Elf der zwölf Prinzipien hinter dem Agilen Manifests sind eher operativer Natur: Eng mit dem Kunden zusammenarbeiten, kontinuierlich ausliefern, regelmäßig den Prozess reflektieren, um nur einige zu nennen. Nur ein Prinzip beschäftigt sich mit der Kultur und der Umgebung, in der die Menschen arbeiten. Dieses zwölfte Prinzip ist aber die entscheidende Voraussetzung für Agilität im Speziellen und ein wichtiger Baustein für die Organisation von Wissensarbeit im Allgemeinen.
Build projects around motivated individuals. Give them the environment and support they need, and trust them to get the job done.
Principles behind the Agile Manifesto
In diesem Prinzip steckt einerseits das Bekenntnis zur Theory Y nach Douglas McGregor, die den Menschen als grundsätzlich leistungsbereit und intrinsisch motiviert ansieht. Andererseits steckt darin auch die Forderung, dass die Organisation den Menschen eine förderliche Umgebung und Unterstützung bieten und ihnen vertrauen soll.
Knowledge workers have to manage themselves. They have to have autonomy.Peter F. Drucker: Knowledge-Worker Productivity: The Biggest Challenge
Mit Agilität hat das aber nur insofern zu tun, als agiles Vorgehen eine spezielle Ausprägung der Zusammenarbeit in modernen Organisationen im Zeitalter der Wissensarbeit ist. Peter F. Drucker erkannte schon früh, dass die auf Kommando und Kontrolle basierenden Strukturen der Unternehmen des Industriezeitalters keine förderliche Umgebung für Wissensarbeit sind. Die Wissensarbeiter zu Beginn des 21. Jahrhunderts brauchen deutlich mehr Freiraum und eine andere Führung als die Industriearbeiter zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Wissensarbeiter müssen sich selbst managen. Das geht aber nur mit Vertrauen in die Menschen und ihre intrinsische Motivation.
Traditional hierarchies and their plethora of built-in control systems are, at their core, formidable machines that breed fear and distrust.
Frederic Laloux, Reinventing Organizations
Im seinem äußerst lesenswerten Buch „Reinventing Organizations“ belegt Frederic Laloux (Amazon Affiliate Link) anschaulich, dass die Unternehmen der nächsten Generation einem ein lebendem Organismus gleichen, dessen Bestimmung und Abläufe emergent in evolutionärer Wechselwirkung mit der Umgebung entstehen; ein deutlicher Kontrast zum derzeit vorherrschenden Maschinenmodell, in dem Organisationen wie Maschinen gestaltet und betrieben werden. Der größte Vorteil des Maschinenmodells, nämlich seine Effizienz durch Stabilität und Ordnung, ist aber gleichzeitig sein größter Nachteil, wenn die Anforderungen des Marktes nicht genau bekannt sind oder sich schneller ändern als die „Maschine“ umgebaut werden kann. Die Organisation als lebenden sich selbst organisierenden Organismus zu betrachten, heißt ein Stück Stabilität und Effizienz aufzugeben um Anpassungsfähigkeit zu gewinnen.
When trust is extended, it breeds responsibility in return. Emulation and peer pressure regulates the system better than hierarchy ever could.
Frederic Laloux, Reinventing Organizations
Wir haben die Wahl zwischen Kontrolle, Stabilität und Effizienz oder Selbstorganisation, Flexibilität und Emergenz. Selbstorganisation geht aber nicht ohne Vertrauen. In die Menschen und ihre Fähigkeiten aber auch Vertrauen in die Selbstregulation des Organismus. Gerade wenn anfangs nicht alles nach Plan verläuft ist hektischer Aktionismus fehl am Platze, sondern Führung und Coaching gefragt. Hier schließt sich nun der Kreis zum zwölften Prinzip: Den Menschen vertrauen und ihnen die Umgebung und Unterstützung bieten, die sie brauchen, um ihre Arbeit gut zu erledigen.
3 Kommentare
Tja… wohl wahr aber an sich ein Führungsmodell, welches ich versuche seit 25 Jahren zu leben. Was nutzt es aber, wenn besonders in der Linie gerade die aufsteigen, die dem alten Modell von Command & Controll huldigen?
Ein langer Kampf!
Jens
In der Tat kein wirklich neues Führungsmodell; es erhält nur in letzter Zeit mehr Aufwind. Ob sich dieses Führungsmodell in den alten Strukturen quasi evolutionär durchsetzen kann darf in der Tat bezweifelt werden. Ich bin da, genau wie Du, eher pessimistisch, was ein richtiges Leben im falschen betrifft. Diejenigen, die das wollen und machen müssten, sind die gleichen die in der klassischen Linie aufgestiegen sind und dem alten Modell huldigen (müssen). Ein langer und in den klassischen Strukturen vielleicht auch aussichtsloser Kampf.
Evolutionär wird dort stattfinden, wo noch Zeit ist. Den Rest fegt der Markt davon.