Mehr Transparenz wagen

Mitar­bei­ter, ganz beson­ders aber Wis­sens­ar­bei­ter, wer­den ger­ne zum unter­neh­me­ri­schen Den­ken und Han­deln ange­hal­ten. Einer­seits. Wenn es aber ande­rer­seits dar­um geht, die­sen Mit­ar­bei­tern auch Zugang zu allen dafür nöti­gen Infor­ma­tio­nen zu gewäh­ren, war die­se For­de­rung dann doch nicht ganz so ernst gemeint. Manage­ment in bes­ter tay­lo­ris­ti­scher Tra­di­ti­on defi­niert und mani­fes­tiert sich in vie­len Fäl­len lei­der immer noch über einen Infor­ma­ti­ons­vor­sprung gegen­über dem „nor­ma­len“ Mit­ar­bei­ter. Wer Infor­ma­tio­nen hat, kann auch ent­schei­den oder Ent­schei­dun­gen nach­voll­zie­hen. Die­se Macht gibt man nicht leicht­fer­tig aus der Hand, wenn man sein Füh­rungs­ver­ständ­nis allei­ne dar­auf gegrün­det hat. Die For­de­rung, dass Wis­sens­ar­bei­ter unter­neh­me­risch den­ken sol­len, ist prin­zi­pi­ell rich­tig und wich­tig, aber sie muss auch mit aller Kon­se­quenz umge­setzt wer­den. Und Trans­pa­renz hin­sicht­lich der Ent­schei­dungs­grund­la­gen ist eine ganz wesent­li­che Kon­se­quenz daraus.

In der Regel läuft es immer noch so. Ein klei­ner Kreis mehr oder weni­ger betag­ter erfah­re­ner Men­schen ent­schei­det über Wohl und Wehe eines Unter­neh­mens. Wel­che Mit­ar­bei­ter sol­len ein­ge­stellt, wel­che Auf­trä­ge ange­nom­men und wel­che Stra­te­gie für die Zukunft gewählt wer­den. Den „nor­ma­len“ Mit­ar­bei­tern wird in die­sen Fra­gen nicht die nöti­ge Kom­pe­tenz zuge­traut, obwohl die­se mas­siv von den Kon­se­quen­zen betrof­fen sein wer­den und sehr wohl eine fun­dier­te Mei­nung dazu hät­ten. Ein­mal mehr zeigt sich die häss­li­che Frat­ze der Krea­ti­vi­täts­apart­heid: Wenig den­ken und vie­le baden füh­ren aus.

Wo kämen wir hin,
wenn alle sagten,
wo kämen wir hin,
und nie­mand ginge,
um ein­mal zu schauen,
wohin man käme,
wenn man ginge.
Kurt Mar­ti

Es lie­ße sich eben nicht alles basis­de­mo­kra­tisch ent­schei­den im Unter­neh­men, höre ich in sol­chen Dis­kus­sio­nen immer wie­der. Wo kämen wir denn da hin? Ja, genau: War­um eigent­lich nicht und wo kämen wir eigent­lich hin, wenn doch? Eine inter­es­san­te Frage.

Vie­les lässt sich im Unter­neh­men demo­kra­tisch ent­schei­den. Bes­tes Bei­spiel sind erfolg­rei­che Unter­neh­men wie Sem­co, Zap­pos, oose und vie­le mehr, die auf Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on als wesent­li­ches Bau­prin­zip eines moder­nen Unter­neh­mens set­zen. Auch hier gilt das Sprich­wort: Wer will, fin­det Wege, wer nicht will, fin­det Grün­de. Die Mit­ar­bei­ter brau­chen dann aber ins­be­son­de­re Zugang zu allen not­wen­di­gen Infor­ma­tio­nen. Und das schei­tert in der Pra­xis aus zwei Gründen.

Einer­seits lie­gen die­se Infor­ma­tio­nen teil­wei­se gar nicht in einer Form vor, die von einem inter­es­sier­ten Mit­ar­bei­ter ver­stan­den wer­den könn­te. Schlimms­ten­falls gibt es sie nur im Kopf des Geschäfts­füh­rers. Oder als loka­le Datei auf dem Lap­top des Vor­stands. Als Tabel­len­kal­ku­la­ti­on, die außer dem Erstel­ler nie­mand ver­ste­hen kann. In die­ser Situa­ti­on von den Mit­ar­bei­tern unter­neh­me­ri­sches Han­deln zu erwar­ten, ist uto­pisch, ihnen man­geln­des unter­neh­me­ri­sches Han­deln vor­zu­wer­fen, ist grotesk.

