Wer Spotify nachmacht oder SAFe einführt oder nachgemachte oder verfälschte agile Frameworks sich verschafft und als best practice in den Verkehr bringt, wird mit sinnlosen kultischen Handlungen nicht unter 20 Stunden pro Woche und Mitarbeiter bestraft. Der Weg in die agilen Cargo-Kult-Hölle ist gut gepflastert mit best practices, Blaupausen und Frameworks und wird gesäumt von Werbeplakaten mit der Aufschrift: „Erfinde das Rad nicht neu!“ Agilität ist aber weniger eine Frage der Methode, sondern eine Frage von Prinzipien und Haltung.
Essentially, all models are wrong, but some are useful.
George Box
Damit wir uns richtig verstehen: Alle Frameworks und Modelle haben ihre Berechtigung und sind in gewisser Weise und im richtigen Kontext nützlich (ja, sogar schwergewichtige Frameworks wie SAFe haben brauchbare Aspekte). Das Problem sind nicht die Methoden, sondern blinde Methodengläubigkeit. Und andererseits sind alle Modelle falsch, wenn sie ohne das nötige Verständnis der Prinzipien dahinter und der richtigen Haltung dabei eingeführt und von oben herab ausgerollt werden.
Von Taiichi Ōno, der maßgeblich das Toyota-Produktionssystem prägte und weiterentwickelte, berichtet Yoshihito Wakamatsu in seinem Buch „The Toyota Mindset, The Ten Commandments of Taiichi Ohno“ eine interessante Anekdote. Bei einem Besuch in einem Toyota-Werk wurde Ōno von einem anderen Manager begleitet. Diesem fielen die dort offensichtlichen Fehler in der Umsetzung des Toyota-Produktionssystems auf und er fragte Ōno, warum dieser sie nicht sofort korrigiert hätte. Seine Antwort:
I am being patient. I cannot use my authority to force them to do what I want them to do. It would not lead to good quality products. What we must do is to persistently seek understanding from the shop floor workers by persuading them of the true virtues of the Toyota System. After all, manufacturing is essentially a human development that depends heavily on how we teach our workers.
Taiichi Ōno
Natürlich hätte Ōno kraft seiner Autorität die Einhaltung des Toyota-Produktionssystems einfordern können. Er hatte aber verstanden, dass der daraus resultierende blinde Gehorsam langfristig mehr Probleme schaffen als diese kurzfristige Behandlung der Symptome lösen würde. Stattdessen setzte er darauf, die Arbeiter besser in den Prinzipien hinter seinem Modell zu unterrichten.
Für die bloße Umsetzung eines Frameworks ist das natürlich eine sehr aufwändige und langwierige Vorgehensweise. Taiichi Ōno ging es aber um mehr. Für ihn gehörte die Befähigung und Ermächtigung der Betroffenen untrennbar dazu. Und das eben nicht nur zur bloßen Anwendung von ein paar Methoden, sondern auch und gerade zur kontinuierlichen Weiterentwicklung und eigenverantwortlichen Anpassung des Produktionssystems innerhalb der zugrundeliegenden Prinzipien.
Something is wrong if workers do not look around each day, find things that are tedious or boring, and then rewrite the procedures. Even last month’s manual should be out of date.
Taiichi Ōno
Genau diese Befähigung macht den entscheidenden Unterschied zwischen formschön zelebriertem Cargo-Kult und einer echten Veränderung. Es spricht also rein gar nichts dagegen, sich bei der agilen Transformation von guten Beispielen wie Spotify inspirieren zu lassen oder auf (scheinbar) fertige Frameworks wie SAFe zu setzen, aber bitte nicht nur vordergründig und oberflächlich. Wie schon beim oft imitierten und selten erreichten Toyota-Produktionssystem von Taiichi Ōno bedeutet das, auf Basis von Prinzipien die Selbstorganisation der Betroffenen zu fördern und sie so zur Weiterentwicklung der Methoden zu befähigen und zu ermächtigen. Dieser Weg ist zwar steiniger, lohnt sich aber umso mehr.
Two roads diverged in a wood, and I—
Robert Frost. The Road Not Taken.
I took the one less traveled by,
And that has made all the difference
10 Kommentare
Hallo Marcus,
eine sehr treffsichere Analyse. Ich sehe so viel Cargo-Kult derzeit und das nicht selten von Menschen, die die perfekte Lösung versprechen, nur die eine „Methode“ kennen und alle anderen aus Prinzip verdammen. Danke dafür.
Weiterhin viel Freude!
Holger
Danke, Holger. Freude macht es zwar nicht immer und gerade nicht bei solchen Themen, aber das hilft leider nicht.
Hallo Marcus,
wie immer auf den Punkt und treffsicher adressiert, wo es hakt.
Vielen Dank!
Michael
Vielen Dank, Michael!
Hallo Marcus,
du sprichst mir aus der Seele. Ich erlebe momentan alle deine negativ Beispiele am eigenen Leib in meinem beruflichen Alltag. Was dort abläuft scheint tatsächlich die Blaupause für alle deine „So macht man es besser nicht“ zu sein. Grauenvoll!
Ich lese Deine Beiträge mit großer Begeisterung und vlt. gelingt es mir, etwas davon in meiner Arbeitsumgebung auszusäen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Danke,
Markus
Vielen Dank, Markus. Ich kann dein Leid gut nachvollziehen … Aber es geht voran. Schritt für Schritt: Beharrlich im Bemühen, bescheiden in der Erfolgserwartung, wie Götz W. Werner das so schön schrieb.
Hallo Marcus,
Danke für den sehr schöner Vergleich zwischen agilen Methoden und LEAN Management.
Und für beide gilt, wenn Management sich nicht an DIE Kernphilisophie von LEAN hält – Respect for People – und Ihren Mitarbeitern vertrauen werden sie an der Veränderung scheitern.
Bei TOYOTA werden Führungskräfte unter anderem auch danach bewertet, wie Mitarbeiter Ihnen und Ihren Fähigkeiten vetrauen. Und Vertrauen funktioniert erfolgreich nur in Gegenseitigkeit.
Liebe Grüße
Matthias
Sehr schön, Matthias, das mit der Bewertung der Führungkräfte bei TOYOTA kannte ich noch gar nicht. Das was Lean und Agile so schwierig umzusetzen macht, ist genau dieses Mindset.
Toller Artikel! Meine Erfahrung ist, dass viele Menschen es schlicht nicht für möglich halten, dass man sich im Alltag SO begegnet. Unterstützend und wertschätzend. Viele denken, Führung muss klassisch sein, sonst ist sie nicht richtig.
Führung auf Augenhöhe macht etwas mit den Menschen, doch das Sammeln von Erfahrung braucht Zeit. Es gibt viel zu tun
Oh ja, es gibt viel zu tun. Aber die Zeit ist mehr als reif. Danke Dir!