Agilität jenseits von Projekten

Natür­lich kann man Pro­jek­te agil durch­füh­ren. Es blei­ben aber doch Pro­jek­te und damit letzt­lich rela­tiv gro­ße und schwer­fäl­li­ge Kon­struk­te zur Ver­än­de­rung eines Nor­mal­zu­stands. Agi­li­tät hin­ge­gen bedeu­tet kon­ti­nu­ier­li­che Wei­ter­ent­wick­lung, leicht­ge­wich­tig und in klei­nen Schrit­ten. Im Gegen­satz zu Pro­jek­ten endet die­se Ver­än­de­rung nie, son­dern ist der Normalzustand.

Chan­ge is ine­vi­ta­ble. Chan­ge is constant.
Ben­ja­min Disraeli

Geprägt durch den Tay­lo­ris­mus stre­ben Orga­ni­sa­tio­nen nach Sta­bi­li­tät als ihren Nor­mal­zu­stand. Sta­bi­le Pro­zes­se, kla­re Orga­ni­sa­ti­on und ver­läss­li­che IT-Sys­te­me sor­gen für effi­zi­en­te Arbeits­ab­läu­fe. Da die Welt aber nicht still steht, müs­sen Pro­zes­se, Orga­ni­sa­ti­on und IT-Sys­te­me von Zeit zu Zeit ange­passt wer­den. Dafür gibt es dann ein Pro­jekt, das den alten Nor­mal­zu­stand in den neu­en über­führt und alle not­wen­di­gen Ver­än­de­run­gen durch­führt. Die­se Stra­te­gie ist durch­aus sinn­voll unter der Annah­me, dass Ver­än­de­rung die Aus­nah­me ist und im Wesent­li­chen sta­bi­le Nor­mal­zu­stän­de vorherrschen.

In times of tur­bu­lence the big­gest dan­ger is to act with yesterday’s logic.
Peter F. Drucker

Die Flut von Pro­jek­ten und Pro­gram­men in vie­len Unter­neh­men lässt aber berech­tig­ten Zwei­fel an die­ser Annah­me auf­kom­men. Die Zunah­me von Pro­jek­ten ist sym­pto­ma­tisch für einen ste­tig stei­gen­den Ver­än­de­rungs­be­darf in immer grö­ße­rem Maße: Weil zur Bewäl­ti­gung die­ses Ver­än­de­rungs­drucks nur das Kon­strukt „Pro­jekt“ ver­füg­bar ist, gibt es immer mehr davon. Für so häu­fi­ge Ände­rung sind Pro­jek­te aber das fal­sche Mit­tel. Ins­be­son­de­re die Geneh­mi­gungs- und Pla­nungs­pro­zes­se für Pro­jek­te sind in der Regel zu schwer­ge­wich­tig und lang­sam für die VUCA-Welt (kurz für vola­ti­li­ty, uncer­tain­ty, com­ple­xi­ty und ambi­gui­ty) in der sich die Orga­ni­sa­tio­nen heu­te behaup­ten müssen.

When the rate of chan­ge out­side exceeds the rate of chan­ge insi­de, the end is in sight.
Jack Welch

In unse­rer schnell­le­bi­gen und kom­ple­xen Zeit wäre es eigent­lich sinn­voll und risi­ko­be­wusst, Pro­jek­te mög­lichst klein zu machen und die­se mög­lichst schnell zu geneh­mi­gen. Damit sich der in vie­len Orga­ni­sa­tio­nen nicht uner­heb­li­che admi­nis­tra­ti­ve Auf­wand zur Geneh­mi­gung von Pro­jek­ten über­haupt lohnt, pas­siert aber genau das Gegen­teil: Pro­jek­te wer­den gebün­delt und ange­rei­chert. Der Ent­schei­dungs­pro­zess wird dadurch zwar nicht schnel­ler, aber wenigs­tens ist dann für die nächs­ten Jah­re das Bud­get gesi­chert. Die­se Logik ist eben­so ver­ständ­lich wie gefähr­lich, weil sich dadurch die Dau­er bis zum Errei­chen des erwar­te­ten Nut­zens der wesent­li­chen ver­än­de­rung im Kern des auf­ge­bläh­ten Pro­jekts deut­lich verlängert.

Eine bes­se­re Über­le­bens­stra­te­gie in einer VUCA-Welt ist die schnel­le Anpas­sung durch stän­di­ge Wei­ter­ent­wick­lung. Was vor­her die Aus­nah­me war, näm­lich die Ver­än­de­rung, und so gema­na­ged wur­de, näm­lich als Pro­jekt, wird der Nor­mal­zu­stand. Agi­li­tät bedeu­tet kon­ti­nu­ier­li­che Ver­än­de­rung in klei­nen Schrit­ten und das eben jen­seits des Pro­jekt­kon­strukts. Im Extrem­fall sieht das dann so aus wie bei Ama­zon mit mehr als 50 Mil­lio­nen Soft­ware-Deploy­ments pro Jahr und damit mehr als einem pro Sekun­de. Anders for­mu­liert ist es sehr wahr­schein­lich, dass hin­ter zwei auf­ein­an­der­fol­gen­den Auf­ru­fen der Ama­zon-Sei­ten nie exakt der­sel­be Source­code steht.

