Tanz auf der Titanic

Agiler will man wer­den allent­hal­ben. Mit Ein­füh­rung der Metho­de allein ist aber noch gar nichts gewon­nen. Agil ist zual­ler­erst eine Ein­stel­lung. Ohne Kul­tur­wan­del bleibt Agi­li­tät blo­ßes Schau­spiel mit beschränk­ter Wir­kung. Ein Tanz im Ball­raum der Titanic.

Ich weiß nicht, ob es bes­ser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders wer­den, wenn es bes­ser wer­den soll.
Georg Chris­toph Lichtenberg

Schnel­ler und fle­xi­bler auf Ver­än­de­run­gen zu reagie­ren und Chan­cen zu nut­zen, das wol­len und müs­sen auch die größ­ten und starrs­ten Unter­neh­men mitt­ler­wei­le. Nicht mal mehr der Auto­markt bleibt von dis­rup­ti­ven Ver­än­de­rung ver­schont. Inner­halb weni­ger Jah­re tau­chen neue Wett­be­wer­ber auf und defi­nie­ren Elek­tro­mo­bi­li­tät völ­lig neu, wie jüngst Tes­la. Durch auto­nom fah­ren­de Fahr­zeug­flot­ten mit intel­li­gen­ten Mobi­li­täts­diens­ten wie Uber ent­ste­hen völ­lig neue Geschäfts­mo­del­le jen­seits des Ver­kau­fens von Fahr­zeu­gen. Getrie­ben von Soft­ware­fir­men die Agi­li­tät tief in ihrer Kul­tur ver­an­kert haben.

Also will man oder muss man ganz schnell ganz agil wer­den. Ob Ele­fan­ten wirk­lich tan­zen kön­nen, wie Lou Gerst­ner nach dem erfolg­rei­chen Tur­n­around bei IBM sei­ner­zeit behaup­te­te, muss sich in ande­ren Bran­chen und bei ande­ren Unter­neh­men erst noch zei­gen. Jeden­falls muss sich die Kul­tur ver­än­dern, wenn man erfolg­reich agil arbei­ten will. Und was Erfolg ist bestimmt allein der Kun­de, nicht die Methode.

Die Kul­tur­ver­än­de­rung beginnt also bei der Aus­rich­tung des Unter­neh­mens auf den Kun­den. Kun­den­ori­en­tie­rung behaup­ten heu­te zwar schon vie­le Unter­neh­men, sind aber in ihrer funk­tio­na­len Orga­ni­sa­ti­on und ihrer Zen­tra­li­sie­rung vom Kun­den und dem Markt maxi­mal weit weg. Die Mit­ar­bei­ter und Füh­rungs­kräf­te haben es sich in ihren funk­tio­na­len Nischen mit ihren iso­lier­ten Ziel­ver­ein­ba­run­gen bequem gemacht, der Kun­de stört da nur. Dabei wür­de es im ers­ten Schritt schon hel­fen an den pro­zes­sua­len Schnitt­stel­len der Silos wenigs­tens den inter­nen Kun­den als sol­chen zu begreifen.

If I had asked peo­p­le what they wan­ted, they would have said fas­ter horses.
Hen­ry Ford

Was der Kun­de braucht, weiß nie­mand, nicht mal der Kun­de selbst. Jeden­falls nicht bis er ein neu­es Pro­dukt oder einen neu­en Ser­vice sieht oder nutzt. Daher rührt eine Unsi­cher­heit und Unplan­bar­keit, die vie­le nicht wahr­ha­ben wol­len und mit der sie nicht umge­hen kön­nen. Bis­her reich­te es eben schnel­le­re, grö­ße­re, kom­for­ta­ble­re Autos zu bau­en, um auf einem über­schau­ba­ren Markt mit bekann­ten Kon­kur­ren­ten bestehen zu kön­nen. Wie damals bei den Pfer­de­kut­schen. Oder den Han­dys von Nokia. Oder den Fil­men von Kodak.