Hin­ter die­ser feh­len­den Trans­pa­renz steckt ande­rer­seits oft Metho­de, denn Infor­ma­ti­on ist Macht. Auch wenn nicht bewusst Infor­ma­tio­nen ver­heim­licht wer­den (auch das kommt lei­der oft vor), wird es Inter­es­sier­ten auch nicht leicht gemacht durch­zu­bli­cken. Wozu auch, die Mit­ar­bei­ter sol­len sich doch um ihre Arbeit küm­mern. Ger­ne, aber dann bit­te kei­ne Beschwer­den, dass die Mit­ar­bei­ter nicht unter­neh­me­risch den­ken und han­deln: Sie kön­nen es ja gar nicht.

Die For­de­rung nach stär­ke­rem unter­neh­me­ri­schem Den­ken bei den Mit­ar­bei­tern ist schnell aus­ge­spro­chen, ver­bun­den meis­tens mit der abfäl­li­gen Wer­tung, dass die Mit­ar­bei­ter es ja nicht könn­ten. Die Vor­aus­set­zun­gen für ver­ant­wort­li­ches Han­deln im Sin­ne des Unter­neh­mens, ins­be­son­de­re der Zugang zu wesent­li­chen Infor­ma­tio­nen und Kenn­zah­len, wird dabei meist ver­ges­sen. Teil­wei­se wer­den die­se Infor­ma­tio­nen bewusst oder unbe­wusst als Herr­schafts­wis­sen betrach­tet und nicht aus­rei­chend zugäng­lich gemacht. Und dann kön­nen es die Mit­ar­bei­ter tat­säch­lich nicht. Nicht weil sie nicht fähig oder wil­lens wären, son­dern weil es ihnen schlicht an Trans­pa­renz fehlt.



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6 Kommentare

Gebhard Borck 20. Oktober 2014 Antworten

Hal­lo Marcus,

der Arti­kel erin­ner­te mich an: http://affenmaerchen.wordpress.com/2011/06/15/wenn-der-bonus-die-intelligenz-dominiert‑2/

Es freut mich, dass die­ses The­ma nach wie vor inter­es­siert. Inzwi­schen ist mir aller­dings Hola­cra­cy über den Weg gelau­fen. Dort gibt es ein Prin­zip zur Abstim­mung (Demo­kra­tie – wenn man so möch­te). Die­ses ist gekop­pelt mit dem indi­vi­du­el­len Recht, sich jeder­zeit gegen die Abstim­mung mit ande­ren zu Ent­schei­den, wenn man zugleich bereit ist, die Kon­se­quen­zen dar­aus zu tragen.

Sehr span­nen­der Aspekt.

Wir wol­len denken
Gebhard

Marcus Raitner 20. Oktober 2014 Antworten

Hal­lo Geb­hard, vie­len Dank für Dei­ne Ergän­zung. Hola­cra­cy hat­te ich auch im Kopf beim Schrei­ben, aber mehr als uto­pi­sches Fern­ziel. Die Unter­neh­men, die von ihren Mit­ar­bei­tern heu­te ein biss­chen unter­neh­me­ri­sches Den­ken for­dern, wer­den nicht gleich mor­gen zu hol­a­kra­ti­scher Orga­ni­sa­ti­on über­ge­hen. Trotz­dem müs­sen die­se Unter­neh­men dann auch mehr Trans­pa­renz wagen.

