Stärken stärken

Ob zur Beur­tei­lung, als Feed­back oder zur Ziel­ver­ein­ba­rung, in den Gesprä­chen zwi­schen Füh­rungs­kraft und Mit­ar­bei­ter geht es viel um die indi­vi­du­el­len Schwä­chen des Mit­ar­bei­ters und wie dar­an gear­bei­tet wer­den kann und muss. Natür­lich wer­den auch die Stär­ken erwähnt, aber nur, um die Kri­tik an den Schwä­chen bes­ser ver­dau­lich zu machen. Wozu auch, schließ­lich ist der Mit­ar­bei­ter in dem Bereich sei­ner Stär­ken ja schon gut, aber bei sei­nen Schwä­chen da muss unbe­dingt etwas pas­sie­ren. Soweit die bestehend ein­fa­che wie fal­sche Logik. Das Ergeb­nis sind ver­pass­te Chan­cen auf Vor­treff­lich­keit zuguns­ten brei­ter Mittelmäßigkeit.

Ever­y­bo­dy is a geni­us. But if you judge a fish by its abili­ty to climb a tree, it will live its who­le life belie­ving that it is stupid.
Albert Ein­stein

Albert Ein­stein war alles ande­re als ein Wun­der­kind, lern­te erst spät spre­chen und war auch in der Schu­le in den Spra­chen eher schlecht. Er hat­te sei­ne Schwä­chen, aber unzwei­fel­haft auch sei­ne Stär­ken. Wie jeder von uns. Wir bli­cken heu­te ehr­fürch­tig auf sein Lebens­werk, weil er sei­ne Stär­ken genutzt hat, nicht weil er an sei­nen Schwä­chen gear­bei­tet hat. Das­sel­be bei Ste­ve Jobs. Wenn nur ein Teil sei­ner Bio­gra­phie wahr ist, wovon aus­zu­ge­hen ist, da er am Ent­ste­hen betei­ligt war und er wenig dem Zufall über­ließ, war er mit Sicher­heit kein ange­neh­mer Chef. Den­noch bewun­dern wir sein Lebens­werk, sein Gespür für Trends, sei­nen Enthu­si­as­mus für makel­lo­ses Design und sein inspi­rie­ren­des Cha­ris­ma. Was hät­te er wohl erreicht, wenn er haupt­säch­lich an sei­nen Schwä­chen gear­bei­tet hätte?

Die Lis­te lie­ße sich belie­big lan­ge fort­set­zen: Zeigt mir einen Men­schen, der etwas Gro­ßes erreicht hat und ich zei­ge euch einen Men­schen, der sei­ne Stär­ken auf die Spit­ze getrie­ben hat und vor­treff­lich ein­zu­set­zen ver­stand. Aus einer Schwä­che wird näm­lich sel­ten eine Stär­ke, aber aus einer Bega­bung kann mit ent­spre­chen­der För­de­rung und For­de­rung eine her­aus­ra­gen­de Stär­ke wer­den. In vie­len Unter­neh­men wird aber genau das nicht geför­dert und gewünscht. Statt­des­sen gibt es Anfor­de­rungs­ka­ta­lo­ge und Check­lis­ten zur Mit­ar­bei­ter­be­ur­tei­lung, die alle dar­auf zie­len, Schwä­chen aus­zu­büg­len anstatt Stär­ken zu stär­ken. Die Fol­ge sind brei­te Mit­tel­mä­ßig­keit und ver­pass­te Chan­cen auf Vortrefflichkeit.

Die Leit­fra­ge in der Ent­wick­lung von Mit­ar­bei­tern soll­te also lau­ten: In wel­chen Berei­chen bist Du so gut, was liegt Dir so sehr, was inter­es­siert Dich so bren­nend, dass es Dir gelin­gen könn­te dort wahr­lich Vor­treff­li­ches zu errei­chen? Basie­rend auf die­sen Stär­ken soll­ten Auf­ga­ben und Wei­ter­bil­dung des Mit­ar­bei­ters geplant wer­den. Die Ver­ant­wor­tung der Füh­rungs­kraft ist es die­se Stär­ken her­aus­zu­ar­bei­ten und den Mit­ar­bei­ter ent­spre­chend effek­tiv ein­zu­set­zen. Es darf nicht pas­sie­ren, dass Fische Klet­ter­kur­se ver­ord­net bekommen.

Füh­rung ist die Kunst des Ermöglichens.
Ste­ven R. Covey

Ganz ver­nach­läs­si­gen soll­te man die Schwä­chen aber nicht. Gene­rell soll­te man sei­ne Schwä­chen natür­lich ken­nen und sich ihrer bewusst sein. Immer wenn eine Schwä­che der Ent­wick­lung einer Stär­ke im Weg steht, muss man sich damit beschäf­ti­gen. Wenn also bei­spiels­wei­se ein Mit­ar­bei­ter her­vor­ra­gend gro­ße Grup­pen mode­rie­ren kann und das ger­ne noch wei­ter auch inter­na­tio­nal aus­bau­en möch­te, wird er sich mit der Ver­bes­se­rung der ein­ge­ros­te­ten Eng­lisch­kennt­nis­se beschäf­ti­gen müs­sen. Aber eben nicht zum Selbst­zweck, son­dern weil es not­wen­dig ist, um sei­ne Stär­ken auszubauen.

