Menschen unter Druck zu setzen ist eine weit verbreitete und akzeptierte Praxis in vielen Organisationen. Insbesondere wenn die Zeit drängt. Also eigentlich immer. In diesem selbstverständlichen Gebrauch von Druck zeigt sich deutlich das Menschenbild der Theorie X, der zufolge Menschen prinzipiell faul sind und erst zur Arbeit gezwungen werden müssen. Anreize, Motivation oder gar Druck bleiben im Kontext von Wissensarbeit nicht nur wirkungslos, sie führen sogar nachweislich zu schlechteren Ergebnissen. Oder mit den Worten von Tim Lister: „People under time pressure don’t think faster“.
Hofstadter’s Law: It always takes longer than you expect, even when you take into account Hofstadter’s Law.
Douglas Hofstadter
Dieses Gesetz von Douglas R. Hofstadter (dem Autor von Gödel, Escher, Bach) gilt auch für Projekte und ganz besonders für IT-Projekte. Planung ersetzt lediglich Zufall durch Irrtum. Und wenn der Plan nach dem ersten Kontakt mit der Realität in sich zusammenfällt, halten es viele wie der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel, als er bei der Verteidigung seiner Dissertation mit der harten Realität eines kurz zuvor entdeckten achten Planeten unseres Sonnensystems konfrontiert wurde, welchen es seiner Theorie nach nicht geben hätte dürfen: „Um so schlimmer für die Tatsachen!“
Nobody works better under pressure. They just work faster.
Brian Tracy
Die Schuld für die Planabweichung wird dann bei den Beteiligten und deren vermeintlich zu geringem Einsatz gesucht. Die Ressourcen Menschen waren völlig überraschend doch nicht zu optimalen 100% verfügbar, weil sie eben Menschen sind und auch mal krank. Weil sie Wissensarbeiter sind und damit auch den Anspruch und die Pflicht haben, sich auch weiterzuentwickeln. Und obendrein waren sie nicht richtig motiviert und von dem Sinn und Nutzen des Projekts überzeugt und haben sich nicht richtig reingehängt. Die Ressourcen Menschen und deren Motivation sind also das Problem und die Lösung ist ganz einfach: mehr Druck auf mehr Menschen!
Adding manpower to a late software project makes it later.
Brook’s Law
Menschen sollen also mit mehr Druck (oder etwas vornehmer mit mehr Anreizen) dazu gebracht werden, schneller und besser ihre Wissensarbeit zu verrichten. Unter Druck denken Menschen aber nicht schneller, im Kontext von Wissensarbeit verschlechtern sich die Ergebnisse sogar nachweislich. Deutlich erfolgsversprechender, aber auch deutlich anspruchsvoller für die Führungsfunktionen, wäre es bei der intrinsichen Motivation von Menschen anzusetzen. Angefangen damit, den Sinn zu erklären und den Menschen das Angebot machen, sich diesen Sinn zu eigen zu machen. Dann mit viel Vertrauen den Menschen größtmögliche Autonomie einräumen in der Erreichung des Ziels. Und schließlich ihnen die Möglichkeit geben, im Rahmen der Arbeit sich weiterzuentwickeln und über sich hinauszuwachsen. Die Forschungsergebnisse sind eindeutig und genial auf den Punkt gebracht im folgenden Video, aber ist die Kultur in unseren Organisationen auch schon soweit?
5 Kommentare
Danke für den guten Artikel und den Hinweis auf das Video. In deinem Artikel gefiel mir besonders der Hinweis, dass Wissensarbeiter das Recht haben, sich weiterzuentwickeln. Das hat mich auf die Idee gebracht, die Tage mal einen Artikel über ein Thema rauszuhauen, das schon länger in mir rumspukt: „Produktivität“.
Vielen Dank, Patrick! Das Video ist zwar nicht mehr das frischeste (hatte ich selbst 2010 schon gepostet), aber die Botschaften sind zeitlos. Ich würde sogar weitergehen: Sich kontinuierlich weiterzuentwickeln ist Pflicht und Definitionsmerkmal eines Wissensarbeiters.
Lieber Marcus Raitner,
Führen mit Druck – ob sich selbst oder andere – ist der größte Kreativitäts- und Freudenkiller überhaupt. Arbeit hat für mich persönlich nur einen Sinn: Sich selbst entfalten, seine Fähigkeiten in den Dienst anderer zu stellen und so Freude und Erfüllung zu erfahren. Leider ist unser altes Menschenbild so von dem Glaubenssatz durchdrungen, dass Arbeit anstrengend und mühevoll ist, dass diese Konditionierung immer wieder hochkommt und uns permanent in Atem hält. Viele haben sie noch gar nicht erkannt. Dieses mentale Modell müssen wir nicht nur im Rahmen von Führung von anderen verstehen, denn wir setzen uns ja auch selbst ganz gehörig unter Druck. Sich selbst jeden Tag zu fragen ob das was wir tun uns selbst und anderen gut tut und entsprechend zu handeln ist das wichtigste überhaupt.. Das ist nicht immer einfach. Danke Ihnen für diesen anregenden Beitrag.
Herzliche Grüße
Martina Baehr
Liebe Martina Baehr, dass Arbeit auch Freude machen soll, darf und sogar muss hatte ich hier auch schon mal. Danke für den Hinweis, dass ganz viel des Drucks ja von uns selbst kommt, wir uns den Druck also selbst machen. Und damit auch selbst ändern können.
Danke für den guten Artikel! Ja, das eigene Menschenbild inklusive der Vorstellungen davon, wie diese Spezies sich von außen motivieren lasse, ist die Wurzel. Spannend dabei: Ich stelle ab und an fest, dass gerade Führungskräfte, die selbst mit viel Druck führen, für sich selbst andere Freiheiten in Anspruch nehmen. Nach dem Motto „ich bin halt sehr intrinsisch unterwegs, aber meine Mitarbeiter, die muss man straff anleiten“. Will dann immer ein „Merkste selber!?“-Schild hochhalten.