Was fehlt: agile@school

Gele­gent­lich habe ich die Ehre, im Rah­men der Initia­ti­ve Infor­ma­tik stu­die­ren! der Ernst Den­ert Stif­tung für Soft­ware Engi­nee­ring als Infor­ma­tik­bot­schaf­ter Gym­na­si­en in und um Mün­chen zu besu­chen. Ziel der Besu­che ist es, Schü­le­rin­nen und Schü­ler über die viel­fäl­ti­ge Tätig­keit eines Infor­ma­ti­kers in der Pra­xis zu infor­mie­ren und sie so für ein Infor­ma­tik­stu­di­um zu gewin­nen, um damit dem all­ge­gen­wär­ti­gen Fach­kräf­te­man­gel in der IT ent­ge­gen­zu­wir­ken. Neben­bei gewährt mir das auch Ein­blick in den Zustand baye­ri­scher Gym­na­si­en im All­ge­mei­nen und die Lehr­plä­ne der Infor­ma­tik im Beson­de­ren. In unschö­ner Regel­mä­ßig­keit des­il­lu­sio­nie­ren und betrü­ben mich die­se Besu­che aber. Die Ver­wahr­lo­sung der Gebäu­de und des Lehr­ma­te­ri­als kor­re­spon­diert lei­der recht gut mit den über­kom­me­nen Inhalten.

In der elf­ten Klas­se, so habe ich vor mei­nem letz­ten Besuch erfreut erfah­ren, steht die Durch­füh­rung eines Soft­ware­pro­jekts auf dem Lehr­plan. Das liest sich dann so: 

Die Schü­ler sys­te­ma­ti­sie­ren und ver­tie­fen am kon­kre­ten Bei­spiel ihre Kennt­nis­se über die ver­schie­de­nen Schrit­te bei der Pla­nung und Durch­füh­rung eines Soft­ware­pro­jekts. Zur Koor­di­nie­rung par­al­le­ler Arbeits­grup­pen nut­zen sie das Semaphorprinzip.

Quel­le: Staats­in­sti­tut für Schul­qua­li­tät und Bil­dungs­for­schung München

Rand­no­tiz: Das Sema­phor­prin­zip ist ja durch­aus wich­tig auf der Ebe­ne von Daten­struk­tu­ren zur Syn­chro­ni­sa­ti­on von Pro­zes­sen, aber zur Koor­di­na­ti­on von Arbeits­grup­pen? Das kann nicht ernst gemeint sein. 

Blei­ben wir aber beim Soft­ware­pro­jekt. Schön jeden­falls, dass die Schü­ler ganz prak­tisch im Team ein Pro­jekt durch­füh­ren. Dazu steht dann im Lehrplan: 

Pro­jekt­pla­nung: Ziel­set­zung, Arbeits­tei­lung, Arbeits­grup­pen und deren orga­ni­sa­to­ri­sche Schnitt­stel­len, Ablauf mit Zwi­schen­er­geb­nis­sen (Mei­len­stei­nen)

Pha­sen der Soft­ware­ent­wick­lung: Ana­ly­se mit Erstel­lung des Pflich­ten­hefts, Ent­wurf, Imple­men­tie­rung, Test, Bewer­tung und Abnahme

Quel­le: Staats­in­sti­tut für Schul­qua­li­tät und Bil­dungs­for­schung München

Was im Lehr­plan lei­der mit kei­nem Wort erwähnt wird sind Alter­na­ti­ven zu dem klas­si­schen Was­ser­fall-Modell. Oder über­haupt eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung damit. Nie­mand in die­ser 11. Klas­se Infor­ma­tik kann­te Scrum oder ande­re agi­le Ansät­ze. Oder auch nur die viel­fäl­ti­gen Pro­ble­me des Was­ser­fall-Modells. Jeden­falls vor mei­nem Besuch.

Ich fin­de es äußerst befremd­lich, dass das klas­si­sche Was­ser­fall-Modell qua­si als Stan­dard gelehrt wird. Und das obwohl bei­spiels­wei­se Scrum weder schwie­rig zu erklä­ren noch schwie­rig zu ver­ste­hen ist. In weni­ger als 30 Minu­ten konn­te ich das Kon­zept so ver­mit­teln, dass sie es in ihrem Soft­ware­pro­jekt nun anwen­den kön­nen und wol­len. Sicher nicht per­fekt, aber dar­um geht es nicht. Son­dern dar­um sich auch und gera­de in agi­lem Vor­ge­hen zu üben. Prak­tisch rele­vant ist Scrum jeden­falls min­des­tens eben­so wie das Was­ser­fall-Modell. Hof­fent­lich noch mehr, wenn die­se Schü­ler ech­te Soft­ware­pro­jek­te machen.

