Erfolgsrezept: Schneller scheitern

Lan­ge bevor Agi­li­tät zur Mode wur­de wen­de­te Paul Mac­Cre­a­dy die essen­zi­el­len agi­len Prin­zi­pi­en Fokus, Ein­fach­heit und schnel­les Ler­nen auf das Pro­blem des Mus­kel­kraft-Flugs an. Mit sei­nen sehr limi­tier­ten Res­sour­cen bau­te er mit einem klei­nem Team inner­halb von zwei Mona­ten ein Flug­zeug, das vor allem eines war: leicht zu repa­rie­ren und leicht zu modi­fi­zie­ren. Damit konn­te er inner­halb von Tagen und manch­mal nur Stun­den etwas Neu­es aus­pro­bie­ren und dadurch viel schnel­ler ler­nen als sei­ne Kon­kur­renz, die für sol­che Schlei­fen min­des­tens Wochen, meist aber Mona­te brauchte.

Der bri­ti­sche Indus­tri­el­le Hen­ry Kre­mer stif­te­te 1959 einen Preis von 5.000 bri­ti­schen Pfund für das ers­te von einem Men­schen mit Mus­kel­kraft ange­trie­be­ne Flug­zeug, das aus eige­ner Kraft gestar­tet eine lie­gen­de Acht um zwei Mar­kie­run­gen im Anstand von einer hal­ben Mei­le (806 Meter) inner­halb von 8 Minu­ten flie­gen wür­de. Im Jahr 1967 ver­dop­pel­te Kre­mer das Preis­geld und 1973 erhöh­te er es schließ­lich auf 50.000 bri­ti­sche Pfund. Trotz die­ser statt­li­chen Sum­me, die nach heu­ti­ger Kauf­kraft knapp 720.000 € ent­sprä­che, gelang es den vie­len kon­kur­rie­ren­den Teams nicht, die­se Her­aus­for­de­rung zu bewältigen.

Eine erstaun­lich lan­ge Zeit für ein auf den ers­ten Blick ver­gleichs­wei­se ein­fa­ches Pro­blem; ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund des tech­ni­schen Fort­schritts zu die­ser Zeit, in die immer­hin auch das kom­plet­te Apol­lo-Pro­gramm der NASA fiel. Zwi­schen der legen­dä­ren Ankün­di­gung von John F. Ken­ne­dy am 25. Mai 1961, bis zum Ende des Jahr­zehnts einen Men­schen auf dem Mond abzu­set­zen und sicher wie­der zurück­zu­brin­gen und der ers­ten Mond­lan­dung von Apol­lo 11 am 20. Juli 1969 ver­gin­gen jeden­falls nur etwas mehr als 8 Jah­re. Sicher­lich waren die Her­aus­for­de­run­gen eines von Mus­kel­kraft ange­trie­be­nen Flug­zeugs ande­re als die der bemann­ten Raum­fahrt, aber mit die­ser statt­li­chen Preis­sum­me soll­te doch auch die­ses Pro­blem lös­bar sein.

Das dach­te sich auch Paul Mac­Cre­a­dy, ein ame­ri­ka­ni­scher Phy­si­ker, der als pas­sio­nier­ter Segel­flie­ger mit einer Pro­mo­ti­on über atmo­sphä­ri­sche Stö­run­gen zwar einen star­ken Bezug zur Luft­fahrt hat­te, aber kein Flug­zeug­inge­nieur im eigent­li­chen Sin­ne war. Er hat­te eini­ge Erfah­run­gen im Bau von Indoor-Flug­zeug­mo­del­len aus sei­ner Jugend und im Bau von Hän­ge­glei­tern mit sei­nen Söh­nen, aber kei­ner­lei Ambi­tio­nen als Pio­nier in die Anna­len der Luft­fahrt ein­zu­ge­hen. Haupt­säch­lich reiz­te Mac­Cre­a­dy das Preis­geld, denn die 50.000 bri­ti­schen Pfund ent­spra­chen nach dama­li­gem Wech­sel­kurs ziem­lich genau 100.000 US-Dol­lar. Und auf die­se Höhe belie­fen sich sei­ne Schul­den im Som­mer 1976 auf­grund einer Bürg­schaft, die er für das geschei­ter­te Start-up eines Freun­des gege­ben hatte.

Was auf den ers­ten Blick nach denk­bar ungüns­ti­gen Vor­aus­set­zun­gen zur Bewäl­ti­gung die­ser damals schon fast zwei Jahr­zehn­te unge­lös­ten tech­ni­schen Her­aus­for­de­rung aus­sah, stell­te sich für Mac­Cre­a­dy als Glücks­fall her­aus. Nach­dem er wäh­rend eines Urlaubs den Flug von Gei­ern stu­diert hat­te, hat­te er die Idee ein­fach ein leich­tes „Modell­flug­zeug“ mit rie­si­ger Spann­wei­te (29 Meter und damit etwa so groß wie die einer DC‑9) zu bau­en. Inner­halb von nur zwei Mona­ten war die ers­te Ver­si­on des Gos­sa­mer Con­dor bestehend aus Alu­mi­ni­um­roh­ren, Draht­sei­len und Hart­schaum und über­zo­gen mit einer Poly­es­ter­fo­lie bereit zum Test­flug. Die­ser ende­te – wie so vie­le danach – mit einem Absturz. Doch genau dar­um ging es.

