Agile Organisationen setzen konsequent auf das Prinzip der Subsidiarität. Entscheidungen werden so dezentral wie möglich getroffen. Die nächst höhere oder nächst größere Einheit greift prinzipiell nur dann ein, wenn die kleinere Einheit nicht in der Lage ist, die Aufgabe allein zu lösen. Ziel ist aber auch dann die Hilfe zur Selbsthilfe. Damit Subsidiarität zielgerichtet miteinander funktioniert und nicht im schädlichen Gegeneinander der Einheiten endet, braucht die Autonomie zwingend die gemeinsame Ausrichtung auf einen den höheren Zweck. Die ständige Arbeit an und mit diesem Zweck als Leitlinie und Ordnungsfunktion ist damit eine der wichtigsten Führungsaufgaben in einer agilen Organisation. Und die aktive Übernahme von Verantwortung im Sinne der gemeinsamen Mission ist die wichtigste Aufgabe der dezentralen Einheiten, durch die ihre Autonomie erst legitimiert wird.
Agile Teams kennen keine Rollen
Agile Teams vermeiden die Verteilung von Verantwortung auf Rollen. Im Entwicklerteam in Scrum gibt es beispielsweise keine expliziten Rollen. Das Team übernimmt gemeinsam Verantwortung für die User Stories, die es pro Sprint zusagt. Dazu sind natürlich ganz verschiedene Fähigkeiten im Team notwendig, vom Design der Benutzeroberfläche über die Programmierung des Backends bis zur Benutzerdokumentation. Dedizierte Rollen braucht es dafür aber eben nicht und sie wären der Verantwortung für das gemeinsame Ziel (und der Flexibilität) auch abträglich.
Break down barriers between departments. People in research, design, sales, and production must work as a team.
W. Edwards Deming
Feature Teams übernehmen gemeinsam Verantwortung für ihr Produkt
Verlässt man die Ebene des einzelnen Teams als kleinste Einheit einer agilen Organisation landet man bei der Frage der Skalierung, also der Frage, wie mehrere Teams an einem gemeinsamen Produkt zusammenarbeiten. LeSS und SAFe als die zwei bekanntesten Skalierungsframeworks sind sich hier einig, dass sogenannte Feature Teams dafür am besten geeignet sind.
Was schon im Kleinen im Team gilt, wiederholt sich hier im großen: Feature Teams sind im Gegensatz zu Komponententeams eben gerade nicht für einen festgelegten Ausschnitt des Produkts (z.B. für ein Modul oder einen Komponente) verantwortlich, sondern setzen Anforderungen (Features) im gesamten Produkt um. Die Feature Teams übernehmen damit automatisch auch mehr Verantwortung als Komponententeams. Deshalb sind sie (neben ihrer höheren Flexibilität) die bessere Wahl.
Objectives & Key Results geben der agilen Organisation eine gemeinsame Richtung
Noch eine Ebene höher stellt sich die Frage, wie man als agile Organisation ein Produktportfolio (so man denn mehr als ein Produkt hat) ausrichtet. Der gemeinsame Zweck und die von allen verstandene Mission ist hierbei der entscheidende Rahmen für die Agilität. Als Bindeglied zwischen diesem langfristigen Orientierungsrahmen und der täglichen Arbeit bietet sich Objectives & Key-Results (OKR) als Methode an, um sich agil Ziele zu setzen und so der Zusammenarbeit eine gemeinsame Richtung zu geben.
Zunächst ist OKR – wie so vieles – trügerisch einfach: Ambitionierte Ziele mit wenigen Key-Results versehen, mit denen die Zielerreichung gemessen wird. Das ganze in kurzen Zyklen (z.B. quartalsweise) neu vereinbart (vgl. dazu auch das Tutorial bei Google re:Work). Entscheidend dabei ist, dass diese Ziele zu einem wesentlichen Teil von unten nach oben entstehen, also auch hier ganz klar die Subsidiarität gilt. Ebenso wichtig ist, dass alle OKRs auf allen Ebenen komplett offen einsehbar und ständig präsent sind. Idealerweise sind die Key-Results so gewählt, dass sie nicht nur am Ende einmal gemessen werden, sondern ständig aktualisiert werden. So können die einzelnen Teams sofort die Auswirkungen ihrer Arbeit auf die gemeinsamen Ziele erkennen.
Disziplin erhält man durch Selbstorganisation und Eigenverantwortung, durch Disziplinierung bekommt man nur Gehorsam.
Gerald Hüther
2 Kommentare
Oben kann man lesen, worauf Agile Organisationen setzen, wie sich Agile Teams verhalten und welche Methode zur gemeinsamen Ausrichtung empfohlen wird. Das Warum stach mir dabei nicht sofort ins Auge – obwohl es dasteht. Man nehme es mir bitte daher nicht krumm, wenn ich die Kausalkette, wie sie sich mir darstellt, in eigene Worte fasse – man möge mich widerlegen!
In extrem unsicherem Umfeld gewinnt der, der schneller lernt.
Man tut also gut daran, sich von Anfang an als Schüler (lat. Discipulus) verstehen.
Professionelle Schüler also arbeiten in einem Umfeld und in einer Weise, die lernen erleichtert.
Den besten Lerneffekt hat man, wenn man den Wirkungen seines Tuns direkt ausgesetzt ist, d.h. auch möglichst viele Entscheidungen selbst fällt (im Ggs. zum Gehorsam).
Da nun jeder einzelne von uns gewisse Stärken hat, läge es nahe, in Rollen aufzuteilen.
Die Wirkung des Tuns trifft aber das gesamte Team!
Also kommen die besseren Entscheidungen aus dem Team, als kleinste Organisations- und Lerneinheit(Disziplin), nicht aus einer noch so temporären Rolle.
Das obige „Entscheidungen selbst fällen“ ist daher bitte als auf das Team bezogen zu lesen.
In diesem Sinne: viel Erfolg und Marcus einmal mehr besten Dank für die Mahnungen und Anregungen und nicht zu letzt für seine Förderung der Disziplin :-)
Wieso sollte ich dir das krumm nehmen, lieber Thomas? Die Verknüpfung mit dem Lernen bzw. die Herleitung aus eben dem Bedarf gemeinsam schnell zu lernen finde ich sehr inspirierend und schlüssig. Danke für deine Ergänzung.