Was haben User Stories, Story Points und Objective & Key-Results (OKR) gemeinsam? Die offensichtliche Antwort, dass alle drei irgendwas mit Agile zu tun haben, ist selbstverständlich zu einfach und zählt nicht. Und nein, ich betreibe hier auch kein billiges SEO mit diesen Schlagworten im ersten Satz dieses Artikels. Es geht vielmehr um ein gemeinsames Missverständnis bei der Anwendung dieser Methoden. Dieses Missverständnis besteht im Wesentlichen in der Reduktion der Methode auf das jeweilige Artefakt, obwohl die gemeinsame Erarbeitung viel wichtiger ist als die jeweiligen Ergebnisse. Die geschriebene User Story, die geschätzten Story Points oder die fertigen OKRs sind nur die Manifestationen des gemeinsamen Verständnisses. Der Weg ist das Ziel.
Das Versprechen einer Unterhaltung
Alstair Cockburn beschrieb die User Story als das Versprechen einer Unterhaltung („A user story is a promise for a conversation“). Deshalb lautet eines der drei Cs für gute User Stories von Ron Jeffries auch Conversation. Eine User-Story war nie als Mini-Spezifikation gedacht, sondern soll mit dem begrenzten Platz auf einer Karteikarte oder einer Haftnotiz auskommen (Card als weiteres C bei Ron). Das Ziel ist also nicht die User-Story geschrieben zu haben, sondern der Prozess der damit einhergehenden Klärung, was gemeint sein könnte und wie das am besten umgesetzt werden sollte. Die Notizen sind dann nur die Gedankenstützen für das Team.
Der Wert einer Schätzung
Eine der bekanntesten Methoden zur Schätzung von User-Stories ist Planning-Poker. Dabei bekommt jedes Teammitglied einen Satz von Pokerkarten mit den Zahlen für sogenannte Story-Points, die sich meistens an der Fibonnacci-Folge mit ihrer zunehmenden Spreizung der Abstände ausrichten, beispielsweise 0, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, oft ergänzt um eine Karte für „keine Ahnung“ und einer Karte für „Pause“. Nach der Vorstellung der zu schätzenden User-Story durch den Product-Owner wählt jedes Teammitglied verdeckt die Zahl, die am besten die Komplexität dieser Story widerspiegelt (das funktioniert umso besser, je mehr solcher Stories das Team schon geschätzt und umgesetzt hat, da diese dann als Referenz dienen für diese Art des relativen Schätzens). Anschließend decken alle gleichzeitig ihre Karten auf. Meistens gibt es bei den Schätzungen Ausreißer nach unten oder oben und genau für die ist es wichtig, die Annahmen oder auch Befürchtungen dahinter im Team zu besprechen. Nach dieser Phase der Klärung wird die Schätzung und ggf. auch die Klärung wiederholt. Typischerweise konvergieren die Zahlen mit jeder Iteration besser.
Der Zweck von Planning-Poker (und verwandten Methoden zur Schätzung) ist nur zu einem kleinen Teil die tatsächliche Anzahl der Story-Points, sondern die Unterhaltung die zu ihrer Ermittlung und zur Einigung darüber notwendig ist. Das Schätzen selbst ist nur ein möglicher strukturierter Prozess, um die von Ron Jeffries und Alstair Cockburn geforderte Unterhaltung zu einer User-Story zu führen.
Der Weg zu den Zielen
Die Methode Objectives & Key Results, entstand in den 1970er-Jahren unter Andy Grove bei Intel. Richtig in Mode kam OKR aber erst als John Doerr diese Art der Zielsetzung 1999 bei Google einführte, wo sie bis heute konsequent angewendet wird. Grundsätzlich helfen OKRs (wie auch der Vorläufer „Management by Objectives“) bei der Ausrichtung einer Organisation und ihrer Mitarbeiter auf gemeinsame Ziele. Im Fall von OKRs werden diesen Ziele beschrieben durch qualitative und ambitionierte Objectives mit jeweils einigen wenigen Key-Results, die qualitative Indikatoren für Fortschritt in Bezug auf des jeweiligen Ziels darstellen.
Wie bei User-Stories und ihren Schätzungen, laufen auch OKRs Gefahr, auf eben dieses Ergebnis, also das möglichst stimmige und vollständige Rahmenwerk mit entsprechend der Methode formulierten Zielen, reduziert zu werden. Viel entscheidender ist aber der Prozess der gemeinsamen Definition und Erarbeitung der Objectives und Key-Results auf allen Ebenen. Es macht einen riesigen Unterschied, ob Ziele klassisch top-down kommuniziert und kaskadiert werden oder ob sie gemeinsam im Wechselspiel zwischen top-down und bottom-up erarbeitet und abgestimmt werden. In beiden Fällen wird es am Ende ein mehr oder weniger stimmiges Rahmenwerk an Zielen auf den verschiedenen Ebenen geben, Commitment und Ownership gibt es aber nur mit Involvement. Der Weg ist das Ziel. Genau deshalb hieß es schon in der ursprünglichen Präsentation von John Doerr bei Google 1999, dass mindestens 60% der Objectives bottom-up entstehen müssen (aus diesem Workshop von Rick Klau):
Welche weiteren Beispiele für Missverständnisse dieser Art fallen euch ein? Wo sonst führt die Fixierung auf das Ergebnis dazu, dass der alles entscheidende Prozess der Erarbeitung abgekürzt wird.
Ein Kommentar
Ihr Artikel über die Wichtigkeit des Prozesses in agilen Methoden ist ein wahrer Augenöffner! Die Beispiele, die Sie genutzt haben, verdeutlichen die essentielle Rolle, die der Prozess in der Agilität spielt, sowohl im Kontext von User Stories als auch bei der Planung von Poker und OKRs. Durch die Betonung, dass „Der Weg das Ziel ist“, haben Sie ein wichtiges Element im Projektmanagement hervorgehoben. Das erinnert mich daran, wie wertvoll es ist, den Prozess als zentralen Aspekt jeder Projektmanagement Zertifizierung zu berücksichtigen, wie die angeboten von der Projektforum Rhein Ruhr GmbH. Ich frage mich, ob es möglich wäre, die hier diskutierten Prinzipien in die Ausbildung und Förderung von Projektmanagern bei solchen Zertifizierungsprogrammen zu integrieren? Es wäre interessant zu erfahren, wie diese Methoden konkret in den Kursen angewendet werden könnten, um den Lernprozess noch effektiver zu gestalten.