Viel­leicht brau­chen wir nicht nur die Initia­ti­ve Infor­ma­tik stu­die­ren!, son­dern eine Initia­ti­ve „agile@school“, bei der Prak­ti­ker der agi­len Vor­ge­hens­wei­sen den Schü­lern ergän­zend zum Lehr­plan Scrum erklä­ren und sie viel­leicht sogar bei der Durch­füh­rung des Soft­ware­pro­jekts coa­chen. Jeden­falls solan­ge bis agi­le Vor­ge­hens­wei­sen und Orga­ni­sa­ti­ons­for­men gleich­be­deu­tend mit den klas­si­schen Was­ser­fall-Modell Ein­gang in den Lehr­plan fin­den. Das hät­te für mich durch­aus Charme und gro­ßes Poten­ti­al, die Art und Wei­se wie zukünf­tig Soft­ware­pro­jek­te durch­ge­führt wer­den zu verbessern. 

(Bild­nach­weis: Das Arti­kel­bild wur­de von She­zamm unter dem Titel „School Bus – 365 20-10-2011“ auf Flickr unter einer Crea­ti­ve Com­mons Lizenz (CC BY-SA 2.0) ver­öf­fent­licht.)



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8 Kommentare

Roland Dürre 16. Mai 2013 Antworten

Lie­ber Mar­cus, sechs mei­ner Kin­der haben in Otto­brunn Abitur gemacht, das sie­ben­te mach­te es (hof­fent­lich) dort noch. Lei­der hast Du aber Recht, die deso­la­te Gebäu­de­si­tua­ti­on in Otto­brunn ist eine trau­ri­ge Meta­pher wie Bil­dung und Aus­bil­dung in Deutsch­land begin­nen zu ver­kom­men und zeigt wie nied­rig die The­men auch in der Poli­tik ange­sie­delt sind.

Ich ken­ne aber auch wei­te­re Gym­na­si­um ganz gut. Und Otto­brunn ist da bei den Din­gen jen­seits des Gebäu­des bei wei­tem nicht das schlechteste! 

Bei der GPM gibt es übri­gens einen eige­nen Gym­na­si­um-Beauf­trag­ten. Die von Dir erwähn­te Auf­ga­be könn­te ja in des­sen Res­sort fallen. 

In mei­nen Vor­trä­gen „fra­ge ich“ auch ger­ne „Begrif­fe ab. Ich war zwei­mal sehr befrem­det, dass kei­ner der Schü­ler einer Ober­stu­fen­klas­se wuss­te, was ein „bar­camp“ ist. Und bei Vor­trä­gen an Unis gin­ge es mir genauso. 

Und wenn Stu­den­ten Begrif­fe wie „agil“ oder „bar­camp“ nicht ken­nen, dann mache ich mir auch so mei­ne Gedanken.

Marcus Raitner 16. Mai 2013 Antworten

Dan­ke Roland. Offen­bar hast Du ähn­li­che Beob­ach­tun­gen gemacht. Otto­brunn ist sicher­lich kein schlech­tes Gym­na­si­um. Es ist mehr das Bil­dungs­sys­tem an sich, das mir sehr maro­de und rück­stän­dig vor­kommt. Ich bin ganz Dei­ner Mei­nung, dass die Poli­tik hier die Prio­ri­tä­ten nicht rich­tig setzt. Ich hat­te auch schon Mal die Freu­de eine Pri­vat­schu­le zu besu­chen: da merkt man einen deut­li­chen Unter­schied in der Aus­stat­tung und auch an der Rei­fe und dem Inter­es­se der Schü­le­rin­nen und Schü­ler. Es geht also. Alles nur eine Fra­ge des Gel­des, das unser Staat offen­bar lie­ber woan­ders ein­setzt. Das pran­ge­re ich an.

Jens Hoffmann 17. Mai 2013 Antworten

1987 habe ich das mathe­ma­tisch-natur­wis­sen­schaft­li­che Vis­car­di Gym­na­si­um in Fürs­ten­feld­bruck abge­schlos­sen, was mich natür­lich sofort zu einem Exper­ten für die­ses The­ma macht. Dane­ben habe ich 2 Kin­der im schul­pflich­ti­gen Alter in Ham­burg, was mich zu einem Betrof­fe­nen macht :-)

In Ham­burg möch­te man jetzt noch einen Schritt wei­ter zurück­ge­hen und den Infor­ma­tik­un­ter­richt redu­zie­ren, sowie die Infor­ma­tik­stel­len an der Uni stark redu­zie­ren. Soweit zum Inno­va­ti­ons­stand­ort Deutschland.

