Ehrenamt 2.0

Das Ehren­amt im Sin­ne eines bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments erlebt seit eini­ger Zeit in Form von Open Source, Open Con­tent, Web‑2.0, etc. eine Renais­sance und Neu­de­fi­ni­ti­on. Ört­li­che Ein­schrän­kung fal­len genau­so weg wie die Abhän­gig­keit von gemein­nüt­zi­gen Orga­ni­sa­tio­nen. Mehr denn je kann sich jeder sei­nen Fähig­kei­ten und Nei­gun­gen gemäß ein­brin­gen. Und mehr denn je neh­men Men­schen die­se Mög­lich­kei­ten, einen indi­vi­du­el­len sinn­vol­len Bei­trag zu leis­ten auch wahr, gewin­nen dadurch Selbst­ver­trau­en und wer­den sich ihres Wer­tes und letzt­lich ihrer Macht bewusst. Das kann nicht ohne Aus­wir­kun­gen auf das Arbeits­le­ben bleiben.

Laut Wiki­pe­dia — selbst das Para­de­bei­spiel bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments—han­delt es sich dabei um „das frei­wil­li­ge, nicht auf finan­zi­el­le Vor­tei­le gerich­te­te, das Gemein­wohl för­dern­de Enga­ge­ment von Bür­gern zur Errei­chung gemein­sa­mer Ziele“.

Die Mög­lich­kei­ten unent­gelt­lich zum Gemein­wohl bei­zu­tra­gen sind heut­zu­ta­ge viel­fäl­ti­ger denn je. Neben den „Dau­er­bren­nern“ Kir­che, Ver­ei­ne, Pfad­fin­der, Feu­er­wehr, Cari­tas & Co. uvm. treibt das bür­ger­schaft­li­che Enga­ge­ment neu­er­dings in der Netz­ge­mein­de immer bun­te­re Blü­ten. War Open Source mit Linux als Gali­ons­fi­gur noch etwas für Nerds, erreich­te Wiki­pe­dia den Main­stream. Jeder kann, darf und soll mit­ma­chen im Web 2.0. Und Wiki­pe­dia war erst der unschul­di­ge Anfang. Einen Vor­ge­schmack der Schlag­kraft und Schnel­lig­keit bekam Karl-Theo­dor zu Gut­ten­berg unlängst zu spü­ren als sei­ne Dis­ser­ta­ti­on schein­bar mühe­los von Unzäh­li­gen als Pla­gi­at ent­tarnt wurde.

War frü­her das eige­ne Enga­ge­ment not­wen­di­ger­wei­se ört­lich begrenzt, ent­stand in den letz­ten Jah­ren ein Par­al­lel­uni­ver­sum, das kei­ne räum­li­chen Gren­zen kennt und des­sen Ein­tritts­hür­den immer wei­ter sin­ken. Mit der ört­li­chen Begren­zung fie­len auch damit ein­her­ge­hen­de Ein­schrän­kun­gen des Ange­bots an ehren­amt­li­chen Auf­ga­ben. Die eige­nen Inter­es­sen und Fähig­kei­ten geben heu­te den Ton an, das ört­li­che Ange­bot ist belanglos.

Woll­te man sich frü­her ehren­amt­lich enga­gie­ren, brauch­te man dazu in der Regel eine grö­ße­re gemein­nüt­zi­ge Orga­ni­sa­ti­on in die man sich ein­brin­gen konn­te. Auch die­se Beschrän­kung ver­liert immer mehr an Bedeu­tung. Man fin­det sich spon­tan zusam­men, orga­ni­siert sich selbst und zer­legt so bei­spiels­wei­se heu­te die Dis­ser­ta­ti­on des Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ters oder orga­ni­siert mor­gen eine Peti­ti­on gegen Netzsperren.

Die­se Ent­wick­lun­gen im Bereich des bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments als rei­nes Pri­vat­ver­gnü­gen abzu­tun, wäre ein gro­ßer Feh­ler. Schließ­lich ähnelt bei vie­len die unent­gelt­li­che Arbeit ihrer eigent­li­chen Erwerbs­ar­beit, bei­spiels­wei­se sind die Ent­wick­ler von Open Source Soft­ware in der Regel haupt­be­ruf­lich auch Soft­ware­ent­wick­ler. Schon Peter F. Dru­cker sah in gemein­nüt­zi­gen Orga­ni­sa­tio­nen die Vor­rei­ter im Manage­ment von Wissensarbeitern:

The Girl Scouts, the Red Cross, the pas­to­ral churches — non-pro­fit orga­niza­ti­ons — are beco­ming Ame­ri­ca’s manage­ment lea­ders. […] in the most cru­cial area — the moti­va­ti­on and pro­duc­ti­vi­ty of know­ledge workers — they are tru­ly pio­neers, working out the poli­ci­es and prac­ti­ces that busi­ness will have to learn tomor­row.“ (Peter F. Dru­cker, Manage­ment Rev Ed. S. 142)

