Schachmeister oder Gärtner?

Gerne wird das Mili­tär als Bei­spiel und Blau­pau­se für hier­ar­chi­sche Orga­ni­sa­tio­nen ange­führt. Zu Recht da sich im Zuge der Indus­tria­li­sie­rung tat­säch­lich vie­le Unter­neh­men sich von der Orga­ni­sa­ti­on des Mili­tärs inspi­rie­ren lie­ßen, so dass nicht sel­ten heu­te noch man­ches Unter­neh­men mit Com­mand and Order geführt wird. Dabei wird ger­ne ver­ges­sen, dass das Mili­tär gera­de in kom­ple­xen und undurch­sich­ti­gen Situa­tio­nen – und die wer­den immer mehr – schon län­ger auf die Geschwin­dig­keit und Effek­ti­vi­tät von Auto­no­mie und Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on setzt.

Bereits der preus­si­sche Gene­ral­feld­mar­schall Hel­muth Graf von Molt­ke (1800 – 1891) erkann­te: „Kein Plan über­lebt den ers­ten Feind­kon­takt.“ Des­halb gewähr­te er den nach­fol­gen­den Füh­rungs­ebe­nen weit­ge­hen­de Frei­hei­ten in der Aus­füh­rung des Kampf­auf­trags. Er präg­te damit maß­geb­lich das Füh­ren mit Auf­trag als Füh­rungs­me­tho­de der Wahl. Der ent­schei­den­de Vor­teil die­ser Art der Füh­rung ist, dass Ent­schei­dun­gen sehr schnell im Sin­ne eines klar for­mu­lier­ten Auf­trags und kla­ren Rah­men­be­din­gun­gen dezen­tral und auto­nom getrof­fen wer­den, wäh­rend sonst Infor­ma­tio­nen müh­sam und feh­ler­be­haf­tet die Hier­ar­chie hoch und Befeh­le lang­sam wie­der hin­un­ter wan­dern mussten. 

Alt­hough we intui­tively know the world has chan­ged, most lea­ders reflect a model and lea­der deve­lo­p­ment pro­cess that are sor­ely out of date. We often demand unrea­li­stic levels of know­ledge in lea­ders and force them into inef­fec­ti­ve attempts to micromanage.
Stan­ley McChrystal

Die Lang­sam­keit zen­tra­ler Ent­schei­dun­gen ist das Eine, die über­mensch­li­chen Anfor­de­run­gen an sol­che zen­tral­ern Ent­schei­der aber das Ande­re. Hiera­ri­sche Ent­schei­dun­gen sind in unse­rer VUCA-Welt also weder effi­zi­ent noch effek­tiv. Das erkann­te auch David Mar­quet, als er das Kom­man­do des Atom-U-Boots USS San­ta Fe über­nahm. Er schwor sich und sei­ner Mann­schaft, kei­ne Befeh­le mehr zu geben und ver­schob damit die Auto­ri­tät zur Ent­schei­dung wie­der dort­hin, wo auch das Wis­sen, die Erfah­rung und Infor­ma­ti­on dazu war. Nach und nach wur­de damit die USS San­ta Fe vom schlech­tes­ten zu bes­ten U‑Boot in der US Mari­ne und blieb es sogar lan­ge nach­dem David Mar­quet es gar nicht mehr „kom­man­dier­te“.

The tempt­a­ti­on to lead as a chess mas­ter, con­trol­ling each move of the orga­niza­ti­on, must give way to an approach as a gar­de­ner, enab­ling rather than direc­ting. A gar­dening approach to lea­der­ship is any­thing but pas­si­ve. The lea­der acts as an “Eyes-On, Hands-Off” enabler who crea­tes and main­ta­ins an eco­sys­tem in which the orga­niza­ti­on operates.
Stan­ley McChrystal

Was Stan­ley McCrys­tal, der von 2003 bis 2008 als Kom­man­deur des Joint Spe­cial Ope­ra­ti­ons Com­mand (JSOC) einen Groß­teil der Ope­ra­tio­nen von Spe­zi­al­trup­pen im Irak und in Afgha­ni­stan führ­te, hier beschreibt ist ein völ­lig ande­res Füh­rungs­ver­stän­dis als wir es in tay­lo­ris­tisch-hier­ar­chi­schen Orga­ni­sa­tio­nen gewohnt sind. Mana­ger agi­ern übli­cher­wei­se eher wie Schach­meis­ter und über­den­ken und kon­trol­lie­ren Zug um Zug. Genau­so all­wis­send pla­nend und kon­trol­lie­rend ist der Mana­ger im Tay­lo­ris­mus auch ange­legt. In der Welt­sicht des Schach­meis­ters sind die Figu­ren nur dum­me Mario­net­ten und er selbst der Held. Oder mit den Wor­ten des Begrün­ders des Sci­en­ti­fic Managements:

