Konzerne organisieren die Zusammenarbeit von vielen Experten, um gemeinsam etwas Großes zu vollbringen, beispielsweise um Autos zu entwickeln und in gleichbleibend hoher Qualität zu wettbewerbsfähigen Preisen zu produzieren. Solche Organisationen sind es gewohnt, ihre langfristigen Vorhaben und das dafür notwendige Zusammenwirken aller benötigten Funktionen in komplizierten Plänen zu strukturieren. Viel Aufwand fließt im Verlauf des Projekts in die präzise Erfassung des Fortschritts der Arbeiten und noch mehr in die Koordination aller Beteiligten. Es ist daher wenig verwunderlich, dass agile Methoden, allen voran Scrum, in diesen traditionellen Organisationen auf fruchtbaren Boden fallen: Von Sprint zu Sprint Ergebnisse geliefert bekommen und stets volle Transparenz über Status und Fortschritt, gerne mit Tools wie JIRA unterstützt, welcher Manager kann da schon Nein sagen.

Diese Art der Aufnahme von agilen Praktiken in den klassischen Methodenkanon der Planung und Kontrolle hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Missbrauch eines Akkuschraubers als Hammer. Das neue Werkzeug sieht schmuck aus und verleiht den Anschein von Professionalität und Modernität. Es liegt gut in der Hand und befördert den Nagel zügig ins Holz. Doch es bleiben Zweifel, denn so richtig einstellen will sich der von den Beratern und Coaches angepriesene grandiose Nutzen dann doch nicht. Einige ewig-gestrige Zweifler und Bedenkenträger meinen sogar, ihr guter alter Hammer würde ebenso zuverlässig funktionieren.
Auch wenn ein bekannter Buchtitel von Jeff Sutherland verspricht, mit Scrum doppelt so viel in der Hälfte der Zeit zu schaffen (Sutherland, 2019), hat Agilität nicht das Ziel, einen fest definierten Umfang besser und schneller abzuarbeiten. Der Anspruch ist es vielmehr „die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren“, wie es in den Prinzipien hinter dem Manifest für agile Softwareentwicklung heißt. Die kurzen Zyklen und die schnellen Lieferungen dienen nicht dem Projektleiter zur Kontrolle des Fortschritts, sondern der Sache. Sie helfen dem Team in schnell veränderlichen, unsicheren, komplexen und vieldeutigen Situationen empirisch, also durch Erfahrung, zu lernen. Ziel ist es, die richtigen Dinge zu tun oder wenigstens die falschen Dinge so risikoarm wie möglich auszuprobieren und schnell zu erkennen. Agilität stellt sicher, dass die Leiter an der richtigen Wand lehnt und nicht, dass die falsche Wand möglichst schnell gestrichen wird.
We are the Borg. Lower your shields and surrender your ships. We will add your biological and technological distinctiveness to our own. Your culture will adapt to service us. Resistance is futile.
Star Trek: First Contact

Große und traditionsreiche Organisationen verhalten sich ein wenig wie die Borg in Star Trek, jene kybernetischen Organismen, die sich Technologien und Wissen anderer Spezies durch den Prozess der „Assimilation“ einverleiben. Das Neue wird aber nicht zum Zweck einer Transformation eingesetzt, vielmehr bleibt die Struktur der Organisation im Großen und Ganzen unverändert (passend dazu hat das Raumschiff der Borg die Form eines riesigen massiven Würfels). Ziel ist es lediglich, die Fähigkeiten des Kollektivs zu ergänzen und zu perfektionieren. Alles Nützliche wird aufgesogen und integriert und was nicht passt wird passend gemacht. Widerstand ist zwecklos.
So manche agile Transformation entpuppt sich eher als Assimilation einiger agiler Praktiken, ohne die Struktur im Großen infrage zu stellen oder die Wertströme neu und agil zu denken. Ein untrügliches Zeichen dafür ist es, dass bestehende funktional ausgerichtete Abteilungen „agilisiert“ werden. Solche „agilen“ Spezifikationsteams, Testteams, Marketingteams, Securityteams etc. arbeiten dann einfach dieselben Aufgaben wie vorher in Sprints ab. Die Organisation ist dadurch weder anpassungsfähiger noch reaktionsschneller geworden, aber der neue Akkuschrauber liegt gut in der Hand.
Referenzen
Sutherland, J. (2019). Scrum: The art of doing twice the work in half the time. rh Random House Business.
5 Kommentare
Das entspricht nicht ganz meiner Erfahrung.
Die neuen Methoden werden schon in den Arbeitsalltag integriert, aber nur dann nachhaltig, wenn es auch Vorteile bringt. Sonst werden die Methoden nicht angenommen oder abgewandelt. Das entspricht für mich dem agilen Gedanken.
Was ich erlebe ist, dass durch das Kennenlernen ein Denkprozess in Gang kommt. Nach einiger Zeit,sagen wir 2 Jahren, möchten viele Teams von sich aus mehr probieren.
Wichtig ist dann, dass wir dort bei Bedarf unterstützen können.
Fazit für mich: nicht wie die Borg oder wenn, dann wurden sie mit dem Virus infiziert.
Lieber Marco, wenn wirklich ein Lernprozess in Gange kommt und dieser alle Ebenen der Organisation erfasst, dann kann das tatsächlich ein guter Start sein. Leider bleibt der Prozess oft auf Teamebene beschränkt und verläuft dann im Sand. Schnell sind wir dann bei dem was ich zuletzt als grausamen Optimismus der Agilität beschrieben habe.
Hallo Marcus,
so manche? Wenn man sich soziale Systeme und deren Rückschwingverhalten bei Veränderungen und Selbsterhaltungstriebe genau anschaut, dann ist Assimilation der Borg eine treffende Analogie für die allermeisten Veränderungsprozesse in Unternehmen und auch Gesellschaften.
Und nebenbei werden sie bestätigt durch Kommentare wie den vorherigen, der annimmt, dass die Veränderung lediglich in den Teams und mit Methoden stattfindet. Inzwischen weiß ich, dass man in solchen Unternehmen das Team gar nicht unbedingt weiterentwickeln sollte – es bringt nur unnötige Reibung, da einzelne Menschen plötzlich entdecken, dass es besser geht und dann Erwartungen entwickeln, die das Unternehmen nicht erfüllen kann.
Es muss erst richtig weh tun. Leider ist es dann oft schon zu spät.
Daher meine Frage an dich: Sollte man die Arbeit dann nicht in vielen Fällen eher Sterbebegleitung nennen? ;-)
Lieber Michael, auch wenn es zynisch klingt (und sich vermutlich nicht gut verkauft), trifft es “Sterbebegleitung” doch ganz gut. Ich denke auch dass die Transformation wenigstens teilweise aus vergehen und dann neu entstehen besteht.
Die Organisation wehrt sich prinzipiell immer gegen dein „Eindringling“. Ist grundsätzlich nicht geklärt und auch von den meisten Spielern akzeptiert, daß es eine neue Regelung gibt… Wird eher Beharrung & Abstoßung der Fall sein. Noch schlimmer kann es es vorkommen, wenn nur Teile der Organisation sich auf eine andere Arbeitsweise einstimmen, damit aber bei Schnittstellen in der Organisation für Irritationen sorgen – welche in den meisten Fällen die Vorgehensweise eher behindern, als fördern.