Die Welt hält den Atem an angesichts der Corona-Pandemie. Räumliche Distanz („Social-Distancing“) ist angeraten, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, was dringend notwendig ist, damit die Gesundheitssysteme nicht überlastet werden. Das bedeutet nun für viele, dass sie räumlich verteilt arbeiten müssen. Und das auf Dauer und nicht mal eben einen halben im Tag Home-Office, weil der Klempner kommt.
Reden wir also mal darüber, wie diese räumlich verteilte Zusammenarbeit gut gelingen kann. Jetzt einfach alle vorherigen Besprechungen als Videokonferenzen durchzuführen, ist da ja nur so mittelgut: Wenn du eine Scheißbesprechung digitalisierst, dann hast du eben eine scheiß digitale Besprechung. (In Anlehnung an den Ausspruch von Thorsten Dirks, dem ehemaligen CEO von Telefónica Deutschland, zur Digitalisierung)
Videokonferenzen sind nur ein Teil der Lösung. Räumlich verteilte Zusammenarbeit muss auch und zuerst bedeuten, schriftlich und asynchron zu kommunizieren. Ganz besonders dann, wenn alle im Home-Office sitzen mit Kindern und Partnern und das alles irgendwie geregelt bekommen müssen. Ein wenig erinnern mich daher die ganzen jetzt aufkommenden Tipps rund um gute Videokonferenzen an Henry Ford: „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt schnellere Pferde.“
Das Problem ist doch, dass in vielen Organisationen ein ausgeprägter Präsenzkult herrscht(e). Home-Office und Mobilarbeit war natürlich möglich, aber immer die Ausnahme und irgendwie Arbeit zweiter Klasse und nichts für echte Höchstleister. Für den einen Tag Home-Office in der Woche konnte man sich dann leicht mit Videokonferenzen behelfen oder einfach die Besprechung auf einen der anderen Tage schieben.
Die wenigsten haben gelernt, auf Dauer räumlich verteilt und asynchron zu arbeiten. Begreifen wir die aktuelle Situation also als Chance, unsere bisherige Arbeitsweise zu hinterfragen und neue Formen der Zusammenarbeit auf Distanz einzuüben. Eine Übung die darüberhinaus auch bestens geeignet ist, auch die drohende Klimakatastrophe einzudämmen.
Meetings are by definition a concession to deficient organization. For one either meets or one works.
Peter F. Drucker, 1967. The Effective Excecutive
Damit hat Peter F. Drucker schon 1967 eigentlich alles gesagt, was über Besprechungen grundsätzlich gesagt werden muss. Organisationen werden nicht für Besprechungen bezahlt. Punkt. Besprechungen sind allerdings notwendig, um die hochgradig arbeitsteilige Wertschöpfung zu organisieren. Weniger Besprechungen sind also besser. Und diese wenigen müssen dann natürlich gut organisiert und vorbereitet sein. Das war schon immer so, aber jetzt, wo sich alles virtuell abspielen muss, ist Vorbereitung und Organisation besonders wichtig, weil es virtuell weniger Möglichkeiten gibt, das währenddessen interaktiv zu kompensieren.
We don’t do PowerPoint (or any other slide-oriented) presentations at Amazon. Instead, we write narratively structured six-page memos. We silently read one at the beginning of each meeting in a kind of “study hall.”
Jeff Bezos
Während es früher reichte eine Agenda mit ein paar Stichpunkten in den Termineintrag zu schreiben (und das war schon ein Fortschritt und eine Good Practice) und dann in der Besprechung gemeinsam eine PowerPoint-Präsentation mit mehr oder weniger gut aufbereiteten Inhalten durchzugehen, empfehle ich für verteiltes Arbeiten grundsätzlich eine gute schriftliche Vorbereitung. Es müssen ja nicht gleich die sechsseitigen Memos in Prosa sein, die Jeff Bezos nutzt, nur eine durchdachte schriftliche Vorbereitung. Und das am besten so, dass die Inhalte in Form von Kommentaren oder durch die Möglichkeit zur gemeinsamen Bearbeitung im Vorfeld schon asynchron diskutiert werden können (z.B. in einem Wiki wie Confluence oder in gemeinsamen Dokumenten in Microsoft Teams oder Google Docs). Die eigentliche Besprechung dient dann – falls überhaupt noch notwendig – nur zur gemeinsamen Entscheidung.