Das Bes­se­re ist der Feind des Guten.
Vol­taire

Im Zen­trum der Kul­tur­ver­än­de­rung steht also das scho­nungs­lo­se Ein­ge­ständ­nis die­ser Unsi­cher­heit, um dann einen pas­sen­den Umgang damit erler­nen zu kön­nen. Tat­säch­lich wird die Unsi­cher­heit aber geleug­net, beschö­nigt oder als böse Kom­ple­xi­tät bekämpft. Die Fol­ge ist mehr Des­sel­ben: mehr Pla­nung, mehr Kon­trol­le, mehr Pro­zes­se, mehr Zen­tra­li­sie­rung, immer mehr. Paul Watz­la­wick hat­te recht: Wer als Werk­zeug nur einen Ham­mer kennt, für den sieht jedes Pro­blem wie ein Nagel aus.

Agi­li­tät ist ein guter Ansatz um der neu­en Unsi­cher­heit zu begeg­nen. Wer in kur­zen Abstän­den Nut­zen an den Kun­den lie­fert und auf die Rück­mel­dun­gen dazu kon­se­quent reagiert, bleibt wen­dig und erhöht sei­ne Über­le­bens­chan­cen. Wenn die Agi­li­tät aber nur in dem engen Rah­men sozia­lis­ti­scher Pla­nungs- und Kon­troll­pro­zes­se statt­fin­den darf, wird im Ball­raum der Tita­nic zwar wild getanzt, am Kurs ändert das aber nichts.

Cul­tu­re eats stra­tegy for breakfast.
Peter F. Drucker



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5 Kommentare

Thomas Lattner 17. April 2016 Antworten

Wie­der mal sehr wei­se, inspi­rie­rend und mit einer schö­nen Ana­lo­gie bes­tens geeig­net um in den Dia­log zu kom­men. Herz­li­chen Dank, Marcus!

Will nicht wider­spre­chen nur los­wer­den, was mir durch den Kopf geht – qua­si ergänzen.

In einem schö­nen Ball­raum nicht das Tanz­bein zu schwin­gen wäre sicher eine ver­ta­ne Gele­gen­heit. Dass man sich dort ver­gnügt und vol­ler Lebens­freu­de zeigt, ist kei­ne Bestä­ti­gung dafür dass der Kurs stimmt oder das Schiff gewis­sen­haft gebaut wurde.

Auf der Brü­cke zu tan­zen wäre sicher auch nicht ange­bracht, aber in einem Erfolgs­tau­mel, im Hoch­mut sich der Risi­ken sei­nes Vor­ha­bens nicht mög­lichst oft bewusst zu sein, ist sicher der größ­te Feh­ler. Wen­dig­keit sehe ich als Not-wen­dig­keit in unsi­che­rem Gebiet. Agi­les Vor­ge­hen ist – wie Expe­ri­men­tie­ren oder Tes­ten – also auch eine Risi­ko­maß­nah­me. Risi­ken nicht zu iden­ti­fi­zie­ren oder die­se ohne Maß­nah­me daste­hen zu las­sen, sehe ich als den Anfang des Übels und Aus­druck einer Verantwortungslosigkeit.

Der Wert der Dis­zi­plin „Risi­ko­ma­nage­ment“ muss erkannt wer­den, um Ver­hal­tens­än­de­run­gen zu bewir­ken, wel­che durch Wie­der­ho­lung dann zu einem Kul­tur­wan­del geführt haben wer­den. In der Kom­fort­zo­ne „klas­sisch“ und spä­tes­tens in der Lern­zo­ne „agil“ müss­te sich dann mei­nes Erach­tens fast von selbst ergeben.

