Nun also doch eine Stelle im Konzern? Die erste richtige Bewerbung überhaupt war das für ihn. Er hatte sich bisher noch nie formal bewerben müssen, es ergab sich ja einfach immer so. Man kannte sich eben. Er brauchte unbedingt ein Anschreiben, das ist wichtig für die Personaler, sagt das Internet. Damit man heraussticht aus der Masse und nicht gleich aussortiert wird.
Die Gefahr bestand aber doch gar nicht, nicht bei ihm, nicht in diesem Fall. Man kannte sich ja schon. Er hatte den zuständigen Abteilungsleiter erst letzte Woche getroffen. Sie hatten lange über die Stelle gesprochen und wie gut er darauf passen würde. Sie wollten ihn haben, das war klar. Man war sich einig. Und er kannte ja auch schon viele Mitarbeiter der Abteilung, hatte mit einigen schon in verschiedenen Projekten zusammengearbeitet, mit manchen war er sogar freundschaftlich verbunden. Und trotzdem brauchte er jetzt ein Anschreiben. Was für ein sinnloser Zirkus.
Der Prozess verlangte es nun Mal so, hatte ihm sein künftiger Chef gesagt, das muss so sein. Der Prozess schien wichtig zu sein im Konzern, alles schön geregelt und geordnet. Ist ja auch keine schlechte Sache, diese Ordnung. Wir hatten in unserer kleinen Firma bisher ja gar keine Regeln und Prozesse, dachte er. Und manchmal hätte es die schon gebraucht, nicht so viele, aber ein paar wären schon gut gewesen. So ein Prozess war zwar langsam, aber wenigstens wusste man woran man war.
Wie geht also ein gutes Anschreiben? Er hatte keine Lust. Keine Lust auf diese verschwendete Lebenszeit. Vielleicht war das ja auch eine Art Eignungstest für das Konzernleben. Jedenfalls hatte er keine Lust. Nicht auf das Anschreiben und noch weniger auf den Lebenslauf. Das Anschreiben war wenigstens nicht ganz umsonst indem er darin seine Motivation darlegen musste. Warum wollte er eigentlich in den Konzern? Reichte es ihm nicht immer wieder in Projekten dort zu arbeiten? Und war das nicht sogar besser sich auch wieder ausklinken zu können?
Auf den Lebenslauf hatte er aber gar keine Lust. Erstens kannte man sich ja wirklich schon seit mehreren Jahren, nur eben nicht die Dame vom Personal, was ihm aber egal war, mit ihr hatte er ja nichts zu tun. Aber auch für sie stand der Lebenslauf seit Jahren in seinem Blog und bei LinkedIn, immer wieder aktualisiert. Das macht doch alles keinen Sinn, dachte er, sollen sie einfach ins Internet schauen. War das schließlich nicht ihr Job, dort bei HR, sich über den Kandidaten zu informieren?
Das Anschreiben sollen sie bekommen, beschloss er, mit einem Link auf den Lebenslauf im Internet. Und noch ein paar Links mehr. Auf das Blog natürlich und einige seiner Initiativen. So könnte das mit vertretbarem Aufwand funktionieren. Das Anschreiben war doch eine Art Übersicht. Und das Bewerbungssystem verlangte den Lebenslauf auch nicht ausdrücklich, das war ein Kann, kein Muss, so wie er das gelesen hatte. So wollte er es machen, den Aufwand für diese sinnlose Formalie minimieren. Denn schließlich kannte man sich ja schon. Und man war sich doch einig. Nur eben noch kurz offiziell beim Personal vorbei.
Morgen nun dieses formale Bewerbungsgespräch. Und jetzt noch der Anruf seines künftigen Chefs. So aufgebracht und nervös hatte er ihn noch nie erlebt. Warum er keinen Lebenslauf hochgeladen hätte? Die Personalreferentin wäre dadurch sehr irritiert. Wieso liest sie denn bitte nicht das Anschreiben? War das etwa auch umsonst? Sie soll doch einfach die verdammten Links im Anschreiben klicken, dann hat sie ihren Lebenslauf. Das wäre jetzt aber eher ungünstig, meinte sein künftiger Chef, schon vor dem Gespräch so unangenehm aufzufallen. Es gäbe eben Prozess und Regeln. (Viele davon!) Und die müssten eingehalten werden. Ob er nicht noch schnell einen Lebenslauf schreiben und hochladen könne. Der Form halber.
