Was passiert mit der Verwaltung, wenn die Arbeit weniger wird? Diese Frage stellte sich Cyril Northcote Parkinson und sein Gegenstand der Untersuchung war das britische Kolonialamt, eine eigenständige Abteilung der britischen Administration die von 1854 bis 1966 für die Verwaltung der britischen Kolonien zuständig war. Parkinson stellte fest, dass die Anzahl der Beamten dieses Kolonialamt unabhängig von der vorhandenen Arbeit wuchs. Die meisten Beamten hatte dieses Amt als es 1966 mangels zu verwaltender Kolonien in das Außenministerium integriert wurde. Die Organisation war beschäftigt, aber nicht produktiv, sondern vor allem mit sich selbst.
Work expands so as to fill the time available for its completion.
Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.
Parkinsonsches Gesetz zum Wachstum der Bürokratie
Weglassen ist eine Kunst, die Verwaltungen offenbar weniger beherrschen. Weniger ist mehr. Mit diesem Motto beschrieb der Bauhaus-Architekt Ludwig Mies van der Rohe diese und damit auch seine Kunst. Sein Kollege Richard Buckminster Fuller sah das ganz ähnlich, wenngleich er damit eher die funktionalen Aspekte meinte: „Doing more with less.“ Was so einfach klingt, ist verdammt harte Arbeit.
Weniger ist mehr – insbesondere mehr Arbeit. Nicht nur in der Architektur, auch der französische Mathematiker Blaise Pascal entschuldigte sich 1656 für seine sprachlichen Ausschweifungen: „Ich habe den gegenwärtigen Brief aus keiner andern Ursach so lang gemacht, als weil ich nicht Zeit hatte, ihn kürzer zu machen.“ Und sein ungarischer Kollege Paul Erdős glaubte an „The Book“, ein Buch Gottes (den Erdős immer als Supreme Fascist (SF) bezeichnete), das seiner Meinung nach all die eleganten und perfekten mathematischen Beweise enthält.
Ich bin nicht qualifiziert zu sagen, ob Gott existiert oder nicht – ich bezweifle eher seine Existenz. Nichtsdestoweniger sage ich immer, dass der SF dieses transfinite Buch hat, das die besten Beweise aller mathematischen Sätze enthält, Beweise, die elegant und perfekt sind.
Paul Erdős (zitiert von Paul Hoffman in „Der Mann, der die Zahlen liebte“)
Wenn sich also nun diese großen Denker und Künstler einig sind, dass Einfachheit die höchste Form der Vollendung ist, wie es Leonardo da Vinci so treffend formulierte, wie kommt es dann zu diesen krebsartigen Wachstum von öffentlichen Verwaltungen wie des britischen Kolonialamts und damit einhergehend ihrer exzessiven Bürokratie? Ein Phänomen das in großen und über Jahrzehnten gewachsenen Konzernen in fast identischer Weise zu beobachten ist und in schöner Regelmäßigkeit recht erfolglose Vorhaben zu Entbürokratisierung hervorbringt.
Sicher geht es uns viel beschäftigten Wissensarbeitern wie Blaise Pascal und wir haben einfach keine Zeit unsere Prozesse zu verschlanken. Hinzu kommt eine interessante soziologische Dynamik, die Cyril Northcote Parkinson als Ursache für das von ihm beobachtete Phänomen beschreibt. Einerseits versucht jeder Angestellte die Anzahl seiner Untergebenen zu vergrößern, nicht aber die Anzahl seiner Rivalen. Und andererseits machen sich Angestellte gegenseitig Arbeit. Eine nach wie vor treffende Zusammenfassung der Gründe für die massiven Reibungsverluste in großen Organisationen.
Vielleicht liegt die Ursache aber auch viel tiefer in unserer menschlichen Psyche. In einem jüngst im Magazin Nature erschienenen Artikel beschreiben Tom Meyvis und Heeyoung Yoon eine interessante menschliche Neigung. Bei der Suche nach Lösungen bevorzugen wir in der Regel solche, die durch Hinzufügen von neuen Elementen entstehen gegenüber solchen, die durch Weglassen von bereits vorhandenen Elementen entstehen, selbst wenn letztere deutlich effizienter oder günstiger wären.
In einem Experiment hatten die Teilnehmer die Aufgabe, die Stabilität einer Lego-Struktur so zu verbessern, dass am Ende das Dach einen Ziegelstein tragen würde. Die Teilnehmer sollten bei Erfolg einen Dollar bekommen, aber jeder zusätzlich verwendete Legostein kostete 10 Cent. Da das Dach anfangs auf einem einzelnen kleinen Stein weit außerhalb des Schwerpunkts ruhte, fügten die meisten Teilnehmer einfach weitere Steine hinzu, um das Dach zu stabilisieren (vgl. das Bild im Artikel). Viel einfacher und gewinnbringender wäre es allerdings gewesen, den einzelnen Stein am Rand des Dachs einfach zu entfernen und es dadurch stabil auf dem Rest der Struktur aufliegen zu lassen.

Das Weglassen scheint uns nicht zu liegen. Lieber machen wir mehr desselben und wenn das nicht hilft, dann eben noch mehr. „Nachdem wir das Ziel endgültig aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen“, stellte Mark Twain treffend fest. Diese universelle menschliche Neigung kombiniert mit deutscher Gründlichkeit erklärt dann auch die umfangreiche deutsche Steuergesetzgebung und fein ziselierte Reisekostenrichtlinien in DAX-Konzernen.
Literatur
Parkinson, C. N. (1955). Parkinson’s Law. The Economist, 177(5856), 635 – 637.
Meyvis, T., & Yoon, H. (2021). Adding is favoured over subtracting in problem solving. Nature, 592(7853), 189 – 190. https://doi.org/10.1038/d41586-021 – 00592‑0 (PDF)
Adams, G. S., Converse, B. A., Hales, A. H., & Klotz, L. E. (2021). People systematically overlook subtractive changes. Nature, 592(7853), 258 – 261. https://doi.org/10.1038/s41586-021 – 03380‑y
3 Kommentare
Die Kunst des Weglassens ist eine hohe. Ich finde, das passt insgesamt sehr gut auf unsere aktuelle Lebensweise und was wir glauben, alles zu brauchen.
Wenn dann die Gesundheit fehlt, dann erkennt man recht schnell, was alles WIRKLICH notwendig ist. Und was eben nicht. Das meiste kann weg, ohne daß man es groß vermisst…
Oh ja, Hermann! Auf der Ebene ließe sich auch einiges weglassen. Danke für diese Ergänzung.
ein wunderbarer Beitrag, vielen Dank!
Ich bin froh, dass die Wissenschaft diese spezielle Neigung des Menschen beschrieben hat :). Und gebe mir in Zukunft noch mehr Mühe, etwas wegzulassen!