Son­ni­gen Rest­sonn­tag und noch­mals Danke
Thomas

Marcus Raitner 18. April 2016 Antworten

Vie­len Dank für Dei­nen Kom­men­tar, Tho­mas. Risi­ko­ma­nage­ment beginnt beim Erken­nen von Risi­ken oder jeden­falls dem Ein­ge­ständ­nis einer Unsi­cher­heit. Dar­an fehlt es aber mei­nes Erach­tens schon. In vie­len gro­ßen Unter­neh­men geben wir uns ver­wöhnt von einer lan­gen Pha­se sta­bi­ler und trä­ger Märk­te der Illu­si­on der Plan­bar­keit hin. An die­sem Dog­ma wol­len wir nicht rüt­teln. Und so tan­zen wir ein biss­chen wil­der wäh­rend wir auf den Eis­berg zusteuern.

Bernd 18. April 2016 Antworten

Hal­lo Marcus,

welch genia­les Bild, wirk­lich sehr inspirierend:
“ Tanz auf der Titanic. “

– Klas­se! & Respekt!

Viel­leicht auch gar nicht so selten:
Wäh­rend man im agi­len Sport­boot, vol­ler Freu­de (und ganz ohne Tanz) los­ge­legt hat, fängt die Werft an – da ja immer mehr Men­schen mit ins Boot pas­sen sol­len – die Tita­nic zu konstruieren.
Nicht begrei­fend, das „Indus­trie 4.0“ eine Art Syn­onym für „ler­nen­de Orga­ni­sa­ti­on“ sein könn­te, wird funk­tio­nal geglie­dert und gleich­zei­tig ein­sei­tig „die Linie“ geför­dert. Quer­schnitt­funk­tio­nen (Rol­len) und „Platt­for­men“ (Räu­me zum Aus­tau­schen etc.) für Pro­jekt- oder Pro­zess­ma­na­ger gibt es nicht (mehr), aber dafür Tanz­ver­an­stall­tun­gen inner­halb der Säu­len mit ent­spre­chen­der Füh­rung und guter (weil ja beur­teilt ;o) ) Organisation.

In der Tat weiß nie­mand, ob ‑nur weil Bie­nen tan­zen- dies auch Ele­fan­ten können.…

Vlt soll­te man sich in man­chen Berei­chen aber auch tat­säch­lich eher Gedan­ken um das Bil­den von Bie­nen­schwär­men, statt um die Ent­wick­lung eines Ele­fan­ten, machen.

In die­sem Sin­ne ein Hoch auf das Risi­ko­ma­nage­ment (Gruß an Thomas)
und vie­le Grü­ße von mir,
Bernd

PS:
Die­ser Kom­men­tar ist frei erfun­den – even­tu­el­le Über­ein­stim­mun­gen mit rea­len Gege­ben­hei­ten sind daher zufäl­li­ger Natur ;o)

Marcus Raitner 18. April 2016 Antworten

Vie­len Dank für Dei­nen Kom­men­tar, Bernd. Wir erken­nen zwar einer­seits die Pro­ble­me unse­rer bis­he­ri­gen Orga­ni­sa­ti­ons­for­men ange­sichts der Chan­cen und Bedro­hun­gen, ver­su­chen aber sie mit den bis­he­ri­gem Instru­men­ta­ri­um zu lösen. Das ist der Feh­ler. Ein­stein sag­te dazu mal: „Pro­ble­me kann man nie­mals mit der­sel­ben Denk­wei­se lösen, durch die sie ent­stan­den sind.“

Bernd 18. April 2016 Antworten

Ger­ne Mar­cus. Habe ja nun schon lan­ge kei­nen Kom­men­tar mehr hinterlassen.
Ange­sichts der Schiffs­me­ta­pher fin­de ich die­ses Video noch des Tei­lens wert:
https://youtu.be/8yvTILgUHQc

Das soll nun kei­ne Wer­bung für ein „Patent­re­zept“ sein – Ich fin­de es ein­fach irgend­wie pas­send… ;o)

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