Das Motto unseres Bauträgers lautet »Vertrauen erleben«. Es trifft einen entscheidenden Punkt: es geht in Projekten um Vertrauen – nicht nur in der Baubranche. Darum eignet sich dieses Motto sehr gut als Maxime für das Stakeholdermanagement. Vertrauen ist eine Beziehungsgröße. Es wird durch das Verhalten der in Beziehung stehenden Parteien aufgebaut oder verspielt. In jeder neuen Beziehung ist Vertrauen zunächst eine unbewiesene Hypothese. Es wird laufend auf die Probe gestellt: Es muss sich erst zeigen, ob und inwieweit vertraut werden kann. Man muss und man will »Vertrauen erleben«, um vertrauen zu können.
Dass Anspruch und Realität bei unserem Bauträger – Motto hin, Motto her – nicht deckungsgleich sind, habe ich bereits ausführlich beschrieben. Wir sind mit einem gewissen Grundvertrauen in die Geschäftsbeziehung mit unserem Bauträger gegangen: Das Vertrauenskonto unserer Beziehung hatte ein hohes Guthaben. Probleme die uns während des Baus auffallen, wie beispielsweise die Dachrinne an der falschen Stelle, bringen einen Teil des Guthabens zunächst in Gefahr (links in der Grafik mit gelb angedeutet). Ob die Gefährdung tatsächlich zu einer Abhebung auf dem Vertrauenskonto wird, hängt nun ganz von der Reaktion seitens der Projektleitung ab. Wenn ich als Kunde das Gefühl habe, dass meine Anfrage lästig ist, nicht ernst genommen und verschleppt wird, werde ich Vertrauen verlieren und zwar noch mehr als durch das ursprüngliche Problem schon gefährdet war (in der Mitte der Grafik mit rot dargestellt). Wenn ich umgekehrt prompte und kompetente Antwort erhalte, meine Bedenken ernst genommen werden und die Lösung professionell und zufriedenstellend erfolgt, kehrt ein Teil des gefährdeten Vertrauens zurück (rechter Balken in der Grafik), wird gefestigt und wächst vielleicht sogar über das ursprüngliche Niveau hinaus.
Je nachdem wie ein Stakeholder einem Vorhaben gegenüber eingestellt ist, weist das entsprechende Vertrauenskonto einen positiven (oder negativen) Wert auf. Diesen Wert muss man als Projektleiter jederzeit so gut wie möglich kennen. Jede lästige Anfrage, jedes Problem, jede Interaktion mit einem Stakeholder ist eine Chance, Vertrauen zu festigen oder aufzubauen, aber auch ein Risiko, Vertrauen zu verlieren.
Leider kann ich den Kontostand des Vertrauenskontos nicht einfach abfragen wie bei meinem Bankkonto. Und leider sind Interaktionen mit Stakeholdern nicht mit einem Vertrauenspreisschild gekennzeichnet, das mir die Auswirkungen auf den Kontostand deutlich zeigt. Es muss zwischen den Zeilen gelesen werden. Als Projektleiter braucht man Erfahrung und Intuition, um ein Gefühl für den Kontostand und eventuelle Gefährdungen zu entwickeln.