Er hatte jetzt noch weniger Lust auf einen Lebenslauf, also so gar keine Lust. Und eigentlich auch keine Lust auf das Bewerbungsgespräch mit einer Personalreferentin, die nicht in der Lage oder willens war auf einen verfluchten Link zu klicken. Wozu hatte er denn Mühe mit dem Anschreiben gegeben? Ok, ok. hochladen ist ok, aber ohne zusätzlichen Aufwand, nur schnell den Lebenslauf von der Webseite als PDF hochladen. Für den Prozess und für die Dame von HR, die ihm jetzt schon unsympathisch war, obwohl er sie noch gar nicht kannte.
Sie hatte es wirklich getan. Sie hatte wirklich das Internet ausgedruckt! Lebenslauf und Anschreiben lagen säuberlich ausgedruckt vor der Personalreferentin auf dem kleinen Besprechungstisch, an dem er mit seinem zukünftigen Chef und der Internetausdruckerin Platz genommen hatte. Das erklärte natürlich einiges, so konnte sie mit den Links natürlich nicht so viel anfangen. Der digitale Bewerbungsprozess mündete also in einen Stapel Totholz für dieses Gespräch. Eine sinnlose Verschwendung von Ressourcen war das, von Bäumen und von seiner Zeit. Schließlich war man sich ja schon einig. Nur noch dieser formale Akt.
Und dann diese Frage. Mit vielem hatte er gerechnet, aber nicht damit jetzt auch noch gefragt zu werden, warum er sich nicht mehr Mühe mit dem Lebenslauf gegeben hätte. Egal war es ihm gewesen, zu viel sinnloser Aufwand für einen unnötigen Prozess, war es in seinen Augen gewesen, weil man sich doch einig war. Aber das konnte er ja wohl schlecht so deutlich sagen. Wo die Dame doch so leicht zu irritieren war und sein künftiger Chef schon ein wenig nervös hin und her rutschte. Irgendeine wichtige Rolle hatte sie wohl doch in dem Prozess. Er entschied sich für Diplomatie. Der Lebenslauf wäre ohnehin immer aktuell in seinem Blog und daher hätte er der Einfachheit halber genau den genommen und der sähe dann eben so aus – im Internet besser als auf Papier, wofür er ja auch nie gemacht war. Es musste eben schnell gehen. Sie schien über diese Erklärung nicht besonders erfreut.
24 Kommentare
Hallo Herr Dr. Raitner,
bitte diesen Roman schreiben! Das wird ein Bestseller!
Schon bei dieser Einleitung hatte ich unwahrscheinlich viele Deja vu-Momente! :-)
Das werde ich! Vielen Dank.
Hallo Marcus,
zunächst, das Buchprojekt muss Wirklichkeit werden!
Was mir beim Lesen durch den Kopf ging.
- Die HR-Abteilung arbeitet nach Lehrbuch. Um „effizient“ den Bewerbereingang zu verwalten und die Abteilungen bei der Personalauswahl zu unterstützen, möchte sie einen standardisierten vergleichbaren Input. Also Lebenslauf+Anschreiben.
- Wenn jeder die Bewerbung in sehr unterschiedlichen Formaten übergibt, also der Protagonist als Link, der nächste liefert haptische Fallbeispiele der übernächste ein YouTube Video, dann wird die formale Unterstützungsleistung für eine HR schwierig.
- Wie könnte eine total innovative HR oder P&C in einem Konzern den Bewerbungsprozess unterstützen? Was gibt es da bereits an Ideen? Vollständiger Rückzug? Delegation an die Abteilung auf Wunsch? Reduktion der Unterstützungsleistung auf ein absolutes Minimum?
Ich bin aber auch zu wenig drin, was gerade beim Thema HR an Überlegungen da ist.
Vielen Dank für dein Feedback und deine Anregung, Andre. Ich habe auch keine Ahnung wie das besser gehen könnte, wie bei so vielen anderen Episoden auch. Mir geht es auch gar nicht darum, Alternativen aufzuzeigen, sondern darum zu zeigen, wie es dem Individuum mit so seelenlosen Prozessen geht.
Hallo Marcus,
es freut mich das aus dem Tweet nun wohl doch mehr wird.
Die Geschichte gefällt mir und erinnert auch mich an die ein oder andere Anekdote im Konzern.
