Die Krux mit den Besprechungen

So wie T., dem Prot­ago­nis­ten des letz­te Woche erschie­ne­nen Frag­ments des Romans „Am Hand­lauf in den Ent­schei­der­kreis“, geht es vie­len mehr­mals täg­lich: Sie ver­brin­gen einen nicht unwe­sent­li­chen Teil ihres Arbeits­ta­ges in Bespre­chun­gen, deren Nut­zen – vor­sich­tig aus­ge­drückt – frag­lich ist. Und obwohl die­se Bespre­chun­gen erheb­li­che Kos­ten ver­ur­sa­chen, die frei­lich in die Kate­go­rie „eh-da“ (vgl. Wiki­pe­dia) fal­len, machen sich nur weni­ge die Mühe, die Bespre­chungs­kul­tur (und damit ein­her­ge­hend den Prä­senz­kult) kri­tisch zu hin­ter­fra­gen. Es gibt aber auch eini­ge inspi­rie­ren­de Bei­spie­le, wie die­se all­ge­gen­wär­ti­gen Bespre­chungs­or­gi­en ein­ge­dämmt wer­den können.

Mee­tings are by defi­ni­ti­on a con­ces­si­on to defi­ci­ent orga­niza­ti­on. For one eit­her meets or one works.

Peter F. Dru­cker. The Effec­ti­ve Exce­cu­ti­ve, S. 44

Mit die­sem Satz aus sei­nem 1966 erst­ver­öf­fent­lich­ten Buch „The Effec­ti­ve Exce­cu­ti­ve“ hat Peter F. Dru­cker eigent­lich alles gesagt, was über Bespre­chun­gen gesagt wer­den muss. Orga­ni­sa­tio­nen wer­den nicht für Bespre­chun­gen bezahlt (obwohl ich mir bei eini­gen Manage­ment­be­ra­tun­gen da nicht hun­dert­pro­zen­tig sicher bin). Sie nut­zen Bespre­chun­gen, um ihre eigent­li­che Arbeit, also das wofür Kun­den sie bezah­len, zu orga­ni­sie­ren. Weni­ger Bespre­chun­gen sind also grund­sätz­lich bes­ser. Und die­se weni­gen müs­sen dann natür­lich gut orga­ni­siert und vor­be­rei­tet sein, aber das ist erst der zwei­te Schritt, denn dazu stell­te eben­falls Peter F. Dru­cker (1963 in Mana­ging for Busi­ness Effec­ti­ve­ness) unmiss­ver­ständ­lich fest: „The­re is sure­ly not­hing quite so use­l­ess as doing with gre­at effi­ci­en­cy what should not be done at all.“ 

For someone on the maker’s sche­du­le, having a mee­ting is like thro­wing an excep­ti­on. It does­n’t mere­ly cau­se you to switch from one task to ano­ther; it chan­ges the mode in which you work.

Paul Gra­ham, Maker’s Sche­du­le, Manager’s Schedule

Der Pro­gram­mie­rer, Autor und Unter­neh­mer Paul Gra­ham erklärt in sei­nem 2009 erschie­ne­nen Arti­kel den wich­ti­gen Unter­schied zwi­schen dem Zeit­plan von Mana­gern und dem Zeit­plan von „Machern“ bzw. Wis­sens­ar­bei­tern. Letz­te­re brau­chen mög­lichst lan­ge Zeit­blö­cke, in denen sie sich unge­stört in ihre Arbeit ver­sen­ken kön­nen, um effek­tiv zu sein. Für Mana­ger besteht der Tag hin­ge­gen im Wesent­li­chen aus Bespre­chun­gen. Was für den Mana­ger also ein ganz nor­ma­ler Teil sei­ner Arbeit ist, näm­lich an einer Bespre­chung teil­zu­neh­men, ist laut Paul Gra­ham für den Wis­sens­ar­bei­ter sowas wie „thro­wing an excep­ti­on“, also die Behand­lung einer Aus­nah­me­si­tua­ti­on in Programmablauf.

Each type of sche­du­le works fine by its­elf. Pro­blems ari­se when they meet. Sin­ce most powerful peo­p­le ope­ra­te on the mana­ger’s sche­du­le, they’­re in a posi­ti­on to make ever­yo­ne reso­na­te at their fre­quen­cy if they want to. But the smar­ter ones res­train them­sel­ves, if they know that some of the peo­p­le working for them need long chunks of time to work in.

