Lebensführung statt Selbstmanagement

Kann oder muss man sich selbst mana­gen? Und wenn ja: wie viel?

Unse­re Zeit ist begrenzt und der Zweck unse­res Dasein unklar. Selbst ein objek­ti­ver Maß­stab für ein sinn­vol­les und erfüll­tes Leben ist uns post­mo­der­nen Men­schen abhan­den gekom­men: vie­le Maß­stä­be sind denk­bar und akzep­tiert. Der Weg­fall gesell­schaft­li­cher oder reli­giö­ser Zwän­ge und Wert­vor­stel­lung ist befrei­end und belas­tend glei­cher­ma­ßen: »Der Mensch ist zur Frei­heit ver­ur­teilt.« (Jean-Paul Satre)

Wir dür­fen die Wei­chen in unse­rem Leben in nie gekann­ter Wei­se selbst stel­len – wir müs­sen es auch, wenn wir die Zufrie­den­heit eines selbst­be­stimm­ten Lebens anstre­ben. Frag­lich nur: kön­nen wir das auch? Und die­se Fra­ge des Kön­nens bil­det für mich den Kern jedes Ver­suchs des Selbstmanagements.

Ein Groß­teil der Rat­ge­ber­li­te­ra­tur zur Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und zum Zeit­ma­nage­ment beschäf­tigt sich aller­dings mit die­ser Ebe­ne gar nicht, son­dern nur mit der effi­zi­en­ten Bewäl­ti­gung der anfal­len­den Auf­ga­ben. Ohne einen – wohl­ge­merkt: selbst zu defi­nie­ren­den – Maß­stab für die Sinn­haf­tig­keit bleibt der Mensch aber Spiel­ball sei­ner Umwelt, der zwar nach die­sen Opti­mie­run­gen des Zeit­ma­nage­ments etwas run­der rollt, aber noch lan­ge nicht selbst­be­stimmt und zufrie­den. Es gibt stets mehr zu tun, als getan wer­den soll­te. Erst der Maß­stab schafft die Mög­lich­keit zu prio­ri­sie­ren und damit Raum für die selbst­be­stimm­te Ver­fol­gung der eige­nen Ziele.

Dort wo Rat­ge­ber die Ebe­ne des eige­nen Maß­stabs und der eige­nen Wer­te den­noch strei­fen, wer­den Wer­te­py­ra­mi­den auf­ge­stellt, Lebens­zie­le SMART for­mu­liert und in Teil­zie­le je Zeit­pe­ri­ode zer­legt. Mit ande­ren Wor­ten die Über­tra­gung des frag­wür­di­gen Prin­zips »Manage­ment by objec­ti­ves« auf das eige­ne Leben. Man ersetzt also die weg­ge­fal­le­nen äuße­ren Zwän­ge durch selbst­ge­wähl­te und selbst zu kon­trol­lie­ren­de und macht im Übri­gen genau­so wei­ter wie bis­her: Auf­ga­ben effi­zi­ent abarbeiten.

Hoch­ach­tung für jeden, der sei­ne Lebens­zie­le der­art for­mu­lie­ren kann und will, dass sie die­sem Sys­tem zugäng­lich sind, »allein mir fehlt der Glaube.«

You can’t con­nect the dots loo­king for­ward; you can only con­nect them loo­king back­wards. So you have to trust that the dots will somehow con­nect in your future. You have to trust in some­thing — your gut, desti­ny, life, kar­ma, whatever.

Ste­ve Jobs

Ste­ve Jobs hörens­wer­te (und lesens­wer­te) Rede 2005 in Stan­ford ist ein Lob­lieb auf die Intui­ti­on. Eine Fähig­keit, die in unse­rer von ziel­ge­rich­te­ter Ratio­na­li­tät beherrsch­ten Welt lei­der viel zu wenig bewuss­ten(!) Raum ein­nimmt (vgl. das aus­ge­zeich­ne­te Buch Feel It! von Andre­as Zeuch).

