Führung braucht Kontext statt Kontrolle. Der Schachmeister hat schon lange ausgedient. Gefragt sind heute Führungskräfte, die wie Gärtner eine Umgebung schaffen, in der Menschen aufblühen und ihre Ideen im Sinne einer gemeinsamen Mission gut gedeihen.
Der erfahrene Gärtner kennt die Stärken, Schwächen, Ansprüche und Vorlieben der Pflanzen. Er weiß, welche sich gut ergänzen und welche sich gar nicht vertragen. Und er weiß, dass es auf den Standort ankommt und dort auf das Licht, das Wasser und den Boden. In diesen Kategorien denkt und arbeitet ein guter Gärtner.
Was bei Pflanzen schon nicht ganz trivial ist, wie jeder Hobbygärtner aus leidvoller Erfahrung berichten kann, ist bei Menschen ungleich komplexer. In welcher Umgebung blühen Menschen auf und was lässt sie verkümmern? Und welche wesentlichen Kategorien gibt es überhaupt, um Einfluss darauf zu nehmen. Kurzum: Wo kann uns muss Führung den Hebel ansetzen?
Die Frage nach einem erfüllten, gelungenen und glücklichen Leben bewegt die Menschen schon lange. Philosophen versuchten darauf seit jeher Antworten zu geben, während sich die Psychologen eher den Problemen widmeten und mehr dem misslungenen oder wenigstens als misslungen empfundenen Leben. Seit Martin Seligman in den 1990er Jahren den von Abraham Maslow 1954 eingeführte Begriff der „Positiven Psychologie“ aufgriff und populär machte, hat nun aber auch die Psychologie einige interessante und empirisch abgesicherte Antworten zu bieten.
P is positive emotion, E is engagement, R is relationships, M is meaning and A is accomplishment. Those are the five elements of what free people chose to do. Pretty much everything else is in service of one of or more of these goals. That’s the human dashboard.
Martin Seligman
Martin Seligman fasste seine Erkenntnisse in dem PERMA-Modell zusammen. PERMA steht für Positive Emotionen, Engagement (Stärken einsetzen), Relationships (Beziehungen), Meaning (Sinn) und Accomplishment (Zielerreichung). Diese fünf Komponenten für ein erfülltes Leben geben erste Anhaltspunkte, was Führung gestalten muss, damit das Unternehmen eine Werkstatt für gelingendes Leben wird.
P – Positive Emotionen
Selbstverständlich tragen positive Emotionen wie Freude, Dankbarkeit, Hoffnung, Spaß oder Stolz zu unserem Wohlbefinden bei. Die eigentliche Erkenntnis des PERMA-Modells ist aber, dass genau das nicht die einzige Dimension, sondern nur eine von fünf ist.
Wie wir unser Leben erleben, liegt zu einem guten Teil in unserer eigenen Hand. Viktor Frankl brachte das auf diese einfache Formel „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“ Wir haben insbesondere die Wahl, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken.
Leider tendieren wir dazu, in unserer Umwelt eher das Negative wahrzunehmen und uns auf Probleme zu fokussieren. Dieser sogenannte Negativity Bias lässt uns Negatives deutlich intensiver erleben als entsprechend Positives. Dieser Tendenz kann man ganz bewusst entgegenwirken, z.B. indem man sich jeden Abend kurz Zeit nimmt, um sich die positiven Erlebnisse des Tages nochmals zu vergegenwärtigen.
E – Engagement
Die eigenen Stärken einsetzen und ausbauen zu können, ist ein wesentlicher Faktor für Motivation und Zufriedenheit. Wir alle haben schon erlebt, wie es ist, sich für etwas begeistern zu können und für etwas so richtig zu brennen und bei der Arbeit daran so richtig in jenen Zustand zu kommen, den der Psychologe und Autor Mihály Csíkszentmihályi als „Flow“ beschrieb.
Eine wesentliche Voraussetzung für Flow ist, dass Herausforderung und Fähigkeiten gut aufeinander abgestimmt sind: schwierig genug, um einen Reiz auszuüben und leicht genug, damit Teilerfolge die Motivation aufrecht erhalten. Führen in diesem Sinne heißt einerseits, Stärken zu stärken und Schwächen irrelevant zu machen und andererseits den Menschen entsprechende Möglichkeiten zur Erfahrung von Flow und letztlich zum Wachstum zu bieten.
R – Relationships
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder einer Großfamilie war früher überlebensnotwendig. Ein ausgestoßenes Individuum war den Kräften der Natur ausgeliefert und eine leichte Beute. Das ist heute zum Glück anders, geblieben ist aber unsere Sehnsucht, einer Gruppe anzugehören und unsere Sehnsucht nach bedeutsamen Beziehungen.
Führung kann hier sofort wirksam werden, indem die immer noch weit verbreitete und nun krisenbedingt aufflammende Angstkultur und ungesunde Konkurrenz unterbunden wird und stattdessen psychologische Sicherheit angestrebt wird. Das stellte sich nämlich als mit Abstand wichtigste Zutat für fruchtvolle Zusammenarbeit im Rahmen des Projekts Aristoteles bei Google heraus. Superstars alleine machen noch lange kein gutes Team. In wirklich effektiven Teams gibt es ein hohes Maß an Sicherheit, so dass sich die Mitglieder trauen, ihre Meinung offen zu sagen und Risiken einzugehen.
M – Meaning
Es macht einen Unterschied, ob ich nur wegen des Tageslohns Steine schleppe oder weil ich an einer Kathedrale baue. Die eigene Tätigkeit als Beitrag zu etwas Großem und Bedeutsamen sehen zu können, ist ganz entscheidend für das Wohlbefinden. Unternehmen, die den Profit zum Selbstzweck erhoben haben, haben in dieser Dimension leider verloren und dürfen sich dann über Söldnermentalität bei den Mitarbeitern nicht beschweren.
Führung gibt Orientierung, indem sie einen Sinn jenseits des Profits anbietet, der die Menschen anspricht und zu dem sie sich dann hoffentlich hingezogen fühlen. Genau deshalb heißt die dritte These des Manifests für menschliche Führung „Sinn und Vertrauen mehr als Anweisung und Kontrolle“.
A – Accomplishment
Erfolgserlebnisse durch das Erreichen von (gerade hoch genug gesteckten) Zielen tragen natürlich zum Wohlbefinden bei. Erfolge und Teilerfolge müssen Anerkennung finden und gefeiert werden (z.B. durch die Kudos-Karten zum Manifest für menschliche Führung). Wo allerdings zu viel neidvolle Konkurrenz herrscht, geht das nicht oder nur unaufrichtig, weil das Miteinander im Unternehmen zum Gegeneinander wird und dann fälschlicherweise als Nullsummenspiel betrachtet wird: Wenn der andere gewinnt, verliere ich.
Everything about a large corporation felt alien. People were afraid to the point of paralysis. They were afraid that someone might get promoted before them. Afraid to challenge their boss’s bad idea. Afraid of making a mistake. Afraid of not being invited to the CEO’s golf outing. Afraid of building anything without first pitching it in a PowerPoint deck.
Gregory Larkin, 2018. This Might Get Me Fired (Amazon Affiliate-Link)