Aus Andr’e Kommentar bekam ich eine Anregung an Dich,: Vielleicht könnte der Roman zu jeder Story auch Vorschläge für „besseres“ Handeln enthalten.
Ähnlich einem Glossar könnte am Schluss des Romans Auflösungen, Anregungen, Best Practice aufgeführt sein.
Bitte mache auf jeden Fall weiter, mit mir hättest Du einen Sponsor und bestimmt hätten viele Leute Freude daran.
Danke für Dein Engagement.
Lieben Gruß
Michael
Vielen Dank für dein Feedback und deine Anregung. Der Roman wird aber bewusst keine expliziten Anregungen oder gar Auflösungen enthalten. Ein paar Erkenntnisse des Protagonisten und seiner Umgebung, das ja, aber mit mehr kann ich nicht dienen. Es wird der eher tragische Abstieg eines Einsteiger …
Hallo Marcus,
mit Genuss habe ich dein erstes Kapitel gelesen. Buhlte ich 2004 als Praktikant noch um die Gunst eines großen Unternehmens, buhle ich heute als Unternehmen um die Gunst der Praktikanten. So ändern sich die Zeiten, doch es ist gut so. Feste Einstellprozesse genügen der mehrdimensionalen Pfade heutiger Karrieren oft nicht mehr. Wie beim situativen Führen ist auch hier ein situatives Einstellprozedere mit Beteiligung der Teammitglieder als Entscheider für mich ein praktizierter Weg. So funktionieren selbstorganisierte Teams für mich und das hilft beim Ausbilden von Leadern statt dem Einstellen von Followern. Ich bin gespannt auf die weiteren Kapitel deines Romans über das Leben im Konzern mit wahrscheinlich viel Anteil Management und wenig Anteil Leadership.
Vielen Dank, Dominic! Konzerne sind aufgebaut wie Maschinen und die Menschen darin austauschbare Rädchen, die durch Management koordiniert werden. Der Mensch an sich leidet darin mehr oder weniger. Und um dieses individuelle Leiden am System geht es mir …
Hallo Marcus,
mir kam beim Lesen, aber auch generell die Frage in den Sinn: „Was macht HR eigentlich in der heutigen Zeit, welche Rolle nimmt sie ein oder muss sich die Rolle ändern?“ Ich wäre sehr gespannt, wenn du in deinem Roman darauf eingehst! Super Start, finde ich!
Viele Grüße
Michael
Danke, Michael! Das wäre tatsächlich eine interessante Frage. In dem Roman geht es mir aber um das subjektive Erleben des Individuums in der Maschinerie eines Konzerns.
Hallo, könnte nach erstem Anschein ein interessantes Buch werden, vorausgesetzt es wird nicht zum Organisationsbashing mit einem strahlenden Helden, der es innerhalb kurzer Zeit schafft, diesen Konzern flächenweit in eine „New Work-Organisation“ zu wandeln.
Mir ist beim Lesen auch folgender Satz von Luhmann eingefallen: „Nur wer die Regeln der Organisation anerkennt, kann überhaupt in die Organisation eintreten. Wer sie nicht mehr befolgen will, muss austreten.“ (Soziologische Aufklärung 2).
Heisst wohl auch: Wer die Regeln erst gar nicht befolgen will, sollte auch erst gar nicht eintreten.
Viele Grüße
Michi
Vielen Dank, Michi. Die Sorge eines New-Work Heldenepos kann ich dir gleich nehmen. Es wird eher eine tragische Geschichte (ich bin ein großer Fan von Kafka und seinen düsteren Romanen) über das Individuum, das sich am System aufreibt. Er wird einzelne Erfolge erzielen, sich aber immer tiefer verstricken und irgendwann erkennen, dass es doch kein richtiges Leben im falschen gibt. Insofern hat Luhmann natürlich recht, trotzdem sind Organisationen von Menschen geschaffen und können von ihnen verändert werden. Das jedenfalls glaubt der Held am Anfang …
Ich musste sehr schmunzeln beim Lesen des Roman-Textes, der mir sehr gut gefällt . Vor allem weil mir das ein oder oder andere sehr bekannt vor kommt . Ich bin sehr gespannt auf das Buch und absolut für eine Fortsetzung dieses Projekts!
Viele Grüße aus einem Konzern ;-)
Christian
Vielen Dank, Christian, ich werde auf jeden Fall weitermachen.