Anstatt SMAR­Ter Lebens­zie­le bevor­zu­ge ich eher Lebens­vi­sio­nen. Vie­les ist mög­lich und das meis­te davon erah­nen wir nicht ein­mal ansatz­wei­se. Bei mir waren aus­nahms­los alle wich­ti­gen Ereig­nis­se und Ent­wick­lun­gen der letz­ten Jah­re nicht vor­her­seh­bar oder plan­bar. Immer waren es Chan­cen, Gedan­ken oder Ideen, die ich span­nend fand, neu­gie­rig ver­folg­te oder von denen ich mich mit­rei­ßen ließ im Ver­trau­en dar­auf, dass die Punk­te sich rück­bli­ckend sinn­voll ver­bin­den wür­den. Das taten sie auch, jeweils in einer Wei­se, die nie­mals plan­bar gewe­sen wäre.

In the beg­in­ner’s mind the­re are many pos­si­bi­li­ties. In the exper­t’s mind the­re are few.

Shun­ryu Suzuki

Anstatt lang­fris­ti­ger Plä­ne bevor­zu­ge ich kind­li­che Neu­gier, Acht­sam­keit und Ver­trau­en in die Intui­ti­on. Das sind mei­ner Mei­nung nach die Kern­kom­pe­ten­zen der Lebens­füh­rung in einer Zeit, in der »nor­mal ist, dass vie­les anders ist und immer schnel­ler anders wird« (Karl-Heinz Geiß­ler). Ohne Expe­ri­men­tier­freu­de und Acht­sam­keit für den glück­li­chen Zufall (Seren­di­pi­ty) wer­den wir unser Poten­ti­al nicht voll ent­fal­ten kön­nen, 5‑Jahres Plä­ne und Lebens­zie­le hin oder her. Denn weder ken­nen wir unser Poten­ti­al genau genug noch kön­nen wir vor­her­sa­gen wel­che Chan­cen sich uns bie­ten wer­den. Wir kön­nen nur Gele­gen­hei­ten schaf­fen indem wir vie­les ver­su­chen, neu­gie­rig und achtsam.

Your time is limi­t­ed, so don’t was­te it living someone else’s life. Don’t be trap­ped by dog­ma — which is living with the results of other peo­p­le’s thin­king. Don’t let the noi­se of others‘ opi­ni­ons drown out your own inner voice. And most important, have the cou­ra­ge to fol­low your heart and intui­ti­on. They somehow alre­a­dy know what you tru­ly want to beco­me. Ever­y­thing else is secondary.

Ste­ve Jobs

Bild­nach­weis: Das Arti­kel­bild wur­de von Jor­dan Lan­ge­lier auf Wiki­me­dia unter einer Crea­ti­ve-Com­mons Lizenz (CC BY-SA 3.0) ver­öf­fent­licht.



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16 Kommentare

Wolfgang Hamm 12. September 2012 Antworten

Anstatt lang­fris­ti­ger Plä­ne bevor­zu­ge ich“ mir die Fra­ge „Wel­cher Schritt ist der ange­mes­se­ne auf mei­nem Weg zu einem erfüll­ten Leben?“ zu stel­len. Mit erfüll­tem Leben ist dabei nicht etwa ein in fer­ner Zukunft lie­gen­der Zustand gemeint, nicht die berüch­tig­te Auf­ga­be „Schrei­ben Sie Ihre Grab­re­de, auf was wol­len Sie dann zurück­bli­cken“, um dann zu ent­schei­den was zu tun sei. Mei­ne Fra­ge bezieht sich auf mein Leben im hier und jetzt, am heu­ti­gen Tag, ich will jetzt ein erfüll­tes Leben, nicht eine unge­wis­se Vorraus­schau, denn auch jeg­li­che Ziel­de­fi­ni­ti­on ist letzt­lich nicht mehr als dies. Gleich­gül­tig ob Selbst‑, Zeit- oder Anti­zeit­ma­nage­ment: alles krankt an der Über­la­ge­rung der nütz­li­chen Werk­zeu­ge (ich bevor­zu­ge GTD) durch unsin­ni­ge Ziel­de­fi­ni­tio­nen und For­de­rung das „rich­ti­ge“ Sys­tem zu über­neh­men, dann wür­de es schon gelin­gen. Men­schen sind kei­ne Maschi­nen, ein Sys­tem muss sich dem Men­schen anpas­sen, ihm und sei­nen (Arbeits-)Bedingungen gerecht wer­den, ihn situa­tiv hand­lungs­fä­hig machen, star­re Zie­le sind da hinderlich.