Das zuneh­men­de bür­ger­schaft­li­che Enga­ge­ment wird zunächst Aus­wir­kun­gen auf die Wis­sens­ar­bei­ter, ihre Selbst­wahr­neh­mung und ihre Ansprü­che haben. Sie wer­den sich ihres Werts und damit ihrer Macht bewusst wer­den. Gemein­sam den Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter zu Fall zu brin­gen und dafür für den Grim­me-Online-Award nomi­niert zu wer­den, gibt Selbst­ver­trau­en (ja, und auch Befrie­di­gung). Genau­so wie gemein­sam eine Enyz­klo­pä­die zu schaf­fen von so monu­men­ta­lem Aus­maß, dass nun ange­strebt wird sie zum Welt­kul­tur­er­be erklä­ren zu lassen.

Die Unab­hän­gig­keit von Orga­ni­sa­tio­nen wird zuneh­men. Durch selbst­or­ga­ni­sier­tes bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment, wer­den die Wis­sen­ar­bei­ter sich mehr und mehr bewusst wer­den, dass tat­säch­lich die Orga­ni­sa­ti­on — auch und gera­de im Beruf — sie mehr braucht als umgekehrt.

Wenn es immer mehr Mög­lich­keit sich den eige­nen Nei­gun­gen und Fähig­kei­ten ent­spre­chend sinn­voll ein­zu­brin­gen, wer­den die Men­schen auch in ihrem Beruf, mit dem sie ja viel mehr Zeit ver­brin­gen, anspruchs­vol­ler wer­den. Der Appe­tit auf sinn­vol­le eige­ne Bei­trä­ge kommt sozu­sa­gen mit dem Essen. Sinn durch Geld zu erset­zen, wird also noch schlech­ter funk­tio­nie­ren als bisher.

Bildnachweis

Das Arti­kel­bild ist das offi­zi­el­le Logo für die Initia­ti­ve Wikipedia:Welterbe (bit­te mit­ma­chen!). Die Datei wur­de unter der Lizenz „Crea­ti­ve Com­mons Namens­nen­nung Deutsch­land“ in Ver­si­on 3.0 (abge­kürzt „CC-by 3.0/de“) veröffentlicht.

 

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

2 Kommentare

Hal­lo Marcus!
Du sprichst von zuneh­men­dem bür­ger­schaft­li­chem Enga­ge­ment. Das glau­be ich nicht. Ich glau­be viel mehr an eine Ver­la­ge­rung eines sol­chen Enga­ge­ments. In Gän­ze wür­de ich eher einen Rück­gang ver­mu­ten, bedingt durch die zuneh­men­de Indi­vi­dua­li­sie­rung unse­rer Gesell­schaft. Para­do­xer­wei­se ist da natür­lich das Web 2.0 will­kom­men. Es trägt noch wei­ter zu Indi­vi­dua­li­sie­rung bei. Aber klagt nicht gera­de Wiki­pe­dia über einen Rück­gang an neu­en Autoren?
Lie­be Grüße
Bernhard

Hal­lo Bernhard,

zuge­ge­ben ich habe kei­ne Sta­tis­ti­ken dar­über. Mei­ne The­se war, dass die zuneh­men­de Mög­lich­keit einen indi­vi­du­el­len Bei­trag zu leis­ten, in Sum­me zu mehr bür­ger­schaft­li­chem Enga­ge­ment füh­ren soll­te. Aber ich gebe Dir inso­fern Recht als der Trend zur Indi­vi­dua­li­sie­rung dem ent­ge­gen­läuft. Ich den­ke aber das ist maxi­mal eine Abschwä­chung. Wenn ich mir anse­he wie viel Bei­trag in Form von Open Source geleis­tet wird, dann glau­be ich schon, dass wir mit einem deut­li­chen Plus raus­kom­men. Natür­lich leis­tet das Web 2.0 auch dem Nar­ziss­mus Vor­schub, aber letzt­lich ist es doch egal, ob jemand einen Bei­trag leis­tet, um sich zu pro­du­zie­ren oder als rein altru­is­ti­schen Moti­ven, oder? Dass Wiki­pe­dia über einen Rück­gang an neu­en Autoren klagt, muss nicht bedeu­ten, dass weni­ger Men­schen bereit sind sich zu enga­gie­ren — es kann auch bedeu­ten, dass die Anzahl der Alter­na­ti­ven wächst und damit der Anteil von Wiki­pe­dia sinkt.

Herz­li­che Grüße,
Marcus

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