Einen intel­li­gen­ten Goril­la könn­te man so abrich­ten, dass er ein min­des­tens eben­so tüch­ti­ger und prak­ti­scher Ver­la­der wür­de als irgend­ein Mensch. Und doch liegt im rich­ti­gen Auf­he­ben und Weg­schaf­fen von Roh­ei­sen eine sol­che Sum­me von wei­ser Gesetz­mä­ßig­keit, eine der­ar­ti­ge Wis­sen­schaft, dass es auch für die fähigs­ten Arbei­ter unmög­lich ist, ohne die Hil­fe eines Gebil­de­te­ren die Grund­be­grif­fe die­ser Wis­sen­schaft zu ver­ste­hen oder auch nur nach ihnen zu arbeiten.
Fre­de­rick Win­slow Taylor

Das Ver­ständ­nis des Gärt­ners ist ein deut­lich beschei­de­ne­res: Ein Gärt­ner weiß, dass er selbst kei­ne Toma­ten oder Gur­ken her­vor­brin­gen kann. Er kann nur eine Umge­bung schaf­fen und auf­recht­erhal­ten, in der Toma­ten gut gedei­hen. Er ist auch nicht die bes­te und leis­tungs­fä­higs­te Toma­te und des­we­gen zum Mana­ger gewor­den, son­dern eben Gärt­ner. Genau das ist der Unter­schied zwi­schen Manage­ment und Füh­rung. Und genau das macht heu­te einen Unter­schied. Also: Lead like a gardener!

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

6 Kommentare

Vie­len Dank für den Bei­trag. Bestärkt mich immer wie­der in dem was ich tue und ver­su­che in unse­re Orga­ni­sa­ti­on zu brin­gen. Hast du even­tu­ell ein paar Tipps, wie man ande­re von dem Weg des Gärt­ners über­zeu­gen kann?

Das freut mich. Über­zeu­gen fin­de ich immer am ein­fachs­ten durch das eige­ne gute Bei­spiel. Ich habe die Erfah­rung gemacht, dass man die Vor­tei­le erle­ben muss, damit man über­zeugt wird, es auch aus­zu­pro­bie­ren. Ganz ein­fach ist das nicht, denn es kann pas­sie­ren, dass die­se Art der Füh­rung miss­ver­stan­den wird irgend­wo zwi­schen Ver­nach­läs­si­gung der Für­sor­ge­pflicht und Faulheit.

Hal­lo Mar­cus, vie­len Dank für die­sen Beitrag!

Als „Wis­sens­ma­na­ger“ wei­se ich auch dar­auf hin, dass man Wis­sen nicht mana­gen kann (übri­gens genau­so wenig wie Kul­tu­ren, btw), son­dern man, wie ein „Wis­sens-Gärt­ner“, höchs­tens eine wiss­sens-freund­li­che (Arbeits-) Umge­bung schaf­fen kann – weil „das Gras auch nicht schnel­ler wächst, wenn man dar­an zieht.“

Das ist logisch und kon­se­quent von Dir, die­se Meta­pher auf Lea­der­ship ins­ge­samt aus­zu­wei­ten – so logisch, dass ich mich wun­de­re, war­um ich nicht schon sel­ber drauf gekom­men bin…

Aber genau dafür gibt es ja Aus­tausch & Dia­log, um mei­ne eige­ne Per­spek­ti­ve durch ande­re Ansich­ten zu erwei­tern und der Betriebs­blind­heit entgegenzuwirken!

Das freut mich sehr, lie­ber Rai­ner, dass Dir die Meta­pher auch so gut gefällt. Im Bereich des Wis­sens­ma­nage­ments kann­te ich sie auch schon, aber ich fand es ganz inter­es­sant, dass gera­de aus dem mili­tä­ri­schen Bereich die­se Über­tra­gung der Meta­pher des Gärt­ners auf die Füh­rung kommt.

Hal­lo Marcus,

ich habe gera­de die­sen etwas älte­ren, aber wei­ter­hin sehr aktu­el­len Bei­trag von dir gefun­den und möch­te dazu ein wei­te­res Bei­spiel anführen.

Aus dem Field Manu­al der US Army „FM 6 – 22 Army Lea­der­ship“ (auch bei Amazon):
“As the glo­bal envi­ron­ment beco­mes incre­asing­ly vola­ti­le, uncer­tain, com­plex, and ambi­guous, the mili­ta­ry must trans­form the man­ner in which it deve­lo­ps, mana­ges, coor­di­na­tes, syn­chro­ni­zes, and employs capa­bi­li­ties to crea­te effects ….”

7 – 38. Peo­p­le often want to be given the oppor­tu­ni­ty to be respon­si­ble for their own work and to be crea­ti­ve — they want to be empowered”

Vie­len Dank für dei­ne tol­len Beiträge!

Klas­se, Boris. Das kann­te ich noch gar nicht. Es erstaunt mich (als jemand der als über­zeug­ter Pazi­fist brav Zivil­dienst geleis­tet hat) immer wie­der, wie fort­schritt­lich das Füh­rungs­ver­ständ­nis gera­de im Mili­tär ist, vgl. David Mar­quet, Stan­ley McChrys­tal und nicht zuletzt das gute alte Füh­ren mit Auftrag.

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