Der Kennzahlen-Reflex

Wo immer eine Kenn­zahl auf­taucht, löst sie eine Art Paw­low­schen Reflex bei Mana­gern aus. Sofort wird die Kenn­zahl für Ver­glei­che ein­ge­setzt, weil sich Zah­len ja so schön ver­glei­chen las­sen. Was aber wenn der Maß­stab gar nicht der glei­che ist? In der Phy­sik ist es uns klar, dass wir Zah­len nicht ohne Ein­heit ver­wen­den dür­fen, denn 42 Grad (Fah­ren­heit) kann deut­lich käl­ter sein als 20 Grad (Cel­si­us). Wenn es um die Zusam­men­ar­beit von Men­schen in Orga­ni­sa­tio­nen geht, ist man froh über­haupt irgend­was nume­risch erfas­sen zu kön­nen und ver­liert schnell das Gefühl für die nicht vor­han­de­ne Vergleichbarkeit.

Wenn ein Team 20 Sto­ry-Points pro Sprint schafft und ein ande­res 30, wel­ches ist dann das pro­duk­ti­ve­re? Die Fra­ge klingt für kenn­zah­len­ver­lieb­te Mana­ger ver­nünf­tig und ver­lo­ckend, ist so aber nicht wohl­for­mu­liert und kann nur beant­wor­tet wer­den mit einem kla­ren: „Es kommt dar­auf an.“

Der ers­te Denk­feh­ler liegt dar­in zu glau­ben, dass Sto­ry-Point gleich Sto­ry-Point sein muss. Dabei ist ein Sto­ry-Point ein­fach nur eine künst­li­che Ein­heit mit der ein Team den Auf­wand von User-Sto­ries bemisst. Inner­halb eines ein­zi­gen Teams soll­te also unter einem Sto­ry-Point immer das­sel­be ver­stan­den wer­den. Das Team im Nach­bar­raum hat aber unter Garan­tie einen ande­ren Maßstab.

Der zwei­te Denk­feh­ler ist sub­ti­ler. Sto­ry-Points mes­sen den Auf­wand für eine Anfor­de­rung, sind in die­sem Sin­ne also ein Ein­gangs­grö­ße. Am Ende zählt aber letzt­lich nur der Nut­zen, den eine User Sto­ry bringt und nicht der Auf­wand, den sie kos­tet. Inso­fern könn­te man arg­mu­men­tie­ren, dass sich Pro­duk­ti­vi­tät am Nut­zen ori­en­tie­ren soll­te anstatt am Auf­wand. Die Pro­duk­ti­vi­tät einer Fabrik wür­de man ja auch nicht anhand der geleis­te­ten Arbeits­stun­den der Arbei­ter mes­sen, son­dern anhand des Aus­sto­ßes an Gütern pro Zeiteinheit.

productivity

Trotz­dem ist die Geschwin­dig­keit gemes­sen als Sto­ry-Points pro Sprint für das ein­zel­ne Team ein wert­vol­les Maß für die Fort­schrit­te die das Team in Bezug auf die eige­ne Leis­tungs­fä­hig­keit macht. Das setzt aller­dings vor­aus, dass die­se Kenn­zahl ein Werk­zeug des Teams bleibt und nicht zu Ver­glei­chen von Teams miss­braucht wird. Dann ist sie näm­lich wert­los: Für den Ver­gleich sowie­so, aber auch für das Team, weil die Beob­ach­tung von Außen die Mes­sung beein­träch­ti­gen wird. In dem Moment wird aus einen für das Team wert­vol­len Werk­zeug ein Manage­ment­pro­zess, der die Arbeit behindert.

So much of what we call manage­ment con­sists in making it dif­fi­cult for peo­p­le to work.
Peter F. Drucker



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3 Kommentare

Bruno Baketaric 1. Juni 2015 Antworten

Inhalt­lich völ­lig rich­tig, jedoch hal­te ich die Ana­lo­gie mit einer Fabrik für gefährlich.

Zwar ist auch in einer Fabrik der Zusam­men­hang nicht so sim­pel, wie in dem Bei­spiel dar­ge­stellt, den­noch gibt es in der Pro­duk­ti­on häu­fig einen nach­weis­ba­ren, bere­chen­ba­ren Bezug zwi­schen Ein­gangs- (Pro­duk­ti­ons­mit­tel) und Aus­gangs-Fak­to­ren (Pro­duk­te).
Genau da liegt ein Grund-Pro­blem: Mana­ger wen­den oft die Model­le und Denk­wei­sen aus der (indus­tri­el­len) Pro­duk­ti­on auf die Wis­sens­ar­beit an – dabei ist ers­te­re über­wie­gend kom­pli­ziert (es gibt mit end­li­chem Auf­wand vor­aus­be­stimm­ba­re Ursa­che-Wir­kungs-Zusam­men­hän­ge), letz­te­re jedoch über­wie­gend kom­plex (Ursa­che-Wir­kungs-Zusam­men­hang kann erst hin­ter­her festgestellt/gemessen wer­den – und der ist kaum über­trag­bar auf ande­re Situationen).

Marcus Raitner 1. Juni 2015 Antworten

Dan­ke für die­sen wert­vol­len Hin­weis auf die grund­sätz­li­chen Unter­schie­de zwi­schen Wis­sens­ar­beit und Pro­duk­ti­on. Ein Grund mehr nicht ein­fach ohne­hin über­hol­te Model­le auf die Domä­ne der Wis­sens­ar­beit zu übertragen.

Thilo Niewöhner 11. Juli 2015 Antworten

Dem stim­me ich zu.
Die Effek­te, die ich gese­hen habe, als Model­le wie TQM, Six­Sig­ma etc. für die Wis­sens­ar­beit „miß­braucht“ wur­den, unter­strei­chen das.

Auf­grund der Kom­ple­xi­tät ist es letzt­lich extrem auf­wen­dig, Pro­duk­ti­ons­pro­zes­se in der Wis­sens­ar­beit (z.B. Engi­nee­ring, Pro­jekt­ma­nage­ment) umzu­set­zen, und der Auf­wand für die Nach­ver­fol­gung ist ent­spre­chend noch größer.

Dadurch ist man irgend­wann nur noch damit beschäf­tigt, KPI zu pfle­gen, Ergeb­nis­se zu zäh­len, und zu berichten.
Die eigent­li­chen Ergeb­nis­se der Arbeit gera­ten da leicht ins Hintertreffen.

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