It’s hard to come up with a bigger waste of money, time, or attention than status meetings.
Jason Fried. Signal vs. Noise
Jason Fried und David Heinemeier Hansson haben Basecamp von Anfang an konsequent dezentral aufgebaut haben. Eines ihrer lesenswerten Bücher heißt deshalb auch „REMOTE: Office Not Required“ (Amazon Affiliate-Link). Bei Basecamp sind die Mitarbeiter über den Globus verstreut und können sich nicht eben mal schnell treffen. Das klassische Status-Meeting oder neudeutsch Stand-up funktioniert in diesem radikal dezentralisierten Modell nicht und Jason Fried äußert zudem Zweifel, ob solche Besprechungen überhaupt sinnvoll sind, weil in der Regel die einzelnen Teammitglieder die ausgetauschten Informationen gar nicht in dem Moment der Besprechung und auch nicht alle zur selben Zeit benötigen.
Natürlich findet auch bei Basecamp ein reger Austausch innerhalb von Teams statt, das meiste davon aber schriftlich und asynchron. Jeden Tag machen die Mitarbeiter einen sogenannten „Check-In“ und schreiben (unterstützt durch ihre Software Basecamp) für alle sichtbar, woran sie heute gearbeitet haben. Und zu Beginn einer Woche schreibt jeder zusätzlich, woran er diese Woche arbeiten wird. Diese mehr oder weniger kurzen schriftlichen Aktualisierungen jedes einzelnen und die daraus entstehenden Diskussionen ersetzen die andernorts üblichen Besprechungen ohne Verlust.
E‑mail is where knowledge goes to die.
Bill French
Wenn hier von schriftlicher Vorbereitung die Rede ist, dann ist explizit nicht E‑Mail gemeint. Für die verteilte asynchrone Zusammenarbeit ist E‑Mail zwar de facto heute noch ein Standard, aber nicht wirklich geeignet. Sie ist im wesentlichen ein digitaler Brief und für die Kommunikation zwischen zwei Menschen oder höchstens für die Diskussion in einer kleinen Gruppe gemacht. Längere Diskussionen in größeren Gruppen werden schnell unübersichtlich und führen dann dazu, dass ein Meeting anberaumt wird.
Für verteiltes Arbeiten braucht es virtuelle Räume für asynchrone Diskussionen jenseits von Videokonferenzen. Sei es in Slack, Microsoft Teams (das es übrigens wegen der Corona-Pandemie gerade kostenlos gibt, was ein sehr feiner Zug von Microsoft ist) oder dem Enterprise Social Network. Oder sei es entlang von Unterlagen oder anderen Artfakten, z.B. auf Wiki-Seiten in Confluence oder in Google Docs oder auch an Backlog-Items in JIRA. Alles besser als E‑Mail, wo die Diskussion aus dem Kontext gerissen ist und das kollektive Wissen einen langsamen Tod stirbt.
8 Kommentare
Lieber Markus,
danke für diesen Artikel. Jetzt mit drm vielen Home-Office wir deutlich, dass viele Menschen lernen müssen, wir Kommunikation in einem Menschen überhaupt funktioniert.
Bei asynchroner Kommunikation ist es noch wichtiger, sich zu überlegen, ob meine eigene Botschaft überhaupt ankommen kann, weil der Empfänger ein anderes Wissen hat als ich.
Ich muss mir sogar vorher überlegen, was ich eigentlich rüberbringen will.
In Zeiten von physical-distancing wird mir erst bewusst, wie improvisiert unsere Präsenzkommunikation ist. Wenn wir direkt miteinander reden dann sagen wir was und mindestens zwei weitere Sinne nehmen wahr, was der Empfänger verstanden haben könnte.
Über Cyber-Kommunikation fallen manche der Sinne weg und ich muss vorher überlegen wie ich was sagen will und muss.
