Führung bedeutet schon lange nicht mehr Kommando und Kontrolle. Sie ist kein Privileg, sondern Dienstleistung. Die Dienstleistung besteht darin, Menschen zur Selbstführung und zur Eigenständigkeit im Sinne des Ganzen zu ermächtigen und zu befähigen und sie dadurch erfolgreich zu machen. Der Wandel zu neuer Führung beginnt notwendigerweise beim Einzelnen und seinem Menschenbild. Dieser Wandel ist aber auch immer eine Irritation der Organisation und ihrer Kultur. Das neue Führungsverständnis, wie es das Manifest für menschliche Führung beschreibt, wird als Faulheit, Unfähigkeit oder Verantwortungslosigkeit abgetan werden, denn gute Führung macht sich letztlich überflüssig und stellt damit den zupackenden und bisweilen hektischen Aktionismus traditionellen Managements in Frage.
Selbst wenn Führung in Organisationen heute immer öfter unterstützend und behütend daherkommt und immer seltener strafend und Angst einflößend, verharrt sie dennoch im Paradigma der Abhängigkeit. Ausgedrückt mit den Begriffen der Transaktionsanalyse agiert die klassische Führungskraft aus der Position des (strafenden bzw. wohlwollenden) Eltern-Ichs während die Mitarbeiter in der Position des (rebellischen oder angepassten) Kind-Ichs verharren. Führung auf Augenhöhe jedoch funktioniert nur zwischen unabhängigen Erwachsenen-Ichs. Keine wirklich neue Erkenntnis, wie ein kurzer Blick bei Peter F. Drucker zeigt.
Knowledge workers cannot be managed as subordinates; they are associates. They are seniors or juniors but not superiors and subordinates.
Peter F. Drucker, Management’s New Paradigm, 1998
So wie Eltern sich aber überflüssig machen müssen in dem Sinne, dass ihre Kinder selbstständige Erwachsene werden, so muss gute Führung sich überflüssig machen. Gute Führung ermächtigt und befähigt zur Selbstführung und Autonomie und erntet dadurch Selbstdisziplin statt blinden Gehorsam. Eine gute Führungskraft erkennt man daran, wie der Laden läuft, wenn sie nicht anwesend ist, wie Reinhard K. Sprenger das treffend auf den Punkt bringt. Auch diese Erkenntnis ist nicht neu, sondern schon mehr als zwei Jahrtausende alt, wie dieser bekannte Absatz aus dem Tao Te King belegt:
Der beste Führer ist der, dessen Existenz gar nicht bemerkt wird, der zweitbeste der, welcher geehrt und gepriesen wird, der nächstbeste der, den man fürchtet und der schlechteste der, den man hasst. Wenn die Arbeit des besten Führers getan ist, sagen die Leute: »Das haben wir selbst getan«.
Laotse. Tao Te King.
An Erkenntnis fehlt es uns also nicht und das Manifest für menschliche Führung leistet einen bescheidenen Beitrag diese wieder aufzufrischen. Aber trotz aller Erkenntnis haben wir immer noch ein Problem in der Umsetzung. Wo man Führung wahlweise mit Micromanagement oder Überbehütung verwechselt, wird dienende Führung, die sich überflüssig macht, irgendwo zwischen Faulheit, Unfähigkeit und Vernachlässigung der Fürsorgepflicht interpretiert. Gemessen mit dem Maßstab klassischen Managements ist ist diese neue Führung nämlich verdächtig passiv und wenig heldenhaft. Und richtige Führung braucht richtige Helden die kraftvoll an- und zupacken. Oder?
Solange man Helden oder Schuldige braucht, um eine Situation plausibel zu erklären, hat man sie noch nicht verstanden.
Gerhard Wohland
6 Kommentare
Solange Image und Macht die Menschen in Führungspositionen treibt, wird es schwierig, die „neuen“ Leader/Manager zu finden.
In der Tat …
Hallo Marcus,
so ganz bin ich damit nicht einig.
Führung, die man nicht bemerkt halte ich für eine Illusion. Eine Gruppe, die sich ihre innere Hierarchie selbst suchen durfte, weiß sehr genau wer in welcher Situation die Führung übernimmt. Der Knackpunkt ist, dass die Führung situativ wechseln kann. Diesen Wechsel der Führung muss eine Organisation zulassen.
Wenn die Führung situativ in der Gruppe wechselt, dann hat es die Gruppe tatsächlich selbst geschafft und denkt nicht nur, dass sie es selbst gemacht hat.
In den nächsten Tagen werde ich meine Gedanken dazu noch etwas ausfürhlicher formulieren
LG Eberhard
Bin gespannt auf deine ausführlichen Gedanken, Eberhard. Ich glaube aber, dass wir dasselbe meinen und vielleicht hätte ich schreiben sollen: „Gute Führungskräfte machen sich überflüssig“, denn Führung ist ja dennoch vorhanden … genau darum geht es ja.
Hallo Marcus,
schon 1990 habe ich diese Art als Führungskraft in der Produktion selbst praktiziert, meint Vorarbeitern im Mittelstand die Selbstorganisation überlassen. Ebenso dann den Performern oder Maschinenführern. Dennoch habe ich persönlich Präsenz gezeigt, auf jeder Ebene versucht, den Kontakt nicht zu verlieren – mit seinerzeit positiver Resonanz und Engagement. VG Birgit
Klasse, Birgit. Das Konzept ist ja wirklich nicht neu und hat im Zuge von Lean Management auch in Produktion wieder Aufschwung erhalten. Und es ist so wirksam. Leider aber noch nicht der Standard überall.