Dienende Führung im Allgemeinen und die unverstandene Rolle des Scrum-Masters im Besonderen wird bisweilen unterschätzt. Die Wirkung dieser Art der Führung ist eher indirekt. Wie ein Gärtner sorgt sie für gute Bedingungen für gelingende Zusammenarbeit. Wer als Scrum Master wie ein Fussballtrainer beim Spiel nur an der Seitenlinie steht, dessen Beitrag wird leicht übersehen. Deshalb wird Scrum Mastern früher oder später „richtige“ Arbeit angetragen, also der Trainer einfach eingewechselt. Und wer sich seiner eigentlichen Aufgabe nicht ausreichend klar ist und wer nicht ausreichend konfliktbereit ist, nimmt diese Arbeit auch dankend an. Die langfristig viel wichtigere Arbeit am System und die kontinuierliche Verbesserung der Organisation bleibt dabei auf der Strecke, was aber niemandem mehr auffällt, weil alle mit „richtiger“ Arbeit beschäftigt sind.
Kennt ihr das auch? Der Scrum Master wird als Mädchen für alles und Joker missbraucht, weil er soll doch dem Team und dem Product Owner helfen. So steht das im Scrum-Guide! Also kann er auch mal ein bisschen mitarbeiten oder wenigstens dem Team ein paar der lästigen Projektmanagement-Office Tätigkeiten wie zum Beispiel Reporting und Dokumentation abnehmen. Kann er, aber wie heißt es schön: Kannste schon so machen, aber dann isses halt Kacke!
Moment mal, heißt es dann, der Scrum Master soll sich doch um Hindernisse kümmern, oder? Ja, im Scrum Guide steht was von „Beseitigen von Hindernissen, die das Entwicklungsteam aufhalten.“ Und der Scrum Master dient doch dem Team, dem Product Owner und der Organisation und hilft ihnen, oder? Ja, und im Scrum Guide steht aber auch klar, wie diese dienende Führung zu verstehen ist, nämlich als Hilfe zur Selbsthilfe: „Coachen des Entwicklungsteams hin zu Selbstorganisation und funktionsübergreifender Teamarbeit.“
Bleiben wir also kurz bei den Hindernissen und nehmen ein alltägliches Beispiel: Das Entwicklungsteam wird mit Status Reporting belästigt, weil die Organisation das so gewohnt ist und glaubt das zu brauchen. Ganz klar ein Hindernis, das aber nicht dadurch verschwindet, dass der Scrum Master selbst aufopferungsvoll das Reporting für das Team übernimmt. Seine eigentliche Aufgabe ist es, aufzuzeigen, dass das geforderte Reporting das Team bremst und dann zusammen mit den Empfängern des Status Reports (die es hoffentlich gibt, worauf ich aber nicht immer wetten würde) einen für die Wertschöpfung des Teams besseren Weg zu finden, um deren eigentliches und hoffentlich berechtigtes Interesse zu befriedigen.
Der Scrum Master hilft denjenigen, die kein Teil des Scrum-Teams sind, zu verstehen, welche ihrer Interaktionen mit dem Team sich hilfreich auswirken und welche nicht. Der Scrum Master hilft dabei, die Zusammenarbeit so zu optimieren, dass der durch das Scrum-Team generierte Wert maximiert wird.
Scrum Guide
Unerfahrene Scrum Master scheuen diesen Konflikt zwischen an sie (gerne von höherer Stelle) herangetragener Erwartungshaltung und dem eigentlichen Anspruch an ihre Rolle. Es fällt auch nicht leicht, diese Erwartung zu enttäuschen und schon gar nicht, wenn mehr oder weniger subtil suggeriert wird, dass sie dadurch das Team im Stich lassen und sich vor ihrer Verantwortung drücken. Viele haben es auch noch nie anders erlebt und lassen sich mehr oder weniger gern einwechseln und zur kurzfristig immer dringenden Arbeit im System animieren. Und dabei vergessen sie die langfristig wichtigere Arbeit am System.
Den Kopf in den Sand zu stecken, verbessert die Aussicht nicht.
Anais Nin
Die Aufgabe des Scrum Masters ist aber nicht, sich beliebt zu machen und Konflikten aus dem Weg zu gehen. Insbesondere nicht den Konflikten mit der Organisation, die dadurch entstehen, wenn wenig hilfreiche Praktiken und Interaktionen der Organisation mit dem Team angesprochen und hinterfragt werden müssen. Diese Arbeit am System als moderner Hofnarr kann aber nur mit der richtigen Perspektive und der nötigen Unabhängigkeit gelingen, weshalb die Position an der Seitenlinie für den Scrum Master die bessere ist. Wehret also den Anfängen, wenn ihr das nächste Mal zur Arbeit im System verleitet oder gedrängt werden.
Ich kenne keinen sicheren Weg zum Erfolg, nur einen zum sicheren Misserfolg: es jedem recht machen zu wollen.
Herbert Bayard Swope
2 Kommentare
Vielen Dank, Marcus.
Das Bild mit dem Trainer (EN: „Coach“) benutze ich auch gern.
Eine Kollegin (Agility Master) sprach anlässlich der Fussball-WM 2018 mit mir.
Ihr Mann bat sie, mit ihm ein Deutschland-Spiel anzusehen.
„Nein. Danke. Irgendwann muss Schluß sein mit der Arbeit.“
Sie konnte (wie ich auch) die Dysfunktionen in der „DfB-Elf“ mit Händen greifen.
Anders als in ihrem Job, kann sie aber im Fernsehen keinen Beiutrag leisten.
Und es fällt ihr wie mir schwer, Leid zu sehen ohne es lindern zu können.
Ich habe damals den Raum verlassen und mir wurde das Ergebnis mitgeteilt.
Sie trank Rotwein. Mindestens ein Glas mehr als es ihr gut tat.
Ein Konflikt ist auf vier Arten lösbar.
* Fight
* Flee
* Freeze
Meine bevorzugte Methode leite ich mit diesen Worten ein:
„Großartig. Wir haben einen Konflikt. Jetzt haben wir etwas, womit und woran wir arbeiten können.“
Dann gibt es da noch diejenigen, die den Ball im Feld des anderen sehen. Es ist ihnen zu mühsam das Spiel zu lesen und sich dorthin zu begeben, wo der Puck sein wird.
http://www.conny-dethloff.de/mediapool/78/781999/data/Erkenntnistheorie_loest_Kommunikationsprobleme.pdf
https://blog-conny-dethloff.de/?p=1603
Vielen Dank, lieber Alexander! Das „Großartig. Wir haben einen Konflikt. Jetzt haben wir etwas, womit und woran wir arbeiten können.“ merke ich mir.