Arti­kel­bild: Lars Stef­fens bei flickr.com (CC BY-SA 2.0)



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4 Kommentare

Leo Faltin 14. Juni 2014 Antworten

Wich­ti­ger und sehr gut gelun­ge­ner Bei­trag, Mar­cus! Beson­de­rer Dank auch für den letz­ten Absatz: er lässt trotz allem dar­über nach­den­ken, was Ste­ve Jobs viel­leicht noch alles errei­chen hät­te kön­nen, wenn er gelernt hät­te, doch auch ein etwas ange­neh­me­rer Chef zu sein. Um hier ein paar wirk­sa­me Schrit­te vor­wärts machen zu kön­nen, hät­te er viel­leicht nur wenig zusätz­li­che Zeit inves­tie­ren müssen.
Herz­li­che Grüße
Leo

Marcus Raitner 14. Juni 2014 Antworten

Vie­len Dank, Leo, für Dei­ne Zustim­mung und Ergän­zung. Tat­säch­lich könn­te man sich auch bei Ste­ve Jobs fra­gen, inwie­weit ihm die Schwä­chen im Weg stan­den zu noch grö­ße­rem Erfolg. Ent­schei­den­der ist aber auf jeden Fall die Kon­zen­tra­ti­on auf die Stär­ken. Schwä­chen kann man immer auch zu einem Teil durch Stär­ken eines ande­ren im Team kompensieren.

Franziska Köppe | madiko 14. Juni 2014 Antworten

Lie­ber Marcus,

Dei­nem Arti­kel stim­me ich voll und ganz zu. Abhän­gig beschäf­tigt war ich selbst jah­re­lang leid­ge­prüft, wenn es um mich als Per­son ging – die eben nicht ins Sche­ma F der Stel­len­be­schrei­bung und Rol­len­funk­tio­na­li­tät pass­te. Ich war anders (fand das auch noch gut!) – und hat­te damit mäch­tig Ärger in der Firma.

Ich möch­te jedoch auch fol­gen­den Aspekt noch mit ins Spiel die­ser Dis­kus­si­ons­run­de brin­gen: War­um müs­sen wir denn immer die Bes­ten haben? War­um reicht uns gutes Mit­tel­maß nicht? Mit­tel­maß hat ja mehr was mit der sta­tis­ti­schen Nor­mal­ver­tei­lung – und nichts mit Mit­tel­mä­ßig­keit zu tun. Nicht jeder kann ein Ein­stein wer­den. War­um set­zen wir uns nur selbst immer so unter Erfolgs­druck? Immer höher, schnel­ler, wei­ter? Kon­ti­nu­ier­li­ches Wachs­tum ist gut, wenn es der Natur folgt. Wie heißt es so schön: Auch Bäu­me wach­sen nicht in den Him­mel. Oder: Ein wich­ti­ger Impuls, den ich die­ses Jahr als ganz beson­ders für mei­ne eige­ne Ent­wick­lung emp­fin­de: Das Gras wächst nicht schnel­ler, nur weil ich dar­an ziehe. 

Las­sen wir uns doch auch ein biss­chen Zeit zu rei­fen. Ver­än­de­run­gen brau­chen auch den Mut, sie mit Gelas­sen­heit anzu­neh­men. Ste­tig. Nach vorn und auf das Posi­ti­ve gerich­tet. Wir wer­den stau­nen, wie groß und wie frei und wie glück­lich wir dabei – gera­de in einer Lebens- & Arbeits­welt mit Zukunft ;-) – werden.

Fran­zis­ka

Hier noch ein Link­tipp zum The­ma „Gut ist uns nicht gut genug. War­um eigentlich?
http://madiko.com/news-und-presse/detail?newsid=128

Marcus Raitner 14. Juni 2014 Antworten

Lie­be Fran­zis­ka, dan­ke für Dei­nen Kom­men­tar! Ich kann mir sehr gut vor­stel­len, wie es ist nicht ins Sche­ma F zu pas­sen. Bezüg­lich Dei­ner ergän­zen­den Fra­ge, war­um wir glau­ben immer die Bes­ten haben zu müs­sen, eine aus­wei­chen­de Ant­wort :-) Mir ging es gar nicht dar­um als Fir­ma, die Bes­ten haben zu wol­len. Mir ging es dar­um, dass Mit­ar­bei­ter ihr vol­les Poten­ti­al aus­schöp­fen kön­nen. Dazu fin­de ich es bes­ser, sich auf die Stär­ken zu kon­zen­trie­ren, als die Schwä­chen mehr schlecht als recht zu kaschie­ren. Und ja, das alles braucht Zeit und Mut, da gebe ich Dir voll­kom­men recht.

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