Paul Gra­ham, Maker’s Sche­du­le, Manager’s Schedule

In vie­len Orga­ni­sa­tio­nen lässt sich genau das beob­ach­ten. Der Zeit­plan der Mana­ger domi­niert alles, weil die­se kraft ihrer Posi­ti­on und ohne Kennt­nis des „art­ge­rech­ten“ Zeit­plans ihrer Mit­ar­bei­ter (oder mit Kennt­nis aber ohne Rück­sicht­nah­me) der Orga­ni­sa­ti­on ihren eige­nen Zeit­plan über­stül­pen. Und wenn dann noch dazu der ein­zi­ge Kar­rie­re­pfad in der Orga­ni­sa­ti­on die Mana­ger­kar­rie­re ist, neh­men sich ambi­tio­nier­te Mit­ar­bei­ter die­sen Zeit­plan und die­se Arbeits­wei­se zum Vor­bild, was dann zu einer wah­ren Flut von Bespre­chun­gen führt. Am Ende sind alle Kalen­der so ver­stopft, dass jeder Ver­such, einen geeig­ne­ten Ter­min zwi­schen mehr als zwei Per­so­nen zu koor­di­nie­ren unwei­ger­lich an Tetris erinnert. 

Other people’s time isn’t for you — it’s for them. You can’t take it, chip away at it, or block it off. Everyone’s in con­trol of their time. They can give it to you, but you can’t take it from them.

Jason Fried, Signal vs. Noise

Jason Fried und David Hei­ne­mei­er Hans­son sind ähn­lich wie Paul Gra­ham lei­den­schaft­li­che Pro­gram­mie­rer und seit 20 Jah­ren mit Base­camp unkon­ven­tio­nel­le und erfolg­rei­che Unter­neh­mer. In ihrem Blog und ihren Büchern hin­ter­fra­gen sie radi­kal übli­che Prak­ti­ken in Orga­ni­sa­tio­nen. Bespre­chun­gen sind für sie dabei immer wie­der Ziel ihrer Kri­tik. Sie packen das Übel des­halb an der Wur­zel und nut­zen bei Base­camp gar kei­ne offe­nen Kalen­der. Was in den meis­ten Unter­neh­men völ­lig nor­mal ist, gibt es bei Base­camp ganz bewusst nicht: einem Kol­le­gen schnell mal einen Ter­min einstellen.

It’s hard to come up with a big­ger was­te of money, time, or atten­ti­on than sta­tus meetings. 

Jason Fried, Signal vs. Noise

Da Jason Fried und David Hei­ne­mei­er Hans­son Base­camp kon­se­quent dezen­tral auf­ge­baut haben (eines ihrer lesens­wer­ten Bücher heißt des­halb auch „REMOTE: Office Not Requi­red“) könn­ten sich Mit­ar­bei­ter ohne­hin nicht eben mal schnell tref­fen. Das klas­si­sche Sta­tus-Mee­ting oder neu­deutsch Stand-up funk­tio­niert in die­sem radi­kal dezen­tra­li­sier­ten Modell nicht und Jason Fried äußert berech­tig­te Zwei­fel, dass sol­che Bespre­chun­gen über­haupt sinn­voll sind, weil in der Regel die ein­zel­nen Team­mit­glie­der die aus­ge­tausch­ten Infor­ma­tio­nen gar nicht in dem Moment der Bespre­chung und auch nicht alle zur sel­ben Zeit benötigen. 

Natür­lich fin­det auch bei Base­camp ein reger Aus­tausch inner­halb Teams statt, aber das meis­te davon aber schrift­lich und asyn­chron. Jeden Tag machen die Mit­ar­bei­ter einen soge­nann­ten „Check-In“ und schrei­ben (unter­stützt durch ihre Soft­ware Base­camp) für alle sicht­bar, wor­an sie heu­te gear­bei­tet haben. Und zu Beginn einer Woche schreibt jeder zusätz­lich, wor­an er die­se Woche arbei­ten wird. Die­se mehr oder weni­ger kur­zen schrift­li­chen Aktua­li­sie­run­gen jedes ein­zel­nen und die dar­aus ent­ste­hen­den Dis­kus­sio­nen erset­zen die andern­orts übli­chen Bespre­chun­gen ohne Ver­lust. So kann jeder mög­lichst unge­stört in sei­nem „Macher-Zeit­plan“ arbei­ten und sich bzw. ande­re infor­mie­ren, wenn es am bes­ten in die­sen passt.

Exces­si­ve mee­tings are the blight of big com­pa­nies and almost always get worse over time. Plea­se get of all lar­ge mee­tings, unless you’re cer­tain they are pro­vi­ding value to the who­le audi­ence, in which case keep them very short.