Heute früh hieß es hier:
„I folgt O und P folgt I. Das sieht P allerdings anders.“
Gesprochen hat diese Worte eine Verwaltungswissenschaftlerin, die gerade einen Aktenplan für die Organisation entwirft.
Gemeint ist: erst wenn man weiß, was zu tun ist, weiß man welche IT-Werkzeuge man dafür braucht und erst dann, kann das Fachreferat eine umsetzbare Anfrage an das Personal-Ressort stellen.
Dem ganzen zugrunde liegt die Annahme, dass Lernen abgeschlossen sei, wenn man sich auf eine Stelle bewirbt.
Deine Geschichte hat Potenzial, Marcus.
Die Geschichte könnte bspw. aufzeigen, was „er“ von ihnen und sie von „ihm“ lernen. Sie könnte auch erzählen, was sie miteinander erreicht haben. Vielleicht auch gemeinsam.
Wenn Du nah an den wahren Gegebenheiten bleibst, dann lässt sich das auch recht zügig formulieren. Es wäre ja nur das Niederschreiben des ohnehin bereits Erlebten.
Viel Erfolg damit, egal wie oft es sich verkauft ;-)
Vielen Dank, Alexander! Ich bleibe dran; Rohmaterial gäbe es jedenfalls reichlich … ein wenig gemeinsames Lernen und auch voneinander ist bestimmt auch dabei. Mir geht es aber hauptsächlich darum zu zeigen, wie sie der einzelne in der Maschine fühlt … vermutlich wird es eher eine tragische und dadurch vielleicht lehrreiche Geschichte.
Hi Marcus, sehr gern fortführen. Zuerst kann man sicherlich nur den Kopf schütteln. Ich kenne das.
Hier mal mein Input
In Konzernen darf man Entscheidungsträger wie den Betriebsrat nicht unterschätzen. Ist ja grundsätzlich nicht negativ. Zudem ist eine zu besetzende Position im Konzern offiziell auszuschreiben. Wie sollte man hier also mit Paperwork von Mitbewerbern und deinen Links umgehen, vergleichen, abschätzen, welcher Kandidat besser für die Position geeignet wäre? VG
Hi Birgit, vielen Dank! Werde ich auf jeden Fall fortführen. Den Prozess verstehe ich schon und auch die Gründe, warum das so ist. Auch das mit dem Handlauf verstehe ich. Für das System und den reibungslosen Ablauf macht das alles auch Sinn, für den einzelnen fühlt es sich trotzdem scheiße an. Und um dieses Gefühl des Individuum im Konzern geht es mir.
Hi Marcus,
ich bin zwiegespalten: einerseits erlebe ich das eine oder andere Live, andererseits lese ich nicht so gerne durchgehend deprimierende Literatur. Wenn Du nicht Mal einen Lichtstreif am Horizont siehst wie „Sie bewegt sich doch“, dann reichen mir die Windmühlen der Praxis. Und ich sage Dir: „Sie bewegt sich!“ :-)
Danke für dein Feedback. Das „sie bewegt sich doch“ kommt später in der Geschichte, keine Sorge. Aber man muss ja erst mal die Bühne bereiten ;-)
Daumen hoch wie wahr. Jeder Punkt. Sogar die Verteilung der Weiss-Fläche…
Vielen Dank!
Ich selbst bin „betroffen“. Noch schöner, griffiger lässt sich ein „Cargo-Kult“ nicht beschreiben. Der Ablauf ‚War so, ist so und bleibt so – erst recht: Was hat new work oder Corona damit zu tun?‘ spaltet meiner Meinung nach Angebot und Nachfrage der Art heftig, dass als behauptetes Ergebnis ‚Fachkräftemangel‘ hinten raus kommt und auch postuliert wird.
Es gibt keinen Fachkräftemangel, es gibt nur die Unfähigkeit (auch mit oder wg. Prozessen), geeignete Menschen DIE Arbeit machen zu lassen, die sie wollen und können. Anschreiben verfassen oder CVs zu designen, bis diese ‚Papiere‘ einer Person wohlfällig sind, gehören nicht dazu. Und dann entscheidet ein subjektives ‚gefallen‘ über eine Einstellung (auch zur eigentlichen Arbeit). Wer ist jetzt hin-gefallen? Wem ist das zu Vorteil gereicht? „Es lebe der Cargo-Kult …“
So ist es leider. Cargo-Kult wohin das Auge reicht …