Start with what’s neces­sa­ry; then do what’s pos­si­ble; and sud­den­ly you are doing the impossible.
Franz von Assisi



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7 Kommentare

Michael Fries 8. Januar 2017 Antworten

Voll­kom­men rich­tig. Die ein­zi­ge Kon­stan­te ist der Wan­del. Die fort­lau­fen­de Anpas­sung, die im Deut­schen mit KVP (ent­lehnt aus Kai­zen) bezeich­net wird, impli­ziert die­sen. Ich wür­de hier etwas dif­fe­ren­zier­ter zwi­schen Pro­jek­ten und Ver­än­de­rungs­ma­nage­ment unter­schei­den. Bei­de begrei­fen eine Welt davor und danach als erhoff­ten sta­bi­len Zustand. Dar­über hin­aus zu gehen und den ste­ten Wan­del als täg­li­che Auf­ga­be zu sehen ist die not­wen­di­ge Hal­tung. Für das täg­li­che ope­ra­ti­ve Geschäft gibt es dann auch kei­ne lang­wie­ri­gen Ent­schei­dungs – und Bud­get­pro­zes­se zu durch­lau­fen. Das gibt mehr Geschwin­dig­keit und ent­schlackt von admi­nis­tra­ti­ven Tätigkeiten.

Marcus Raitner 8. Januar 2017 Antworten

Dan­ke, Micha­el, genau um die­se Hal­tung geht es. Und eben nicht dar­um Pro­jek­te agil zu machen.

Bernd 9. Januar 2017 Antworten

Ich wür­de mal sagen: Punkt­lan­dung, lie­ber Marcus.

Das phä­no­me­na­le an Web­sei­ten wie Ama­zon (oder Ande­ren im Marketingbereich)
ist me nicht nur, dass man fast kei­ne Chan­ce mehr hat 2mal den glei­chen Source­code auf­zu­ru­fen, son­dern dass auch die Ober­flä­che (die UserX­pe­ri­ence) per Split­test kon­ti­nu­ier­lich ange­passt wird. Über den glei­chen Link wer­den also kom­plett unter­schied­li­che Sei­ten auf­ge­ru­fen und gegen­ein­an­der auf User­zu­frie­den­heit getestet.…

So kann man mit der Zeit gehen, statt in den Rück­spie­gel zu schau­en um vor­wärts zu fah­ren ;o)

Wün­sche Dir einen guten Wochenstart!
Bernd

Marcus Raitner 10. Januar 2017 Antworten

Vie­len Dank, lie­ber Bernd. Feed­back sys­te­ma­tisch von den Nut­zern ein­zu­ho­len ist natür­lich essen­ti­ell bei der Agi­li­tät. Und Ama­zon (und ande­re) machen das natür­lich sehr sys­te­ma­tisch mit der Erpro­bung von Fea­tures. Auf jeden Fall sehr beeindruckend.

Bernd 11. Januar 2017 Antworten

In der Tat, sehr beeindruckend!

Inner­halb von Ver­kauf­pro­zes­sen, tes­ten vie­le tat­säch­lich Din­ge wie Bil­der, Far­ben, Rah­men, Posi­tio­nen von But­tons etc., um die Klick­ra­ten bzw. Con­ver­si­ons (also die Trans­for­ma­ti­on von Besu­chern -> zu Inter­es­sen­ten -> zu Kun­den) zu verbessern,
indem sie ein­fach ver­schie­de­ne Vari­an­ten gegen­ein­an­der ver­glei­chen, statt „alte“ Sta­tis­ti­ken zu bemü­hen, um dar­aus die nächs­te 5 – 10 Jah­res­pla­nung zu machen und Pro­gram­mier­richt­li­ni­en abzu­lei­ten… oder so ;o)

Sor­ry bin ein wenig von Dei­nem The­ma angekommen.
Ver­mut­lich weil es für mich auch zum The­ma „Agi­li­tät“
und fort­lau­fen­dem Umgang mit (nicht plan und wissensbaren)
Ver­än­de­run­gen gehört…

Claudia Weiler 11. Januar 2017 Antworten

Sehr tref­fend und gut beob­ach­tet, Herr Rait­ner. Vie­len Dank für die­sen Arti­kel. Wir alle spü­ren immer mehr wie schnell der Wan­del geht und sehen im Wan­del schon ein Kon­ti­nu­um. Und VUCA ist hier­zu ein sehr pas­sen­des und gutes Instru­ment für Füh­rungs­kräf­te dar­auf zu reagie­ren. Es braucht in der Zukunft ein neu­es Füh­rungs­ver­ständ­nis, das neue Metho­den, wie von Ihnen erwähnt VUCA und ein neu­es Füh­rungs­ver­ständ­nis. Last but not least braucht es in den Orga­ni­sa­tio­nen mehr Mög­lich­kei­ten zur Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on. Ich den­ke, die Sta­bi­li­tät wird sich in Zei­ten von Vola­ti­li­tät in der Dynamik.

Herz­li­che Grüße

Clau­dia Weiler
http://www.weiler-seminare.de/blog/item/44-claudia-weiler

Marcus Raitner 15. Januar 2017 Antworten

Vie­len Dank für Ihren Kom­men­tar. Bleibt nur zu hof­fen, dass der Erkennt­nis von VUCA nicht ein­fach nur mit mehr des­sel­ben begeg­net wird, also mit mehr Pla­nung und Kontrolle.

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