Auf der letz­ten Lego Idea Con­fe­rence war ein span­nen­den­der Vor­trag von Uffe Elbaek, dem Grün­der der KAOSPILOTEN Uni­ver­si­tät. Sei­ne Moti­va­ti­on die KAOSPILOTEN zu grün­den war, jun­gen Men­schen das Hand­werks­zeug und die Erfah­run­gen zu ver­mit­teln, etwas sel­ber auf die Bei­ne zu stel­len. Also sie dazu befä­hi­gen, Jobs zu erschaf­fen, anstatt sie in Scha­blo­ne für Jobs zu pres­sen, die nicht mehr exis­tie­ren, wenn sie dann in das Berufs­le­ben treten.

Aus mei­ner Sicht soll­ten Schu­len, all­ge­mein­gül­ti­ge Grund­la­gen und Prin­zi­pi­en ver­mit­teln. Für das The­ma Projekte/Vorhaben etc. bedeu­tet das für mich, dass sie nicht kon­kre­te Vor­ge­hens­mo­del­le wie Was­ser­fall, SCRUM etc. unter­rich­ten soll­ten, son­dern die zugrun­de­lie­gen­den Kern­auf­ga­ben wie Ziel­be­stim­mung, Akti­vi­täts­fluss, Ent­schei­dungs­fin­dung etc. in den Vor­der­grund stel­len sollten.

Marcus Raitner 17. Mai 2013 Antworten

Dan­ke, Jens! Ein sehr schö­ner Ansatz das Ver­mit­teln von Grund­la­gen und Prin­zi­pi­en anstatt Koch­re­zep­ten die spä­tes­tens nach der Schul­lauf­bahn ver­al­tet sein wer­den. Zwar glau­be ich, dass das leich­ter am kon­kre­ten Bei­spiel geht, d.h. Was­ser­fall aus­pro­bie­ren und reflek­tie­ren, Scrum pro­bie­ren und reflek­tie­ren usw. Dar­um ging es mir letzt­lich. Mich stört es, dass nur ein ein­zi­ge Koch­re­zept (und dann noch dazu ein mit­tel­mä­ßi­ges) unhin­ter­fragt ange­wen­det wird.

tural 6. Juni 2013 Antworten

Lie­ber Roland Dür­re, mein ein­zi­ges Kind (ich war nicht so flei­ßig wie Sie!) kam in Otto­brunn zur Welt. Otto­brunn verbindet!
Die Idee von Mar­cus Rai­ter für “agile@school” fin­de ich klas­se. Bern­hard Schloß hat ja bereits eini­ge Ideen in die Welt gestreut.
Schü­ler wie unser Sohn, die heu­te in der sechs­ten Klas­se sind, müss­ten nach der Stu­die vom Insti­tu­te for the Future 2020 über zehn Fähig­kei­ten ver­fü­gen, um im glo­ba­len Wett­be­werb der Arbeits­kräf­te erfolg­reich zu sein:
http://www.tural.de/fit-for-2020/work-skills-2020
Sein aktu­el­les Schul­kon­zept schreibt aller­dings in gro­ßen Tei­len die Ver­gan­gen­heit in die Zukunft. Anstel­le abzu­war­ten und mich zu bekla­gen, ver­su­che ich ihn par­al­lel zur Schu­le auf 2020 vozu­be­rei­ten. So ent­stand der fol­gen­de Workshop:
http://www.tural.de/Workshop-Facebook-Twitter-fuer-Schueler

open PM könn­te zu die­sem The­ma die Vor­den­ker-/Vor­rei­ter­rol­le über­neh­men. Wenn Inter­es­se besteht, kön­nen wir über einen Gestal­tungs­rah­men gemein­sam nachdenken.

Marcus Raitner 6. Juni 2013 Antworten

Gute Idee: Wir könn­ten ein­fach unse­ren eige­nen Lehr­plan gemein­sam auf openPM ent­wi­ckeln. Jeden­falls sofern er mit Pro­jekt­ma­nage­ment zu tun hat, was ich für eine zen­tra­le Fähig­keit der Zukunft halte.

tural 7. Juni 2013 Antworten

Für den eige­nen Lehr­plan für Pro­jekt­ma­nage­ment bin ich dabei.
Um neue Ideen für Pro­jekt­ma­nage­ment Next Step (Arbeits­ti­tel) zu ent­wi­ckeln, müs­sen wir vor allem die Netz­ge­mü­se Gene­ra­ti­on ver­ste­hen (der oben erwähn­te Work­shop dient für mich u.a. dazu).
openPM könn­te hier­für eine tat­säch­lich offe­ne Kom­mu­ni­ka­ti­ons­platt­form zur Ver­fü­gung stellen.

Marcus Raitner 14. Juni 2013 Antworten

openPM kann und soll für sol­che Aktio­nen tat­säch­lich Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und auch Doku­men­ta­ti­ons­platt­form sein.

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