Wie können wir agil(er) werden? Viele meiner Gespräche beginnen mit dieser Frage. Da will also jemand anders arbeiten als bisher, agil oder agiler werden. Die Erwartungshaltung dahinter ist zumeist, neue und bessere Methoden gezeigt zu bekommen, um damit die anstehende Arbeit in irgendeiner Weise besser zu bewältigen. Diese Frage nach dem Wie greift aber fast immer zu kurz. Darum beantworte ich sie in der Regel mit einigen Gegenfragen. Welches Problem sollen die gewünschten agilen Methoden eigentlich lösen? Was will man erreichen? Wozu und wofür soll agil gearbeitet werden? Und woran soll eigentlich agil gearbeitet werden? Also der Reihe nach.
Wozu: Die Motivation
Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.
Friedrich Nietzsche (verkürzt von Viktor Frankl)
Leider ist oft gar nicht klar, was mit Agilität erreicht werden soll. Jedenfalls nicht denjenigen, die mit der Frage zu mir kommen. Sie haben den Auftrag von höherer Stelle erhalten und setzen ihn nun um. Was ihnen nicht vorgeworfen werden kann, ihren Auftraggebern aber durchaus. Es gibt schon einen guten Grund, warum es im Culture Statement von Netflix heißt: Kontext vor Kontrolle. Aber das ist eigentlich ein anderes Thema …
The leader’s job at every level is to set clear context so that others have the right information to make generally great decisions.
Netflix Culture Statement
Manchmal stellt sich in der Klärung der Motivation heraus, dass es keine andere gibt als: „Das machen andere auch so.“ Kann man freilich so machen, sollte man aber nicht. Früher oder später ergibt die Diskussion dann, dass irgendwie schneller und effizienter gearbeitet werden soll. Die agilen Methoden werden also als eine Art Kraftfutter für die Mitarbeiter gesehen. An der Stelle bemühe ich dann dieses großartige Bild von Henrik Kniberg:
Daran lässt sich sehr gut erklären, dass es im Kern von Agilität um kurze Feedbackzyklen geht. In kurzen Abständen werden benutzbare Produktstände geliefert und die Erkenntnisse aus der Benutzung dieser Zwischenstände beeinflussen dann die nächsten Schritte (darum entsteht im Bild in der unteren Sequenz ein Cabrio und keine Limousine, weil auf dem Weg gelernt wurde, dass der Kunde frische Luft liebt). Agilität beschleunigt also wirklich … das Lernen!
Diese kurzen Lernschleifen sind immer dann sinnvoll und notwendig, wenn das Ziel unklar und der Weg dorthin unsicher ist. Die richtige Motivation für agiles Arbeiten hat also immer etwas mit Unsicherheit und Komplexität zu tun und damit einhergehend dem Wunsch nach mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Wenn ein bekanntes und geplantes Ergebnis nur effizienter erreicht werden soll, sind agile Methoden das falsche Werkzeug egal wie viele andere es auch machen. Der effizienteste Weg ein Cabrio zu entwerfen führt sicher nicht über ein Skateboard, einen Roller, ein Fahrrad und ein Motorrad als Zwischenschritte.
An der Stelle könnte die Diskussion zu Ende sein. Meistens führe ich sie aber weiter, weil die Sicherheit trügerisch ist. Vielleicht ist hier und heute klar, dass und wie ein Cabrio gebaut werden soll, um in der Analogie zu bleiben. Keinesfalls ist aber klar, was auf dem Weg dorthin noch passieren wird und schon gar nicht, ob am Ende (und dieses liegt nicht selten Jahre in der Zukunft) der Kunde überhaupt noch ein Cabrio und wenn ja, dann das geplante will. Und vielleicht hätte ja auch das Motorrad oder das Fahrrad gereicht. Aus dieser im plangetriebenen Vorgehen meist verleugneten Unsicherheit ergibt sich dann meistens doch noch eine gute Motivation, um agiler zu werden.
Woran: Das Produkt
Nachdem das Wozu nun also klar ist, stellt sich die Frage, woran eigentlich agil gearbeitet werden soll. Im schlechtesten Fall ist das die Arbeit eines Gremiums oder ähnlichem. Ich begrüße es ja durchaus, dass sich die Entscheider den agilen Methoden aussetzen und dass sie diese selbst erproben wollen, aber ein Gremium ist kein Team, das an einem gemeinsamen Produkt arbeitet. Das ist ein Gruppe, die gemeinsam Entscheidungen trifft. Die Mitglieder machen 5% ihrer Zeit etwas gemeinsam, nämlich entscheiden, und 95% ihre eigentliche Arbeit in ihrem jeweiligen Silo.
Lassen wir also das mit der Agilisierung der Gremien (im Zuge einer größeren Transformation wäre ohnehin das Ziel, diese abzuschaffen und Entscheidungen wieder dort zu treffen, wo auch die Informationen dazu sind, nämlich bei den Teams) und wenden wir uns dem Fall zu, dass eine Gruppe von Menschen gemeinsam etwas für die Organisation (noch besser natürlich für den Kunden!) Sinnvolles hervorbringt. Das kann Software sein, das kann aber auch die Markenkommunikation oder das können auch mal Revisionsberichte sein.
In unseren funktional feinziselierten Organisationen ist es nun aber in der Regel so, dass sich der Wunsch nach mehr Agilität zumeist nur in einem kleinen Teil der kompletten Wertschöpfungskette regt. Da kommt also beispielsweise das Team, das Software für Steuergeräte entwickelt und will agiler werden und sich über Skalierung Gedanken machen. So weit, so gut.
Betrachtet man dann den Weg von der Anforderung bis zum Ausprobieren der Software auf dem Steuergerät im Fahrzeug erkennt man, dass dieses Team nur ein Teil einer längeren Kette von Übergaben ist (und diese funktionale Teilung in Expertenfunktionen hat ja durchaus aus ihre Berechtigung). Aus der Idee wird zuerst ein Konzept, das dann zu einem Architekten geht und zur Prüfung zur Datenmodellierung. Erst dann entsteht aus dem freigegebenen Konzept die Software. Die muss dann aber erst noch auf das Steuergerät gespielt und dieses dann in ein Fahrzeug gebaut werden und erst dann ist die Feedbackschleife geschlossen. Klaus Leopold benutzt dafür dieses schöne und leider gar nicht mal so unrealistische Bild:
Die viel spannendere Frage an der Stelle ist also, wie diese Feedbackschleife Ende-zu-Ende verkürzt und damit das Lernen beschleunigt werden kann, denn nur das kann das Ziel von Agilität sein. Das bereits halbwegs agile Entwicklungsteam ist nämlich nicht der Engpass. Stattdessen muss über die Grenzen der Silos hinweg entlang der Wertschöpfung agil und interdisziplinär in einem Team zusammengearbeitet werden. Das ist aber so nicht vorgesehen und wird von den jeweiligen Fürsten der einzelnen Silos auch nicht immer gern gesehen. Mit den Fragen nach Wozu und dem Woran beginnt es also wirklich spannend zu werden, das Wie ist immer erst der zweite Schritt.
A prudent question is one-half of wisdom.
Francis Bacon
1 Kommentar
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