhalte) geleistet und auch gleich noch eine weiche, aber strukturierte Stehmatte (Aeris Muvmat) dazu, so dass ich jetzt bequem im Stehen arbeiten kann und leicht zwischen Stehen und Sitzen wechseln kann. Eine schöne mechanische Tastatur habe ich mir auch zugelegt und einen Ständer für den Laptop, damit der Bildschirm immer in der richtigen Höhe ist.
All das ist privat kein Problem und die Kosten dafür halten sich in der überschaubaren Grenzen (deutlich kleiner 1.000 €), die ich gerne privat trage, weil ich viel Zeit am Schreibtisch verbringe. Im Konzern ist diese Individualität aber nicht vorgesehen und beispielsweise höhenverstellbare Tische oft nur erlaubt, wenn es schon zu spät ist und der Rücken bereits nachweislich kaputt. Vom Beschaffungs- und Genehmigungsprozess reden wir lieber gar nicht.
Diese Erfahrungen der letzten eineinhalb Jahre waren sehr einschneidend. Vieles was vorher undenkbar war, wurde ausprobiert und einiges davon für gut befunden. Es gibt daher kein Zurück mehr zum Status quo vor der Pandemie. Die Devise muss lauten, auf Basis der gemachten Erfahrungen gemeinsam die neue Normalität der Zusammenarbeit zu definieren.
Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und keiner ginge, um zu sehen, wohin wir kämen, wenn wir gingen.
Kurt Marti
Nachdem den Mitarbeitern notgedrungen zu Beginn der Pandemie viel Eigenverantwortung zugestanden werden musste, verbietet sich eine klassische Anordnung zur Rückkehr von selbst, egal wie großzügig und flexibel diese gestaltet wurde. Mitarbeiter, die diese Phase gemeistert haben, sind daran gewachsen und lassen sich jetzt nicht einfach so zurück ins Büro beordern. Wer das versucht in der naiven Annahme, dass sowieso alle froh über die Rückkehr zur alten Normalität wären, erntet mehr oder weniger offenen Widerstand, wie jüngst ganz prominent bei Apple zu beobachten, wo sich zahlreiche Mitarbeiter mit einem offenen Brief lautstark beklagten.
Niemand wartet darauf, wieder wie vorher im Büro sitzen zu müssen. Es braucht hier und heute überzeugende Argumente. Eines davon könnte sein, dass das postpandemische Büro zum Ort der kreativen Begegnung wird. Anstatt zum Arbeiten besucht man das Büro, um sich mit anderen Menschen zu treffen, Ideen zu generieren und Lösungen zu diskutieren. Dieses Büro wäre dann primär eine große Cafeteria mit vielen Möglichkeiten zum spontanen Rückzug, um gemeinsam Ideen zu vertiefen. Das Büro als Legebatterie für Wissensarbeiter hat ausgedient. Nur zum Arbeiten sitze oder stehe ich zu Hause bequemer und die Zeit für den Arbeitsweg kann ich für Sport oder Familie besser nutzen.
14 Kommentare
Absolut Nichts hinzuzufügen!
Vielen Dank!
Hi Marcus!
Du schreibst mir aus der Seele! Vielen Dank für den Blog, ich bin gespannt wie sich die Lage nach meiner Elternzeit entwickelt hat.
Bis bald,
Barney
Hi Barney, bin auch gespannt wie die Lage dann sein wird. Schreib mir doch ruhig mal.
Lieber Marcus
ich habe festgestellt dass dort wo ein hierarchischen Denken noch vorherscht die Mitarbeiter wieder ins Büro zitiert werden (ob sie wollen oder nicht). Um so agiler das Umfeld um so flexibler der Arbeitgeber. Kleine Betriebe hatten teilweiße nie Homeoffice und daher stellt sich diese Frage für sie gar nicht.
Wie du schon schreibst, dass Büro sollte mehr als Markt des Wissensaustausch und der Begegnung fungieren als der Wissensarbeit. Nur solange Anwesenheit im Büro mit Produktivität der Mitarbeiter gleich gesetzt/verglichen wird und wir dieses Denkmuster nicht auflösen werden wir hier noch einige Zeit mit Widrigkeiten kämpfen müssen.
Als agile Coach fehlen mir die Workshops an einem Ort in dem wir gemeinsam arbeiten, spielen und lachen können. Aber dadurch dass ich inzwischen nur noch mit Menschen auf anderen Kontinenten arbeite, habe ich mich an die Situation gewöhnt und neue Lösungen dafür gefunden. Wenn ich weiterhin mit Menschen auf der ganzen Welt arbeite sehe ich absolut keinen Benefit darin ins Büro zu fahren. Wenn ich es mir aussuchen könnte dann sollte sich jeder Mitarbeit aussuchen dürfen ob und wie oft er/sie ins Büro gehen möchte. Ich persönlich würde dann nur noch von Zuhause aus arbeiten und eben nur zum Wissensaustausch wie barcamps usw. Ins Büro gehen.
Liebe Mel, mir geht es genauso. Mir fehlen die Workshops und die Interaktion mit Menschen. Und das spontane Gespräch in der Kaffeepause. All das ist ein Punkt für das Büro als Markt für den Wissensaustausch. Vieles geht aber eben auch online super. Und gerade in einem internationalen Setting wird das auch noch länger so bleiben. Und das ist gut so. Für die Menschen und die Unwelt.