Also get rid of fre­quent mee­tings, unless you are deal­ing with an extre­me­ly urgent mat­ter. Mee­ting fre­quen­cy should drop rapidly once the urgent mat­ter is resolved.

Walk out of a mee­ting or drop off a call as soon as it is obvious you aren’t adding value. It is not rude to lea­ve, it is rude to make someone stay and was­te their time.

Elon Musk, inter­ne E‑Mail via Jalop­nik

Auch Elon Musk beklagt sich über die Kul­tur exzes­si­ver Bespre­chun­gen und stellt kla­re Regeln auf, wie aus die­sen Aus­schnitt einer inter­nen E‑Mail her­vor­geht. Sein ers­ter Fokus liegt dar­auf, die Anzahl der Teil­neh­mer und die Häu­fig­keit von Bespre­chun­gen deut­lich zu redu­zie­ren. In einem Inter­view spricht bei­spiels­wei­se davon, dass bei Tes­la kei­ne Bespre­chung aus mehr als vier bis sechs Teil­neh­mern bestehen darf. 

Ansät­ze gäbe es also eini­ge, um der Pla­ge Herr zu wer­den und die Flut an Bespre­chun­gen ein­zu­däm­men. Ohne frei­lich über Bespre­chun­gen in Orga­ni­sa­tio­nen im Beson­de­ren zu kla­gen, hat Fried­rich Nietz­sche im Jahr 1878 doch schon eine gute Leit­li­nie für ein gesun­des Mit­tel­maß zwi­schen den Zeit­plä­nen von Machern und Mana­gern gege­ben: Wer nicht zwei Drit­tel sei­nes Tages für sich hat (Macher-Zeit­plan), ist ein Skla­ve gefan­gen im Manager-Zeitplan.

Alle Men­schen zer­fal­len, wie zu allen Zei­ten so auch jetzt noch, in Scla­ven und Freie; denn wer von sei­nem Tage nicht zwei Drit­tel für sich hat, ist ein Scla­ve, er sei übri­gens wer er wol­le: Staats­mann, Kauf­mann, Beam­ter, Gelehrter.

Fried­rich Nietz­sche, Mensch­li­ches, All­zu­mensch­li­ches. I: § 283

Die Rege­lung von Jason Fried und David Hei­ne­mei­er Hans­son bei Base­camp dürf­te die Aus­nah­me sein und also wer­den die meis­ten täg­lich mit vie­len Ter­min­an­fra­gen kon­fron­tiert sein. Gera­de des­we­gen lohnt es sich jede ein­zel­ne genau zu prü­fen. Mir hat ein län­ge­rer krank­heits­be­ding­ter Aus­fall vor eini­ger Zeit die Augen geöff­net und eine hilf­rei­che Leit­li­nie für Ter­min­an­fra­gen beschert: Immer wenn ich den Ter­min im Fal­le einer plötz­li­chen Erkran­kung mit Gleich­mut oder sogar Erleich­te­rung absa­gen wür­de, über­le­ge ich nun sehr genau, ob die­ser Ter­min wirk­lich mit mir statt­fin­den muss.



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9 Kommentare

Michel Frahm 26. August 2019 Antworten

Lie­ber Marcus,

Gut ana­ly­siert.
Mana­ger Sche­du­le und Maker Sche­du­le passt. Das muss eine FK im Blick haben. Mag auch den Musk (obwohl Musk ein FK Skla­ven­trei­ber ist) Ansatz Max. 6 Teil­nah­mer im Mee­ting. Mein Ansatz max. zwei Teil­neh­mer pro OE bzw. Par­tei, kein Bespre­chungs­tou­ris­mus. Kur­ze Mee­tings. Agen­da mög­lichst immer. Pro­to­koll nur wenn es effi­zi­ent geht und doku­men­ta­to­risch not­wen­dig ist. Ist man der gro­ße „Hip­po“ kann man das so gestal­ten. Ist man der klei­ne „Hip­po“ wird es schon schwie­ri­ger ‑wie von Dir beschrie­ben nicht nur für den Maker son­dern auch für den Manager.

Vie­le Grü­ße Michel

Marcus Raitner 27. August 2019 Antworten

Vie­len Dank für dei­ne Ergän­zun­gen, lie­ber Micha­el! Tat­säch­lich ist das für Jason Fried, David Hei­ne­mei­er Hans­son und Elon Musk natür­lich ein­fa­cher zu bestim­men, als für den nor­ma­len Mit­ar­bei­ter oder die mitt­le­re Füh­rungs­kraft. Am Ende kann aber doch jeder für sich und sei­ne Zeit Ver­ant­wor­tung übernehmen.