Marcus Raitner 15. September 2012 Antworten

Vie­len Dank für Dei­nen Kom­men­tar! Die unsäg­li­che „Grab­re­de“ habe ich tat­säch­lich schon wie­der ver­drängt. Es ist sehr schön zu lesen, dass ich mit mei­nen Über­le­gun­gen (und sogar mit den nütz­li­chen Tools: ich bevor­zu­ge auch GTD) nicht allein dastehe.

Gregor Heilmaier 12. September 2012 Antworten

Ein Plä­doy­er für das bewuss­te Zulas­sen der Intui­ti­on – groß­ar­tig. Und wer ein „Sys­tem“ braucht: Intui­ti­on ist der Start­punkt allen Schaf­fens, erst dann set­zen Manage­ment­sys­te­me (ob Zeit‑, Selbst- oder Was-auch-immer-Manage­ment) an und unter­stüt­zen dabei, das intui­tiv erfah­re­ne zur Umset­zung – sprich: in die Wirk­lich­keit, ins Hier und Jetzt – zu bringen. 

Das eine ist der Mana­ger und Ver­wal­ter, er steu­ert auf ein gesetz­tes Ziel hin. Das ande­re aber ist die mit­tels Intui­ti­on geschaf­fe­ne Visi­on, der Aus­gangs­punkt oder die Quel­le des eige­nen, per­sön­li­chen Sinn des Lebens.

Soviel für heu­te, einst­wei­len wün­sche ich: Gute Nacht!

Marcus Raitner 15. September 2012 Antworten

Dan­ke für Dei­nen Kom­men­tar! Dem kann ich nur zustim­men. Wir haben intui­ti­ves Han­deln lei­der stark ver­lernt zuguns­ten ratio­na­len Han­delns. Ich kann nur noch­mals das Buch Feel It! von Andre­as Zeuch empfehlen.

Bernhard Schloß 20. September 2012 Antworten

Also die Kunst liegt in mei­nen Augen in der Ver­bin­dung der Ebe­nen: Die eige­nen Wer­te und Visio­nen mit „smar­ten“ Ziel­de­fi­ni­tio­nen zu unter­mau­ern. Die Zie­le sind dabei nicht unum­stöss­lich und müs­sen sowohl vor dem Hin­ter­grund der eige­nen Wer­te und Visio­nen hin­ter­fragt wer­den, als auch vor dem täg­li­chen Strom von Gele­gen­hei­ten mit dem wir kon­fron­tiert sind. Ich nut­ze für mich sel­ber in Anleh­nung an GTD neben mei­ner Inbox/Aufgabenliste, ein Pro­jekt­port­fo­lio (statt einer Pro­jekt­lis­te) und dahin­ter ein Ziel­sys­tem, wobei ich die Zie­le regel­mä­ßig hin­ter­fra­ge und im wöchent­li­chen Review sicher­stel­le, dass jedes Ziel sich auch in mei­nen aktu­el­lem Auf­ga­ben wie­der findet.

Marcus Raitner 21. September 2012 Antworten

Wir sind uns einig, dass es Leit­li­ni­en und Visio­nen zur gro­ben Ori­en­tie­rung braucht. Ich ver­ste­he auch das Bedürf­nis aus­ge­hend von die­ser abs­trak­ten Ebe­ne kon­kre­ter zu wer­den und fei­ne­re Zie­le zu defi­nie­ren. Für mich ist das aber schon ein wenig zu viel Struk­tur. Klar habe ich auch mei­ne Pro­jekt­lis­te und agie­re mehr oder weni­ger nach GTD, aber kein Ziel­sys­tem dahin­ter. Wenn Du so willst dann sind Pro­jek­te die Zie­le: Das sind The­men­ge­bie­te um die ich mich jeden­falls im Moment küm­me­re. Und das kann dann rela­tiv fein wer­den: z.B. ist openPM unter­teilt in openPM:Marketing, openPM:Verein und openPM:Inhalte.