Der Gos­sa­mer Con­dor war in vie­ler­lei Hin­sicht anders als die Flug­zeu­ge der Kon­kur­renz. Er war das nai­ve Werk eines Modell­bau­ers, der sich wenig dar­um scher­te, wie man nach dem dama­li­gen Stand der Tech­nik Flug­zeu­ge zu bau­en hat­te. Der eta­blier­te Ansatz der Kon­kur­ren­ten führ­te zwar zu sehr ansehn­li­chen und auch rela­tiv schnel­len Flug­zeu­gen, die aber dadurch auch schwe­rer wur­den – zu schwer, um durch die Mus­kel­kraft eines Men­schen auf Dau­er betrie­ben zu wer­den. Der eigent­li­che Wett­be­werbs­vor­teil des Designs von Paul Mac­Cre­a­dy lag aber nicht nur in der Leich­tig­keit oder ande­ren tech­ni­schen Fines­sen, son­dern ganz wesent­lich dar­in, dass der Gos­sa­mer Con­dor viel ein­fa­cher zu repa­rie­ren war und das Team dadurch viel schnel­ler aus Miss­erfol­gen ler­nen konn­te als die Konkurrenz.

But it had one gre­at fea­ture which is it was quick to repair, modi­fy, alter, rede­sign. And if it cra­s­hed on landing […] you’d get a broom hand­le and some duct tape and tape the broom hand­le back on. You’d be fly­ing in five minu­tes. That acci­dent would have kept tho­se peo­p­le in Eng­land not fly­ing for some­thing like six months. So we got huge amount of flight expe­ri­ence out of this.

Paul Mac­Cre­a­dy

Move fast and break things“, das Mot­to das so vie­le Büro­wän­de im Sili­con Val­ley ziert und daher ger­ne mit der Digi­tal­wirt­schaft asso­zi­iert wird, war nie hand­fes­ter umge­setzt als in die­sem sehr ana­lo­gen Bei­spiel. Der Erfolg die­ser Tak­tik ließ auch damals nicht lan­ge auf sich war­ten. Das klei­ne Team von Paul Mac­Cre­a­dy konn­te inner­halb von weni­gen Mona­ten die Kon­kur­renz über­ho­len und den Gos­sa­mer Con­dor Miss­erfolg für Miss­erfolg so weit ver­bes­sern, dass es ihnen mit dem Rad­pro­fi Bri­an Allen als Pilo­ten schließ­lich am 23. August 1977 gelang, die für den Kre­mer-Preis gefor­der­te lie­gen­de Acht um die zwei Pfäh­le im Abstand von einer hal­ben Mei­le in recht gemäch­li­chen 7:25:05 Minu­ten zu flie­gen. Und nur zwei Jah­re spä­ter, am 12. Juni 1979, schaff­te es das­sel­be Team mit dem Gos­sa­mer Alba­tross, dem Nach­fol­ge­mo­dell des Con­dor, den Ärmel­ka­nal zu über­que­ren und erhielt dafür den zwei­ten Kre­mer-Preis, der mit 100.000 bri­ti­schen Pfund dotiert war. 

Paul Mac­Cre­a­dy hat­te mit sei­nem Team also die Essenz von Agi­li­tät ver­wirk­licht lan­ge bevor der Begriff im Kon­text der Soft­ware­ent­wick­lung in Mode kam: prä­zi­ser Fokus, Ein­fach­heit und schnel­les Ler­nen. Er kon­zen­trier­te sei­ne sehr limi­tier­ten Res­sour­cen auf das wirk­lich Wesent­li­che und ließ alles ande­re weg. Das Flug­zeug muss­te nicht schnell sein und es muss­te nicht ansehn­lich sein, es benö­tig­te ledig­lich eine gro­ße Spann­wei­te für viel Auf­trieb wie beim Segel­flug und muss­te gleich­zei­tig so leicht wie mög­lich sein, weil die Mus­kel­kraft eines Men­schen der limi­tie­ren­de Fak­tor war. Die damit ein­her­ge­hen­den Her­aus­for­de­run­gen lös­te das Team dann durch expe­ri­men­tel­les Ler­nen am rea­len Pro­dukt ange­fan­gen mit einem sehr frü­hen und rudi­men­tä­ren Mini­mum Via­ble Pro­duct, wie man das heu­te nen­nen wür­de. Hilf­reich war zudem, dass durch den Kre­mer-Preis die Erfolgs­kri­te­ri­en für das Vor­ha­ben sehr klar defi­niert und ein­fach zu mes­sen waren. Dadurch war leicht zu bestim­men, ob man sich der Lösung näher­te und wie viel noch fehlte. 

Das Titel­bild zeigt den Gos­sa­mer Alba­tross II auf einem Test­flug im Dry­den Flight Rese­arch Cen­ter der NASA in Edwards, Kalifornien.

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

1 Kommentar

Fail fast“ ist als Ziel in den letz­ten Jah­ren groß her­aus­ge­kom­men, wenn­gleich, wie Sie schil­dern, die­ser Ansatz sehr viel älter ist. 

Aber ist es wirk­lich gewünscht? Wird ein Pro­jekt nicht lie­ber jah­re­lang zu ret­ten ver­sucht, anstatt es zu stop­pen und unter neu­en Vor­aus­set­zun­gen zu starten?

Am 15. Sep­tem­ber 2022 fin­det zu die­sem The­ma ein #PMtalk statt: fail ear­ly – fail cheap: recht­zei­ti­ger Pro­jekt­ab­bruch aber wie? https://interim-cio.biz/projektabbruch-aber-wie

Bes­te Grüße
Peter Burgey

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