Im-chaos-daheim.de 19. September 2019 Antworten

Nicht jede/r kann so schrift­lich kom­mu­ni­zie­ren, dass ande­re das ver­ste­hen. (Schaf­fen ja nicht mal alle mündlich)

Solan­ge fin­de ich Mee­tings wichtig

Marcus Raitner 19. September 2019 Antworten

In der Situa­ti­on hal­te ich Mee­tings sogar für beson­ders gefähr­lich, weil sie ja an der Unfä­hig­keit schrift­lich und struk­tu­riert zu kom­mu­ni­zie­ren nichts ver­bes­sern. Ich fin­de da den Ansatz von Jeff Bezos bes­ser … und ja, am Anfang ist das eine Lernkurve.

Im-chaos-daheim.de 19. September 2019

Ich hät­te jetzt gedacht, dass Mee­tings so mode­riert wer­den kön­nen, dass das dort auch gelernt/gelehrt wer­den kann.

Gene­rell den­ke ich auch, dass unnüt­ze Mee­tings gibt. Ich den­ke nur nicht, dass ALLE Mee­tings unnütz sind.

Marcus Raitner 20. September 2019

Das hät­te ich auch gedacht … Du hast recht: nicht alle Mee­tings sind unnütz, aber lei­der sehr vie­le (auch weil schlecht moderiert)

Alexander Gerber 27. August 2019 Antworten

Vie­len Dank für die Anrei­che­run­gen Dei­ner Ana­ly­se, Marcus.

Aller­dings fürch­te ich, all Dei­ne Erkennt­nis wird der Orga­ni­sa­ti­on nichts nützen. 

Wenn das erklär­te Ziel, der Wert­bei­trag, der inter­nen Orga­ni­sa­ti­on dar­in besteht, einen Wert­strom zu len­ken, dann ist das „Mee­ting“ das Instru­ment der Wahl. 

Es hat schon sei­ne Grün­de, war­um der „Ampel­sta­tus“ als Aus­drucks­mit­tel so popu­lär ist. Genau so bezeich­nend ist, dass für das „Tie­fer­le­gen“ immer nur die ande­ren zustän­dig sind.

Im Sin­ne von R‑A-C‑I ist man selbst „accoun­ta­ble“ wäh­rend man tun­lichst ver­mei­det, „respon­si­ble“ zu sein. Und wenn doch, dann benö­tigt es eben „Bud­get“, um die­ser Ver­ant­wor­tung nach­zu­kom­men. Selbst in die Hand neh­men? Gott bewah­re, wofür hat man schließ­lich studiert?

Dann doch lie­ber „Pro­ble­mar­tel­le­rie“: der Punkt wird in der Orga­ni­sa­ti­ons­hier­ar­chie nach oben geschos­sen und man hofft, er möge als Pro­blem in einer ande­ren OrgEinheit aufschlagen.

Geht ja auch nicht anders. Zur Lösung feh­len die eige­ne Kom­pe­tenz und vor allem Kapa­zi­tät es anzu­ge­hen. Man hat ja so vie­le Meetings …

Erhel­lend wirk­ten bei mir die Flight-Levels von Klaus Leopold.
https://commodus.org/agile21-agilitat-neu-denken/

Seit­her weiß ich, dass ich nichts erwar­ten kann, son­dern ledig­lich abwar­ten muss.
Kei­ne gute Situa­ti­on, wenn man Arbeit im Gewerk über­nimmt, anstatt im Dienst­ver­trag, bei dem man wenigs­tens für’s War­ten bezahlt wird …

Marcus Raitner 27. August 2019 Antworten

Lie­ber Alex­an­der, das klingt ja fast so als woll­test du den Roman wei­ter­schrei­ben ;-) lei­der trifft du mit dei­nen Bei­spie­len vie­le Wun­de Punk­te gro­ßer Orga­ni­sa­tio­nen, die ich ger­ne als „orga­ni­sier­te Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit“ zusam­men­fas­se. Hoff­nung gibt es den­noch. Ein biss­chen jedenfalls.

Alexander Gerber 28. August 2019 Antworten

Nein. Die­sen Roman möch­te ich nicht wei­ter­schrei­ben. Dafür feh­len mir auch die Ein­bli­cke. Von den beschrie­be­nen Abläu­fen hal­te ich mich fern, soweit und sofern ich das selbst ent­schei­den kann.

Wie es sein könn­te, wenn man eine Sache ernst nimmt und Ver­ant­wor­tung über­nimmt, beschrei­ben Tobi­as und ich hier:
https://leanpub.com/kdz

Jeder mag dann selbst ent­schei­den, ob er lie­ber liest wie es ist oder wie es sein kann. :-)

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