Martin Bartonitz 11. Dezember 2012 Antworten

Lie­ber Marcus,
Dan­ke für die­sen wich­ti­gen Arti­kel. Er könn­te auch gut auf dem Blog der gera­de neu auf den Weg gebrach­ten „Initia­ti­ve Wirt­schafts­de­mo­kra­tie pas­sen. Hast Du Inter­es­se, pas­sen­de Dei­ner Arti­kel auch dort als Autor mit zu veröffentlichen?
VG Martin

Marcus Raitner 11. Dezember 2012 Antworten

Lie­ber Mar­tin, dan­ke für Dei­nen Kom­men­tar und die Ein­la­dung auf dem Blog Initia­ti­ve Wirt­schafts­de­mo­kra­tie Arti­kel zu ver­öf­fent­li­chen. Prin­zi­pi­ell kann ich mir gut vor­stel­len, Arti­kel die hier schon erschie­nen sind dort zusätz­lich in abge­wan­del­ter Form mit Link zurück auf mein Blog zu ver­öf­fent­li­chen. War das Dei­ne Vorstellung?

Martin Bartonitz 12. Dezember 2012 Antworten

Ja, das wäre pas­send. VG Martin

Roland Dürre 1. Januar 2013 Antworten

Glau­be mitt­ler­wei­le beim eige­nen Leben auch mehr an die Intui­ti­on denn an das „Mana­gen“. :-)

tural 23. Februar 2013 Antworten

Ich gehe davon aus, dass Sie auch im Berufs­le­ben auf die Intui­ti­on rege zurück­grei­fen, soweit ich Ihre Twitts ver­fol­gen kann. 

Sie ist m.E. ein wich­ti­ger Bestand­teil der Führung.

Marcus Raitner 23. Februar 2013 Antworten

Rich­tig: Auch im Berufs­le­ben ist Intui­ti­on wich­tig für mich.

Eckart Beutel 2. Januar 2013 Antworten

Dan­ke für die­sen klu­gen, dif­fe­ren­zie­ren­den und daher wei­sen Auf­satz. Die eigent­li­che Fra­ge ist doch: Wie viel Frei­heit hal­te ich bzw. mein Leben (damit ist mein sozia­les Umfeld ein­ge­schlos­sen) aus? Wie viel Ver­trau­en in das Leben kann ich auf­brin­gen, ohne mich in Reli­gi­on zu ver­stri­cken? Was kann da nicht alles zur Reli­gi­on wer­den – sogar GTD ;-)).

Marcus Raitner 2. Januar 2013 Antworten

Dan­ke, Eck­art, für Dei­ne inter­es­san­ten Gedan­ken. Natür­lich ist das Ver­trau­en in das Leben und die eige­ne Intui­ti­on eine Lebens­phi­lo­so­phie, zur Reli­gi­on fehlt das (mei­ner beschei­de­nen Agnos­ti­ker-Mei­nung nach) aber schon noch eini­ges. Kei­nes­falls möch­te ich mei­nen Arti­kel als dog­ma­tisch oder gar mis­sio­na­risch ver­stan­den wis­sen, aber so war Dein Kom­men­tar wohl auch nicht gemeint.

rainwebs 10. Februar 2013 Antworten

Wer traut sich, auch GTD noch weg­zu­las­sen, das sel­ber wie­der ein Sys­tem ist? Will sagen, daß intui­ti­ves Vor­ge­hen kein sol­ches Sys­tem braucht. Was nicht heißt, daß auch ein für den eige­nen Schaf­fens­raum ent­wi­ckel­tes Vor­ge­hen ein Werk­zeug ein­set­zen kann. Aber eben nur das Werk­zeug, nicht den Glau­bens­satz, der ger­ne damit ver­bun­den wird ;-).

Wie wäre es also mit einem GTI – Get­ting things intuitive

Marcus Raitner 11. Februar 2013 Antworten

Ein wich­ti­ger Kom­men­tar. Dan­ke, Rai­ner. Genau­so möch­te ich den Ein­satz von GTD auch ver­stan­den wis­sen: Als hilf­rei­ches Werk­zeug und nicht dog­ma­tisch. Es hilft mir ein­fach den Über­blick zu behalten.

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