Gebhard Borck 20. Oktober 2014 Antworten

Hal­lo Marcus,

ich habe ver­schie­de­ne Aspek­te von Hola­cra­cy zer­stü­ckelt und nut­ze sie bei mei­nen Kun­den für die Bewäl­ti­gung von Spannungsfeldern.
Zu Beginn woll­te ich alles auf ein­mal. Das hat die Mit­ar­bei­ter über­for­dert. Jetzt machen wir es Schritt für Schritt und das klappt sehr gut.
Trans­pa­renz ist zwei­schnei­dig. Wir soll­ten genau dar­auf ach­ten, wo sie hilft (Stich­wort Kas­sen­trans­pa­renz) und wo sie scha­det (Stich­wort Pri­vat­sphä­re und Per­sön­lich­keits­rech­te). Trans­pa­renz per se ist ein ver­fehl­tes Ziel.
Einig bin ich mit der Annah­me, dass den meis­ten Fir­men mehr Trans­pa­renz – vor allem im Bezug auf Kas­sen­trans­pa­renz – gut täte.

Mein Erfah­rung: Ein biss­chen unter­neh­me­ri­sches Den­ken gibt es nicht. Ent­we­der ich will es oder ich will es nicht. Denn die­ses Den­ken hat Kon­se­quen­zen bezüg­lich Ent­schei­dungs­frei­heit, Eigen­ver­ant­wor­tung etc.

Wir wol­len denken!
Gebhard

Marcus Raitner 23. Oktober 2014 Antworten

Das glau­be ich Dir, dass es bes­ser ist die ein­zel­nen Aspek­te dosiert ein­zu­füh­ren. Bezüg­lich Trans­pa­renz, dach­te ich nicht an voll­stän­di­ge Trans­pa­renz ins­be­son­de­re nicht hin­sicht­lich der Pri­vat­sphä­re, aber sehr wohl an die von Dir ange­spro­che­nen Kas­sen­trans­pa­renz. Wenn ich als Mit­ar­bei­ter nicht weiß und teil­wei­se wis­sen darf, was wel­che Kos­ten ver­ur­sacht und was wel­chen Gewinn abwirft, wie soll ich dann unter­neh­me­risch Den­ken und Han­deln. Wie Du rich­tig schreibst, ein biss­chen schwan­ger unter­neh­me­ri­sches Den­ken gibt es nicht.

Daniel Obst 6. März 2015 Antworten

Ein schö­ner Arti­kel, Herr Rait­ner, vie­len Dank dafür. Mein Kom­men­tar kommt spät, weil ich mich gera­de erst auf die Suche nach dem The­ma gemacht habe. Aber bes­ser spät als nie, heißt es.
Als Füh­rungs­kraft bin ich bestrebt, Trans­pa­renz insb. über mei­ne Ent­schei­dun­gen zu schaf­fen – denn wenn mei­ne Mit­ar­bei­ter nicht wis­sen, was ich (wie­so) ent­schie­den habe, muss man sich über man­geln­des unter­neh­me­ri­sches Den­ken auch nicht wundern.
Mei­ne Fra­ge, zu der ich bis dato jedoch noch kei­ne zufrie­den­stel­len­de Ant­wort gefun­den habe – viel­leicht kön­nen Sie mir da ein paar Ideen mit­ge­ben: Wie genau stel­le ich denn Trans­pa­renz über Ent­schei­dun­gen her, so dass dies auch für die Mit­ar­bei­ter nach­les­bar und durch­such­bar doku­men­tiert ist? (ohne dabei jedoch in stun­den­lan­gem Mehr­auf­wand zu resultieren)
Auf Ihre Ant­wort bin ich gespannt.

Marcus Raitner 8. März 2015 Antworten

Vie­len Dank für Ihren Kom­men­tar, Herr Obst. Tat­säch­lich eine sehr gute Fra­ge. Mei­ner Mei­nung nach beginnt alles schon frü­her. Soll hei­ßen, wenn ich Trans­pa­renz über die Ent­schei­dung erst her­stel­len muss, ist der Ent­schei­dungs­pro­zess selbst nicht offen genug. Das soll nicht hei­ßen, dass ich der Basis­de­mo­kra­tie das Wort rede (die aber auch einen Ver­such wert und sicher­lich nicht defi­zi­tä­rer als klas­sisch hier­ar­chi­sche Ent­schei­dungs­we­ge wäre), aber mei­ne Auf­ga­be als Füh­rungs­kraft sehe ich auch dar­in, die Mit­ar­bei­ter, die ja ohne­hin die Exper­ten sind, inten­siv in die Ent­schei­dungs­fin­dung einzubinden.

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