Dummerweise verleiten die schnellen elektronischen Medien dazu noch schneller zu kommunizieren, dabei müssten wir langsamer und mit mehr Denkpausen kommunizieren.
Insofern kann uns die Corona Krise lehren langsamer und sorgfältiger zu kommunizieren.
Das macht uns am Ende effektiver und damit doch wieder irgendwie schneller.
Darum – halte Abstand und bleib gesund :-)
Heinz
.… und wenn man dann noch auf dem Mobiltelefon schreibt, verdreht die Autokorrektur manche Worte, ohne dass man es merkt :-(
Da bin ich absolut bei dir, lieber Heinz. Und genau deshalb mag ich asynchrone schriftliche Kommunikation so sehr: Sie zwingt zum Nachdenken und Formulieren. Es muss ja nicht so radikal wie bei Jeff Bezos sein mit seinen sechsseitigen Memos in Prosa. Und obwohl das langsamer scheint, glaube ich auch, dass es am Ende effektiver ist.
„Willst Du Dein Ziel schnell erreichen, so gehe allein.
Willst Du weit kommen, so gehe mit anderen.“
angeblich: Afrikanisches Sprichtwort.
Ich habe es aus der Neuverfilmung von Alfons Zitterbacke mit Bürger Lars Dietrich als Kosmonaut, „Astro Alex“ auf der ISS und vielen bekannten Schauspielern.
http://www.filmstarts.de/kritiken/266099.html
Hallo Marcus, Deiner meinung zu eMails mag ich nicht zustimmen. Wer einmal mit anderen Leuten über die Zeitzonen hinweg gearbeitet hat, weiß die eMail zu schätzen. Auch die Kommunikation in großen Projekten und im OSS Umfeld geschieht im Wesentlichen über eMail oder news. Es kommt einfach darauf an, zu fokussieren. Der belanglose Mist, welcher über Messenger gleich welcher Art verbreitet wird, ist der Tod einer fruchtbaren zusammenarbeit. Und es kommt darauf an, einen eMail Client zu verwenden, welcher wirklich geeignet ist. Das meist verwendete Outlook ist aber am wenigsten dafür geeignet. Und es ist wichtig, egal welches Medium man benutzt, einen Beitrag vorher zu durchdenken. Der beitrag ist viel mehr, als das Eintippen auf der Tastatur. Und die eMail kann nichts für den untauglichen Inhalt, genausowenig wie der Messenger.
Ist das vielleicht so ein Generationen-Ding? Ich zähle mich jetzt nicht zu Z, sondern zu 100% Y, aber ich bin die Email in den letzten 2 Jahren sehr müde geworden. Oft nur kurze Texte mit einer Frage, wofür man besser einen Messenger verwenden könnte oder lange Monologe, die man nur schwer schafft zu Ende zu lesen. Eine Email ist für mich immer ein elektronischer Brief. Und Briefe schreibe ich sehr, sehr selten. Ich möchte schnell kommunizieren und Reaktionen erhalten.
Ich liebe also Messenger mit Gruppenfunktion oder eben Teams, Slack, etc. Und weil das viele Lesen müde macht, ist auch das Sprachmemo/Sprachnachricht inzwischen für mich eine willkommende Abwechslung. Die ersetzt für mich lange Emails und dringen beim Empfänger auch wesentlich tiefer.
Ja, kann ich nachvollziehen. Wobei sich aber auch nicht alles so verkürzen lässt und mancher Diskussion ein längeres schriftliches Format gut täte.
Lieber Mark, ich glaube, wir sind gar nicht so weit auseinander. Es geht uns beide um gute schriftliche Kommunikation. Die geht auch mit E‑Mail, das gebe ich gerne zu. E‑Mail hat nur einen Nachteil: Es ist immer ein geschlossener Personenkreis der miteinander kommuniziert. Jemand außerhalb kann nie, auch nicht zufällig oder durch eine Suche später, über den Inhalt stolpern. Darum mag ich persönlich digitale Workspaces wie Microsoft Teams und Slack lieber.