Agilität geht per Definition einher mit einem gewissen Maß an Unsicherheit. Agil bedeutet wendig. Wendig zu bleiben ist aber nur dort sinnvoll, wo das Ziel nicht exakt genug bestimmt werden kann. Es geht der Agilität also in erster Linie um Effektivität und erst danach um Effizienz. Agil vorgehen heißt öffentlich Fehler machen und diese zu nutzen um den Kurs zu korrigieren. Eine von Angst vor Fehlern geprägte Unternehmenskultur und Agilität passen daher nicht gut zusammen.
Wo Angst herrscht, darf es keine Unsicherheit geben. Unsicherheit führt zu Fehlern und Fehler führen zu Schuldigen. Und Schuldige machen keine Karriere. Unsicherheit muss eliminiert werden. Durch Analyse und Prozesse. Durch Abgrenzung und Lagerdenken. Das schafft Identität und gibt Stabilität. Es trainiert aber nicht den Umgang mit Unsicherheit und Komplexität.
The enemy is fear. We think it is hate; but, it is fear.
Mahatma Gandhi
In einer Kultur von Angst und Schuld bleibt Agilität weit hinter ihrem eigentlichen Potenzial zurück. Schnelle Ergebnisse und Verbesserung in kurzen Abständen finden alle gut. Nur falsch dürfen die Zwischenschritte nicht sein oder vom Drei-Jahres-Plan abweichen. Ein bisschen Selbstorganisation ja, aber bitte nicht zu viel: Wie soll man das denn steuern? Damit lässt sich dann zwar rechtzeitig erkennen, dass Teile der Wand noch nicht ausreichend gestrichen sind oder die Farbmischung nicht ganz passt, aber eben nicht, dass die Leiter an der falschen Wand lehnt.
The greatest mistake you can make in life is to continually be afraid you will make one.
Elbert Hubbard
Wer Angst hat wagt zu wenig. Ängstliche Mitarbeiter machen Dienst nach Vorschrift und befolgen Prozessvorschriften. Sie gestalten aber nicht die Zukunft. Mussten und sollten sie auch gar nicht. Das war schließlich bisher Aufgabe des Managements. Heute können wir uns den Luxus hochspezialisierte und hochbezahlte Experten von der Arbeit an der Zukunft des Unternehmens durch eine Kultur der Angst abzuhalten nicht länger erlauben. Ein bisschen auf agil zu machen ist ein Anfang. In einer Kultur der Angst und Fehlervermeidung verkümmern die zarten Pflänzchen aber auch wieder. Ohne diese Angstkultur zu verändern, und gemeinsam mehr zu wagen, bleibt alles beim Alten. Und das ist ein Problem, wenn sich Märkte radikal ändern.
Learning is not compulsory… neither is survival.
W. Edwards Deming
3 Kommentare
Hallo Marcus,
vielen Dank für die tollen Anregungen und Erfahrungen, die du mit uns teilst.
Viele deiner Ideen und Anmerkungen teile ich zu 100%. Zu den Themen Agilität, Angst, Effizienz und Effektivität möchte ich meine Gedanken kurz schildern.
Agilität ist für mich viel mehr als nur Beweglichkeit: Agilität bedeutet für mich Regelmäßigkeit, Kontinuität mit kleinen Schritten und anschließender Bewertung, ob dieser Schritt in die richtige Richtung ging. Agilität bedeutet aber auch permanente Wertschöpfung und das Streben nach Perfektion und die starke Ausrichtung auf eine werteorientierte Zusammenarbeit. Wenn wir Agilität auf Beweglichkeit reduzieren, fehlt mir ein Begriff, der das Ganze beschreibt.
Agilität bedeutet für mich deshalb auch nicht, dass es in erster Linie um Effektivität und erst danach um Effizienz geht. Agile Methoden z. B. Scrum berücksichtigen beides gleichwertig. Effektivität wird durch die Produktvision, den Product Owner und das kontinuierliche Überprüfen des richtigen Ziels im Review mit den Stakeholdern gewährleistet. Die kontinuierliche Erhöhung der Effizienz wird durch die verpflichtende Retrospektive sichergestellt.
Häufig habe ich im Zusammenhang mit Agilität den Eindruck, dass bei agilen Methoden ein Management nicht notwendig ist und abgeschafft werden könnte. Diese Ansicht teile ich nicht. Der Wechsel zu agile Arbeitsweisen entstehen nach meiner Erfahrung nicht, weil sich die Mitarbeit dazu verabreden. Wie du in diesem Artikel auch sehr treffend beschrieben hast, benötigt Agilität eine angstfreie Umgebung, in der Fehler möglich sind. Ich gehe sogar noch weiter, in der Fehler sogar erwünscht sind. Eine kontinuierliche Erhöhung der Effizienz oder Effektivität kann nach meiner Überzeugung nur erreicht werden, wenn etwas Neues gewagt wird. Das schreibst du ja auch und ich stimme dir zu 100% zu.
Ich sehe die Aufgabe des Management in der Schaffung einer werteorientierten Umgebung. Die wesentlichen Werte sind für mich Vertrauen, Verantwortung und Mut. Was Neues zu wagen und evtl. zu scheitern erfordert von verantwortungsvollen Menschen nämlich viel Mut. Menschen, die Angst erzeugen, vertraue ich nicht.
Lasst uns Agilität deshalb nicht auf Beweglichkeit reduzieren. Agilität ist für mich ein ganzheitlicher Ansatz, um wirksam zusammen zu arbeiten, um die besten Produkte der Welt zu erschaffen.
Lieber Kai, vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar. Ich kann Dir nur zustimmen. Insbesondere was die Rolle des Managements betrifft: Eine angstfreie Umgebung schaffen. Schwierig genug in Strukturen, die Angst als Führungsinstrument nutzen. Was die Effizienz betrifft ging es mir um Effektivität vor Effizienz mit derselben Bedeutung von „vor“ wie im Agilen Manifest. Wenn man sich den Weg zum Ziel rückblickend ansieht, ist der nicht geradlinig und kann im agilen nicht geradlinig sein. Theoretisch gäbe es also einen effizienteren Weg. Aber eben nur theoretisch. In der Praxis kennzeichnen sich komplexe Problemstellung gerade dadurch aus, dass man diesen theoretischen Weg nicht vorausschauend analytisch bestimmen kann. Im Rahmen dessen ist Agilität hocheffizient, der höhere Wert ist meiner Meinung nach aber schon die Effektivität. Oder mit den Worten von Peter F. Drucker: „There is nothing so useless as doing efficiently that which should not be done at all.“ Ich betone diesen Aspekt so, weil in vielen Unternehmen immer noch der Irrglaube an Null-Fehler vorherrscht.
… und wieder 100% Zustimmung.
Effizienz macht nur Sinn, wenn die richtigen Ziele verfolgt werden. Der Hinweis auf das Agile Manifest gefällt mir sehr gut. Danke.
Liebe Grüße
Kai