Dass sehe ich auch so. Bei uns heißt es jetzt pauschal, dass mindestens 2 Tage in der Firma gearbeitet werden soll. Der Übergang wird in Wellen je Abteilung vollzogen. Dieser Übergang ist gut, nur die Festlegung auf 2 Tage ist so gar nicht agil in einer Firma, die sich transformieren will. Mir fehlt das Wort „grundsätzlich“, um Optionen zu haben. Meiner Ansicht nach sollte das eine Vereinbarung zwischen FK, Team und MAcsein. Und wenn alle sagen 100% remote, warum denn bitte nicht.
Ich hoffe, dass ein Umdenken stattfindet. Wir haben „Neue Bürowelten“, der Umbau während der Pandemie ging durch Homeoffice schneller. Nur was machen wir mit 70% Arbeitsplätzen, wenn alle am Donnerstag zum Abteilungsmeeting vor Ort sind?
Ich bin gespannt, wie es sich entwickelt.
Ähnliche Regelungen sehe ich auch in anderen Organisationen. Und die lassen tief blicken in die immer noch sehr unagile hierarchische Seele dieser Organisationen … besser wäre es, wie du sagst, Optionen zu bieten, die dann individuell ausgestaltet werden können.
Vielen Dank für den Artikel, nur an einem Satz störe ich mich und da steckt insbesondere in Unternehmen, die nicht nur Wissensarbeiter beschäftigen, jede Menge Diskussionspotential drin. „Anstatt zum Arbeiten besucht man das Büro, um sich mit anderen Menschen zu treffen, Ideen zu generieren und Lösungen zu diskutieren.“ Damit wird aus meiner Sicht eine Unterscheidung getroffen, die für die Wissensarbeiter so nicht stehen bleiben kann, weil für diese gerade das Treffen von Menschen, die Generierung von Ideen und die Diskussion von Lösungen einen selbstverständlichen Teil von Arbeit darstellt. Und auch im guten Miteinander von Wissensarbeiter und Nicht-Wissensarbeiter ist die Unterscheidung schwierig, weil sie die Nicht-Wissensarbeiter in ihren Bildern bestätigt, dass das eben keine Arbeit wäre…
Guter Punkt! Danke für die Klarstellung. Selbstverständlich ist das gemeinsame Erdenken und Erarbeiten von Ideen und Lösungen ein Teil der Arbeit. Ich hätte den Satz präziser formulieren müssen. Es ging mir darum, dass das Büro nicht mehr gebraucht wird für die Routinearbeiten, sehr wohl aber für das kreative Miteinander.
Wenn Unternehmen ehrlich reflektieren würden, dann leben wir – zumindest in großen Unternehmen – schon mindestens 1 Jahrzehnt im Zeitalter von Distributed Work. Der Präsenzkult hatte bisher das Eingestehen verhindert. Wer unter uns hatte denn vor Corona alle seine Arbeitskollegen – von den externen Partner ganz zu schweigen – mit denen er täglich zu tun hatte im gleichen Raum, im gleichen Stockwerk, im gleichen Gebäude, in der gleichen Stadt? Die Betonung liegt auf alle.
Nur 1 Kollege außerhalb des eigenes Kosmus hätte schon ein massives Umdenken in der Zusammenarbeit bewirken müssen. Hat es aber nicht, aus den Augen aus dem Sinn war die gelebte Praxis. Bist Du nicht vor Ort, bist Du vom Informationsfluss ausgeschlossen.
Inzwischen gibt es dafür einen Begriff wie hybrides Arbeitsmodell. Ein Anfang, aber viel schwieriger ist die Umsetzung in dem es nahezu keine Rolle mehr spielt ob man vor Ort oder an einem anderen Standort arbeitet. Ich bin seit über 10 Jahren ein großer Fan von einem ESN. Für mich ist es der Backbone und der Puls eines Unternehmens. Dort wird zukünftig der informelle Austausch stattfinden, die horizontale Vernetzung (https://www.linkedin.com/pulse/next-big-thing-horizontale-vernetzung-andreas-schorn), die wir für ein schnelles, kreatives und agiles Arbeiten brauchen.
Was denkt Ihr?
Lieber Andreas, da hast du recht: verteiltes Arbeiten braucht auch neue Werkzeuge wie ein ESN. Das Werkzeug allein reicht aber natürlich nicht. Auch das wissen wir beide aus unserer gemeinsamen Erfahrung, die ich immer noch sehr schätze. Es ist wie wo oft eine Frage der Kultur.
Ich sehe das ziemlich zwiespältig. Ich kann auf die Arbeit im Büro/Shopfloor nicht verichten. Einerseits wegen des kreativen Austausches und anderseits weil die Entwicklung von embedded Komponenten für den maschinenbau eine gut ausgestattete Werkstatt und ein ebensolches Testfeld erfordert. Schon der ständige Wechsel von der Firma ins Homeoffice mit 2 Notebooks wird zur Qual und im Homeoffice dann auch noch die großen Monitore vorzuhalten ist schon ein Problem. Nicht jeder ist mit viel Platz gesegnet und kann sich in seinem Zuhause ein separates Büro einrichten. Homeoffice am Küchentisch ist definitiv ein no go. Aber vlt. dient die Pandemie wenigstens dazu in postpandemischen Zeiten endlich mal das Großraumbüro aufs Abstellgleis zu befördern, denn das war und ist ein zuverlässiger verhinderer von qualitativ hochwertiger Geistesarbeit.
Guter Einwand. Ich wollte auch gar nicht das Homeoffice als die Lösung für alles propagieren. Das ist es nicht. Genauso wenig wie das Großraumbüro die Lösung für alles ist. Wir brauchen Flexibilität. Und in dieser Flexibilität brauchen wir die Freiheit, gemeinsam nach den besten Lösungen zu suchen. Nach dieser Phase der Pandemie und der Eigenverantwortung, kann es keine Ansagen von oben mehr geben. Darum ging es mir.